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# taz.de -- Forstwirtschaft als Tourismusattraktion: Urlaub als Waldarbeiterin
> Laien aller Altersgruppen pflanzen Bäume im Allgäu oder auf Amrum. Kost
> und Logis sind frei, nur die Anreise muss bezahlt werden.
Bild: Beim Einsatz in Hindelang
Normalerweise hockt Christel Schlüter um diese Zeit in einem Ingenieurbüro
in Offenbach vorm Computer - jetzt steht die 53-Jährige mit
dreckverschmierten Bergschuhen an einem steilen Hang im Allgäu. Vorsichtig
drückt sie mit den Fäusten die Erde um den Stamm einer kleinen Weißtanne
fest. Als Standort hat sie die Nähe zu einem alten Baumstumpf, so wie es
ihr Forstingenieur Armin Sachs empfohlen hat.
„Der Schnee hier in der Gegend ist sehr dynamisch. Wenn die Bäume nicht
richtig gesetzt sind, werden sie gleich im nächsten Winter wieder
herausgezogen“, erklärt der Mann mit den Rastalocken. Der Boden ist schwer
und glitschig, der schlanken Frau mit dem Basecap stehen die Schweißperlen
auf der Stirn. „Das hier ist schon sehr anstrengend, vor allem gestern, als
wir erst einmal 400 Höhenmeter bis zum Einsatzort ansteigen mussten.“ Doch
ihre Entscheidung, eine Urlaubswoche lang als Freiwillige an einer
Aufforstung mitzuwirken, bereut sie nicht.
Etwa ein Dutzend Frauen und Männer gehören zu der Gruppe, die sich für
diesen Einsatz in der Nähe von Hindelang beim Verein Bergwaldprojekt
angemeldet haben. Der organisiert seit 1991 in Deutschland nicht nur
Waldpflege- und Pflanzaktionen, sondern renaturiert auch Bäche oder
vernässt trockengelegte Moore. Etwa 20.000 Menschen haben sich auf diese
Weise in den letzten Jahren engagiert. Unter den Teilnehmern finden sich
junge Leute ebenso wie Rentner, und für Familien mit Kindern gibt es auch
Spezialwochen, bei denen die Eltern arbeiten und der Nachwuchs
naturkundlich bespaßt und gebildet wird. Außer der Anreise entstehen für
die Freiwilligen keine Kosten.
Jede Gruppe wird von einem Profi angeleitet. Forstingenieur Armin Sachs aus
Bremen begleitet etwa acht bis zehn Arbeitseinsätze pro Jahr - zwischen
Amrum und den Alpen. Die Unterkünfte sind einfach und liegen in der Regel
außerhalb von Ortschaften. Christel Schlüter und ihre Kollegen übernachten
in einer urigen Holzhütte, in der es nur kaltes Wasser gibt. Mutige können
gleich hinterm Haus in einen Bergfluss springen. Jeden Morgen um sechs Uhr
werden sie geweckt, nach dem Frühstück geht es gegen halb acht zum
Einsatzort. „Ich bin nicht so sportlich, aber das Gute ist, dass hier jeder
was zu tun kriegt, was seiner Kondition entspricht“, sagt die Abiturientin
Rosina Weber. Sie hat sich erst vor sechs Wochen im Internet angemeldet und
bekam einen Nachrückerplatz; viele besonders beliebte Projekte sind schon
kurz nach der Veröffentlichung im Spätherbst ausgebucht.
Ein Koch versorgt die Teilnehmer nicht nur nach ihrer Rückkehr am
Spätnachmittag mit einer Mahlzeit. Auch zwischendurch vor Ort gibt es etwas
zu essen, das manchmal sogar auf einem offenen Feuer erwärmt wird. Rund
10.000 Euro kostet den Veranstalter so eine Woche: neben Kost und Logis
sind auch Werkzeuge und die Versicherung der Teilnehmer zu finanzieren.
Etwa 4.000 Euro davon trägt das zuständige Forstamt. „Was hier gemacht
wird, ist keine Juxveranstaltung; die Wälder sind existenziell“, betont
Klaus Dinser, der das Schutzwaldmanagement bei der bayerischen
Forstverwaltung leitet. Schließlich wirke ein funktionierender Bergwald wie
ein Schwamm, verhindere Hochwasser, Lawinen und Steinschlag. Weil die
bayerische Landesregierung allerdings seit mehreren Jahren massiv Personal
abbaut, muss ein Großteil der Pflanz- und Pflegemaßnahmen nun von
Privatfirmen oder Freiwilligen übernommen werden.
