# taz.de -- Neues Album von Erdmöbel: Pop für denkende Menschen | |
> Sie singen von spießiger Schönheit und vermischen Bossa-Rhytmen mit einem | |
> Posaunenchor. Erdmöbel sind wieder da – mit einem wundervollem Album und | |
> einem bizarrem Roman. | |
Bild: Sie sind das Kölner Quartett Erdmöbel (v.l.n.r.): Proppe, Sänger und S… | |
Hey, Sie da, Sie Leser. Sie lesen wohl gern? Es darf durchaus auch mal was | |
Tiefgründiges sein? Ihr Bücherregal schillert in allen Farben von Suhrkamp? | |
Neben der HiFi-Anlage dagegen sieht es eher traurig aus? Ein bisschen Joe | |
Cocker, die Beatles als Best-Of und dazwischen die vergilbten | |
Bob-Marley-Sachen? Das Neueste ist noch diese Blumfeld-CD, die sie mal | |
geschenkt bekommen, aber nie wirklich verstanden haben? Und auch auf der | |
liegt schon ziemlich dick der Staub? | |
Da hätten wir was für Sie: Popmusik für den denkenden Menschen. Ja, das | |
gibt es. Erdmöbel heißt die Band. Kommen aus Köln. Neues Album namens | |
"Krokus". Der Typ, der die Songs schreibt, hat eben auch einen Roman | |
herausgebracht: "Ein langer Brief an September Nowak". Ein echtes Buch. Na, | |
wenn das kein Argument ist. | |
Tatsächlich besetzen Erdmöbel eine Nische, die es eigentlich gar nicht | |
gibt. Denn Popmusik und Literatur, die bilden insbesondere in diesem Land | |
immer noch Antipoden. Die Literatur vermutet in der Popmusik, da hinkt sie | |
etwas hinterher, das Oberflächliche und Belanglose, den schönen Schein und | |
die leere Pose. Aber auch das Freche und Forsche, das Bunte und | |
Rebellische. Deshalb denkt die Literatur, sie ist was Besseres. Deshalb ist | |
sie aber auch ein bisschen neidisch, hat sich mal kurz die Popliteratur | |
geleistet und wenn sie modern sein will, dann klaut sie heute noch die | |
Kapitelüberschriften aus Popsongs. | |
Aber die Literatur ist lange nicht so neidisch auf die Popmusik wie die | |
Popmusik auf die Literatur. Das kann man schon daran sehen, mit welcher | |
Leidenschaft über die, seien wir ehrlich, extrem unwahrscheinliche | |
Möglichkeit spekuliert wird, Bob Dylan könnte irgendwann einmal den | |
Literatur-Nobelpreis bekommen. Dann wäre die Popmusik stolz. Geil, endlich | |
rehabilitiert. Jahrzehnte der Scham wären vorbei. Aber das wird nicht | |
passieren. Hat man ja wieder gesehen: Eher kriegen das Ding irgendwelche | |
abgehalfterten Salonlöwen, die den abgewirtschafteten Neoliberalismus | |
predigen und zum letzten Mal zu Kaiser Zeiten was Relevantes geschrieben | |
haben. | |
Auch Markus Berges, da hängt man sich nicht allzu weit aus dem Fenster, | |
wird in absehbarer Zeit nicht nach Stockholm reisen und einen Scheck | |
entgegen nehmen müssen. Aber vielleicht fährt er mal nach "Brasilia". Über | |
die seltsame Stadt im Dschungel hat er einen Song geschrieben, in dem der | |
Architekt Oscar Niemeyer eine Party feiert, "Birken hinter Glasbeton" | |
wachsen und Berges wundersame Formulierungen singt wie "Kassenhäuschen der | |
Stadtverwaltung". | |
Das macht er gern. So Wörter singen, die garantiert noch nicht in Popsongs | |
vorgekommen sind. Zu jedem Erdmöbel-Album stellen die Musikkritiker deshalb | |
Listen zusammen mit diesen Wörtern und staunen stets aufs Neue. Die Liste | |
zu "Krokus" geht ungefähr so: Tempotaschentücher, Silageplane, | |
Rolladenschlitz, Staatsratsvorsitzender, Petersilienseife, Sitznachbar, | |
Rhabarberbeet, Hygienemuseum Dresden, Luftballonwettbewerbskarte. Und | |
natürlich: Nordrhein-Westfalen. Darüber haben sich alle gefreut, sogar "Die | |
Zeit". | |
Denn sie klingen plötzlich gut, völlig selbstverständlich, wenn Berges sie | |
singt, diese sperrigen deutschen Wörter. Oder, wie Markus Berges es sagt: | |
"Diese Wörter sind toll zu singen. Es traut sich nur niemand sonst. Ich | |
weiß auch nicht warum." Dazu guckt er ernst. Er hat die Frage so oft | |
beantworten müssen, er kann ihr nicht einmal mehr einen ironischen Aspekt | |
abgewinnen. | |
Bleibt die Frage: Ja, warum eigentlich traut sich das niemand sonst? | |
Vielleicht weil es eben doch nicht so einfach ist. Vielleicht muss man aus | |
Münster kommen und dort seine Band gründen, muss sich nennen wie Särge | |
angeblich in der DDR hießen, muss dann aus der deutschen Provinz umziehen | |
in die deutsche Semiprovinz nach Köln, muss sich weigern nach Berlin zu | |
