# taz.de -- Gerhard Schick über grüne Wirtschaftspolitik: "Wir meinen einen a… | |
> Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen erklärt, wie | |
> "Wohlstand für alle" gehen soll. Von den Reichen erwartet er mehr | |
> Bereitschaft zum Verzicht. | |
Bild: Grüne Politik lohnt sich für alle. | |
taz: Herr Schick, die Grünen erreichen in den Wahlumfragen derzeit Werte | |
von bis zu 24 Prozent. Sie sind in der bürgerlichen Mitte angekommen. Sind | |
Sie noch ein linker Politiker? | |
Gerhard Schick: Ja, wir Grünen stehen für Ökologie und Gerechtigkeit, für | |
Bürgerrechte und Emanzipation. Das ist nach wie vor eine Programmatik der | |
linken Mitte. | |
Das alles sind Ziele, denen sich auch die FDP verpflichtet fühlt. Muss eine | |
linke Partei nicht mehr die Systemfrage stellen? | |
Das tun wir doch, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik. Unsere derzeitige | |
Art zu wirtschaften hat uns ökonomisch, ökologisch und sozial in die | |
Sackgasse geführt. Das zeigen die Wirtschafts- und Finanzkrise, der | |
Klimawandel und die schwindende Artenvielfalt. Dieses Wirtschaftssystem ist | |
für Milliarden Menschen nicht in der Lage, die grundlegenden Bedürfnisse zu | |
decken, und verschärft die Spaltung zwischen Arm und Reich. Diese soziale | |
Schieflage ist gefährlich. | |
Aha, Zeit für eine Revolution? | |
Nein, Zeit für eine Transformation. Der Sozialstaat ist wie ein bewohntes | |
Haus. Auch wenn viel umgebaut wird, muss es immer bewohnbar bleiben. Es | |
gibt viel zu viele Menschen, die von sozialen Leistungen abhängig sind. | |
Deswegen wäre es gefährlich und unsozial, auf Crash und Neuanfang zu | |
setzen. Es kann also nur um Transformation gehen, damit diejenigen, die | |
Hilfe brauchen, sie auch immer bekommen. | |
Was soll am Ende stehen? | |
Ein Wirtschaftssystem, das die ökologischen Ressourcen unserer Erde und die | |
sozialen Beziehungen unserer Gesellschaft nutzt, aber keinen Raubbau daran | |
betreibt. Die dafür nötige Transformation schaffen wir nicht, indem wir nur | |
an zwei oder drei Rädchen drehen. Wir brauchen einen Green New Deal. | |
Auch Vertreter der Industrie beschwören einen milliardenschweren neuen | |
Green-Tech-Markt mit vielen Arbeitsplätzen. Letztendlich folgt dieser aber | |
auch dem Zwang zum Wirtschaftswachstum. Und auch Solarkraftwerke und | |
Windparks verbrauchen riesige Flächen und knappe Rohstoffe. | |
Und dennoch kann ich nicht sagen, wir wollen jetzt Null-Wachstum. Die | |
wenigen Jahre ohne wirtschaftliches Wachstum hatten bislang zwei Effekte: | |
Die CO2-Emissionen sanken - das ist positiv. Zugleich stiegen aber Armut, | |
Überschuldung und Arbeitslosigkeit. Im jetzigen Wirtschaftssystem | |
Nullwachstum anzustreben, wäre sozial unverantwortlich. Es ist aber | |
richtig, das Sozialsystem und den Arbeitsmarkt so umzubauen, dass wir immer | |
weniger abhängig werden vom Wirtschaftswachstum. | |
Zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Hier ist Ihre Partei | |
zerstritten. | |
Wir Grünen in Baden-Württemberg haben uns deutlich für die Einführung eines | |
Grundeinkommens ausgesprochen. Auf dem Bundesparteitag in Nürnberg waren | |
dann rund 60 Prozent der Delegierten dagegen. Das ist die Beschlusslage, an | |
die ich mich halte. Jetzt müssen wir uns aber wieder daran machen, unsere | |
sozialpolitische Position weiterzuentwickeln. | |
Der Landesvorsitzende der Grünen in NRW hat sich kürzlich für ein | |
bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 850 Euro ausgesprochen, Claudia | |
Roth hat in der Debatte um die Hartz-IV-Sätze gerade mal 420 Euro | |
gefordert. Ist die Basis weiter als die Parteispitze? | |
Es ist nicht realistisch, von jetzt auf gleich ein Grundeinkommen von 850 | |
Euro einzuführen. Ein Grundeinkommen kann nur aus dem bestehenden System | |