Das Bergwaldprojekt sammelt die fehlenden 6.000 Euro in Form von Spenden
oder Stiftungsgeldern ein. In diesem Fall hat der Verein die Deutsche Bahn
als Partner gewonnen. Die erhebt dieses Jahr erstmals eine Gebühr für ihre
Städteverbindungsheftchen, die vorher millionenfach im Papierkorb landeten;
dafür spendiert sie die Pflanzung von 20.000 Bäumen. „Die DB war durch die
Zerstörung der Illerbrücke schon selbst vom Hochwasser betroffen“,
begründet Peter Westenberger vom Bahn-Umweltzentrum, warum sich der Konzern
für diese Region entschieden hat.
Das Bergwaldprojekt versucht unterdessen, seine Unabhängigkeit zu betonen.
„Viele Unternehmen versuchen, Pflanzungen irgendwo in der Welt zum
Greenwashing zu benutzen“, sagt Sprecher Peter Naumann. Doch seiner
Organisation gehe es nicht um die Kompensation von Klimagasen, sondern um
den Umbau des Waldes - weg von einer reinen Orientierung auf möglichst hohe
Holzerträge und hin zu einer umfassenden Betrachtungsweise, die die
Bedeutung für den Hochwasser- und Erosionsschutz, für Luftreinhaltung,
Arten- und Klimaschutz mitbedenkt. Deshalb kommen die freiwilligen Helfer
auch nur dort zum Einsatz, wo die staatlichen Förster ähnliche Ansätze
verfolgen. Außerdem darf die Jägerlobby vor Ort nicht zu stark sein, denn
die drängt auf hohe Wilddichte, um möglichst große Tiere vor die Flinten zu
bekommen. Die Folge: Die neu gepflanzten Bäume haben keine Chance.
Ornach-Schadfläche heißt der Hang, an dem Christel Schlüter und ihre
Kollegen hacken, graben und setzen. Vor nunmehr 20 Jahren hat der Sturm
Wiebke hier einen Fichtenreinbestand abgeräumt; die flach wurzelnden
Nadelbäume konnten dem Orkan damals nicht standhalten, hat Forstingenieur
Armin Sachs den Helfern erklärt. Deshalb pflanzt die Gruppe jetzt Buchen
und Ahorn, die den Grund stabilisieren. Besonders wichtig sind außerdem
Weißtannen, deren Pfahlwurzeln wie Nägel in einem Brett wirken. Allerdings
kommen sie nur sehr langsam hoch.
Armin Sachs deutet auf ein hüfthohes Bäumchen: 15 Jahre alt, so schätzt er
- und damit immer noch nicht sicher vor äsenden Rehen. Außerdem sind die
Setzlinge von überwuchernden Pflanzen bedroht und müssen immer wieder
freigeschnitten werden. Die Wiederaufforstung eines Waldes hier auf 1.200
Meter Höhe ist ein mühsames Geschäft, das über viele Jahre verfolgt werden
muss. Doch die Alternative heißt Erosion - und damit die unmittelbare
Bedrohung der tiefer liegenden Region.
„Wir führen hier einen Kampf gegen die Zeit“, sagt Stephen Wehner,
Geschäftsführer des Bergwaldprojekts. Noch sind 85 Prozent der Bäume im
Hochallgäu Fichten; viele von ihnen leiden unter Stress, weil sich der
Klimawandel hier bereits heute mit etwa zwei Grad höheren Temperaturen im
Vergleich zur vorindustriellen Zeit bemerkbar macht. „Nur ein Waldumbau
kann die Hänge auf Dauer stabilisieren - und das geht nur langfristig.“ Das
sieht der Forstbeamte Klaus Dinser ganz genauso.
Christel Schlüter freut sich, dass sie mit ihrem Einsatz dazu beitragen
kann. „Der Wald wird mir hier noch wichtiger und ich mach so was bestimmt
wieder. Beim nächsten Mal such ich mir aber vielleicht eine etwas flachere
Region.“
29 Oct 2010
## AUTOREN
Annette Jensen
## TAGS
Reiseland Deutschland
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