gehen und tapfer und wohl auch aus Notwendigkeit halbtags Lehrer bleiben. | |
Von dort, vom Rand aus, lässt sich prima zugucken. Und dort ist genug | |
Abstand, um eine eigene Sprache zu finden. "Es gibt keine Band", sagt | |
Berges, "die auf einem ähnlichen textlichen Acker wirtschaftet." | |
Das tun Erdmöbel jetzt seit 15 Jahren mit durchaus überschaubarem Erfolg. | |
Sie gelten als zu eigen für den Massengeschmack, vielleicht auch | |
eigentümlich. Sie haben sechs Alben veröffentlicht, die von der Kritik | |
vorsichtig gelobt und von einem breiten Publikum ignoriert wurden, als sie | |
2007 "No.1 Hits" herausbringen. Die Neueinspielungen von Gassenhauern von | |
Nirvana, Kylie Minogue oder Kraftwerk, deren Texte Berges aus den | |
Originalsprachen ins Deutsche übertragen hat, werden von der Kritik | |
flächendeckend gefeiert und laufen plötzlich im Radio. Okay, zumindest in | |
manchen Sendern. Aber sie füllt sich langsam, die Nische. Mehr Menschen | |
kommen zu den Konzerten. Die sind, hat Berges nachgezählt, zu achtzig | |
Prozent mit einem Abitur ausgestattet. | |
Fast scheint es, als hätte Publikum und Kritik trotzdem diesen Filter | |
benötigt. Hätten die Bekanntheit der Vorlagen gebraucht, um Berges zu | |
verstehen. Um schätzen zu lernen, wie großartig er schreibt. Wie lyrisch | |
einerseits und zugleich doch auch verständlich, assoziativ. Wie sehr seine | |
Texte aus dem Bauch dieses Landes berichten, von seinen alltäglichen | |
Absurditäten und von seiner spießigen Schönheit. Vor allem aber geht kaum | |
jemand, nicht einmal ein Jochen Distelmeyer, so souverän um mit dem | |
Deutschen als Singsprache wie Markus Berges. | |
"Es gibt kaum Leute", sagt Ekki Maas, "die das können, was Markus kann". | |
Dass der Markus das können kann, dass diese Texte als Popmusik | |
funktionieren, dafür ist auch Maas ein wenig verantwortlich. Denn der | |
bedient den Bass bei Erdmöbel und produziert schon immer die Musik der | |
Band, bei der Christian Wübben von Anfang an Schlagzeug spielt und Jürgen | |
Diehle nun auch schon eine ganze Weile die Gitarre. Auf "Krokus" haben sich | |
die vier nun so aufeinander eingespielt, dass sie Bossa-Rhythmen und | |
Posaunenchor, temperiertes Klavier und sonnige Akustik-Gitarren ganz | |
souverän mit Berges demonstrativ lakonischem Gesang verschmelzen. | |
Wie gut das geht auf "Krokus", das erstaunt selbst Berges. "Wir sind viel | |
lässiger, als ich dachte", lächelt er zufrieden. "Mir war immer klar, dass | |
wir lässig sind", grienst Maas. So lässig jedenfalls, wie man eben nur sein | |
kann als Familienvater um die Vierzig, mit Bauchansatz und unübersehbarem | |
Haarausfall, mit einem Bein im Pop und dem anderen im Literaturbetrieb. | |
Den versorgt Berges nun mit seinem ersten Roman. "Ein langer Brief an | |
September Nowak", das gibt Berges gerne zu, erscheint auch deshalb nahezu | |
gleichzeitig zum Album, um fürs jeweils eine auch das potentielle Publikum | |
des anderen erschließen zu können, also die Buch-Leser für die Popmusik und | |
die Pop-Hörer für die Literatur. | |
Im Buch lässt Berges eine 19-jährige Abiturientin zur Selbstfindung durch | |
Südfrankreich reisen (s.a. Rezension am 6.10. in der Literataz). Eine | |
bisweilen etwas seltsame Geschichte, die aber immer dann, wenn sie zu | |
bizarr zu werden droht, mit einem trockenen, völlig unironischen Humor | |
geerdet wird. Die aber vor allem spielt mit Erwartungshaltungen und | |
Identifikationsebenen, die den Konsumenten in Assoziationsräume lockt, in | |
denen er sich so leicht verlieren wie neu finden könnte. | |
Das ist so ziemlich auch genau das, was passiert, wenn man sich einlässt | |
auf die Songs von Erdmöbel. Wenn man sich gräbt durch die wundervollen | |
Melodien von "Krokus", durch die federleichten Arrangements, vorbei an den | |
euphorischen Bläsern und die butterweichen Linien, die der Bass durch die | |
Songs zieht. Dann stößt man unweigerlich auf dieses schwarze Loch, das da | |
unten liegt, auf diesen Krater zwischen Literatur und Popmusik, den | |
Erdmöbel nun schon seit 15 Jahren versuchen zuzuschaufeln. Und das alles | |
nur damit Sie, ja genau Sie, lieber Leser, sich endlich auch mal eine | |
großartige, zeitgemäße, ganz und gar wundervolle CD ins Regal stellen | |
können. | |
17 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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