heraus in einzelnen Schritten entwickelt werden. Wir Grünen verfolgen mit | |
der Kindergrundsicherung ein erstes Projekt in diesem Sinne, 330 Euro für | |
jedes Kind unabhängig vom Einkommen der Eltern. Diese Summe muss aber | |
versteuert werden, sodass bei denen, die wenig verdienen, mehr übrig bleibt | |
als bei den einkommensstarken Familien. | |
Wollen das denn die von der CDU Enttäuschten, die Ihre Umfragewerte gerade | |
so hochtreiben? | |
Natürlich hat nicht jeder, der uns bei Antiatomdemonstrationen unterstützt, | |
das Grünen-Wahlprogramm gelesen. Aber es wächst die Bereitschaft, unseren | |
Argumenten zuzuhören, den Flyer mit unseren Programmpunkten nicht | |
wegzuwerfen, sondern durchzulesen. Das ist eine Chance für uns, auch in | |
anderen Bereichen: Wir können wahrgenommen werden als diejenigen, die | |
unangenehme Wahrheiten aussprechen und glaubwürdige Lösungen anbieten. | |
Die Begeisterung für unangenehme Wahrheiten endet schnell, wenn es ans | |
eigene Portemonnaie geht. | |
Ich mache die Erfahrung, dass unsere gerechtere Steuer- und Abgabenpolitik | |
zwar nicht Begeisterung, aber doch Zustimmung selbst bei reicheren Menschen | |
findet, die deutlich mehr zahlen müssten. Weil es einleuchtet, dass es | |
nicht akzeptabel ist, dass mehr als die Hälfte dieser Gesellschaft in den | |
letzten Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung nicht profitiert hat. | |
Trotzdem dauert es etwas länger, für manche Ideen Zustimmung zu finden. Bei | |
Stuttgart 21 haben wir 15 Jahre lang gesagt: Das ist falsch. Heute setzt | |
sich das durch. Und wenn wir jetzt für Inhalte, von denen wir überzeugt | |
sind, noch keine Mehrheiten haben, dann werden wir dafür werben. Das ist | |
Politik. | |
Sie werben für etwas, was viele Bürger Geld kostet… | |
Einige spannende Fakten werden in Deutschland bislang kaum wahrgenommen: | |
Die Vermögensbesteuerung ist, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, in | |
Großbritannien und den USA etwa drei- beziehungsweise fünfmal so hoch wie | |
hierzulande. Diesen Anteil, den dort Vermögende bestreiten, um staatliche | |
Leistungen zu zahlen, müssen in Deutschland allein die Arbeitnehmer | |
bezahlen. Wenn wir solche Schieflagen korrigieren, können wir statt | |
Wohlstand für wenige wieder Wohlstand für alle schaffen. | |
Die Grünen folgen Ludwig Erhard? Der wollte auch "Wohlstand für alle"… | |
…hatte aber einen anderen Wohlstandsbegriff. Wir meinen nicht das Geld für | |
den Zweit- oder Drittwagen. Wir sind die Partei der öffentlichen Güter und | |
denken an öffentlichen Verkehr, an bessere Bildungs- und Kulturangebote | |
nicht nur für die Elite, sondern für alle. | |
Klingt gut. Aber welche unangenehmen Wahrheiten würde man von einem | |
Bundesfinanzminister Gerhard Schick 2013 hören, der die Schuldenbremse ja | |
auch einhalten will? | |
Das ist ganz schön viel Konjunktiv. Für jeden Finanzminister gilt aber: Um | |
die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen, brauchen wir neben | |
strikter Ausgabenkontrolle mehr Einnahmen. Wir wollen eine Vermögensabgabe, | |
um Staatsschulden abzubauen. Und um die Anhebung des Hartz-IV-Satzes auf | |
420 Euro zu finanzieren, wollen wir den Spitzensteuersatz anheben. Im | |
Gesundheitssystem wollen wir eine Bürgerversicherung einführen, in die | |
alle, auch die jetzt noch privat Versicherten, einzahlen und bei der alle | |
Einkommensarten berücksichtigt werden. | |
Und wo wollen Sie sparen? | |
Unser Haushaltskonzept setzt auf die Abschmelzung ökologisch schädlicher | |
Subventionen und eine effizientere Steuerverwaltung. Wir planen außerdem | |
Einsparungen im Verteidigungsetat und bei einer Reihe von Verkehrsprojekten | |
- zum Beispiel bei Stuttgart 21. | |
31 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
S. Kosch | |
M. Lohre | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |