# taz.de -- Oliver Stones "Wall Street II": Mit Handy, Hemd und Haargel | |
> In "Wall Street" wollte Stone den neoliberalen Exzess der 80er Jahre | |
> entlarven, machte ihn aber sexy. Nun gibt es die Fortsetzung: "Wall | |
> Street: Geld schläft nicht". | |
Bild: Da ist er aber immer noch: Gordon Gekko. | |
Ein Werbegesetz beherrscht Oliver Stone wie kein anderer Regisseur: Filme | |
zu machen, denen der Ruf vorauseilt, sie seien "heiß erwartet". Und | |
tatsächlich: Warten wir nicht alle - viel mehr noch als auf die letzten | |
"Harry Potters" - auf den Film zur Finanzkrise? Und wer könnte dieses | |
Bedürfnis besser erfüllen als jemand, der das schon einmal gemacht hat, wie | |
eben Oliver Stone mit seinem "Wall Street" aus dem Jahr 1987? | |
Schließlich versteckt sich in der Sehnsucht nach dem Neuen, Aktuellen stets | |
ein bisschen Nostalgie fürs gute Alte. Was sich auch darin bestätigte, dass | |
bei der Premiere von "Wall Street: Geld schläft nicht" die größte | |
Aufmerksamkeit jenes ziegelsteingroße Ding erregte, das Gordon Gekko in der | |
Eröffnungsszene bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis ausgehändigt | |
bekommt: ein Mobiltelefon aus den späten 80ern! | |
Die Szene dient lediglich als Bindeglied zwischen altem und neuen "Wall | |
Street"-Film. Trotz unrasiertem Kinn, langen, grauen Haaren und mehr als 20 | |
Jahren Unterschied erkennt man ihn sofort wieder: Finanzjongleur Gordon | |
Gekko, eine der emblematischen Filmfiguren aus der untergegangenen Welt vor | |
dem Mauerfall. Und auch wenn der wegen Insider-Tradings zu acht Jahren | |
verurteilte Gekko in dieser ersten Szene ohne Geld und ohne Verbindungen | |
vor dem Gefängnis steht, strömt ihm die typische Broker-Arroganz und | |
Manipulationslust noch immer aus jeder Pore. | |
Zumal Schauspieler Michael Douglas diese Figur, für die er 1988 einen Oscar | |
gewann, mit sichtlicher Lust an der Rolle wiederbelebt. So einer geht nicht | |
unter, weshalb sich der neue "Wall Street"-Film auch nicht lange damit | |
aufhält zu erzählen, wie Gekko sich neu erfindet, sondern im Zeitsprung ins | |
Jahr 2008 lediglich zeigt, dass es ihm gelingt. Und zwar in einer Rolle, | |
die seinem öligen Charme wunderbar entspricht: als Bestsellerautor und | |
Experte zu Finanzfragen. "Ist Gier gut?" lautet der Titel seines aktuellen | |
Buchs. Ein Auditorium von jungen Menschen hängt an seinen Lippen und er | |
erläutert: "Früher habe ich gesagt, Gier sei gut. Heute aber, so scheint | |
es, ist sie legal." Für solche Sätze muss man die Drehbuchautoren Allan | |
Loeb und Stephen Schiff einfach lieben. | |
Stones Missverständnis | |
Auch in anderer Hinsicht haben sie bei dieser Fortsetzung, die eigentlich | |
keine sein will, ihren Job gemacht, so gut es geht. Wobei die Vorgaben eben | |
"subprime", sozusagen unteroptimal waren. Denn erstens beruht das Projekt | |
auf einem Missverständnis: Stone selbst mag das Gefühl haben, mit "Wall | |
Street" damals die neoliberalen Exzesse der 80er entlarvt zu haben, zum Hit | |
aber wurde der Film, weil hinterher alle wie Gordon Gekko sein wollten: so | |
aalglatt, so zynisch, so gierig und sich dabei gut fühlend! Woraus sich die | |
zweite Schwierigkeit ergibt: Im Vergleich zu den Börsenhaien, die jüngst | |
den Finanzmarkt an den Rand des Abgrund führten, ist Gekko ein ganz kleines | |
Tier. Und während das damalige Schlüsselwort der "Junkbonds" noch an | |
Rockmusik erinnerte, verursacht das aktuelle Stichwort der "Credit Default | |
Swaps" einfach akute Gehirnlähmung. | |
Das Ergebnis ist ein zwiespältiger Film. In der vorhersehbaren Handlung | |
findet Gekko sich beiseitegedrängt, denn im Zentrum steht der von Shia | |
LaBeouf verkörperte jugendliche Held. Dieser Jake arbeitet bei einer | |
Investmentbank, die Lehman Brothers Inc. nachgebildet ist. Soll heißen: Es | |
geht bald bergab mit ihr. Orchestriert wird der Niedergang von Bretton | |
James (Josh Brolin), einem eiskalten Hasardeur, der quasi die frühere Rolle | |
Gekkos einnimmt, allerdings ohne auch nur einen einzigen seiner schlauen | |
Sätze abzukriegen. | |
Gekko selbst kommt überraschenderweise nicht über Geld-, sondern über | |
Liebesfragen wieder ins Spiel. Seine Tochter Winnie, die jeden Kontakt zu | |
ihm abgebrochen hat, ist mit Jake verlobt. Ansonsten trägt der Film | |
sorgfältig die kursierenden kritischen Thesen zur aktuellen Finanzkrise | |
zusammen und lässt sie von Gekko/Douglas an passenden Stellen in markanten | |
Sätzen vortragen: dass nur eine Elite weiß, was sich hinter den neuen | |
Finanzprodukten verbirgt, dass "Short-Selling", also das Wetten auf | |
Kursabfall, von Übel ist, dass bloße Gerüchte heute mittels Twitter binnen | |
Minuten den Niedergang von Firmen bewirken können, dass der Fehler im | |
"System" liegt und, und, und. | |
Mit Glanz und Verve | |
Die Stärke des Films liegt dabei weniger in der analytischen Brillanz | |
dieser Äußerungen, als in Stones Vermögen, die Manieren und | |
Manieriertheiten des Wall-Street-Milieus darzustellen. Sei es der mit | |
Kraftausdrücken und Erotika durchflochtene Börsenjargon oder die | |
Accessoire-Besessenheit der Broker, die sich in Handy, Hemden und Haargel | |
zeigt - Stone inszeniert diese Oberflächlichkeiten mit so viel Glanz, Verve | |
und Energie, dass man über den Inhalt kaum mehr nachdenken muss. Wenn | |
dunkle Wolken im Zeitraffer über Manhattan ziehen, die Wall Street aus der | |
Vogelperspektive gezeigt wird und dann in zoomenden Splitscreens lauter | |
Männer an Telefonen sprechen - dann fühlt und hört es sich einfach | |
ungeheuer zeitgenössisch an. | |
18 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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