# taz.de -- Woche des Plattenladens: The last store standing | |
> Seit 25 Jahren betreibt Klaus-Peter Böhmelt DISCover in Bochum. Sein | |
> Plattenladen ist im Zeitalter von Amazon, iTunes, Saturn und Co. einer | |
> der Letzten seiner Art im Ruhrgebiet. | |
Bild: Auch im Ruhgebiet gibt's kaum noch Läden, wo man an der Nadel hängen ka… | |
Die Ecke Untere Marktstraße Bleichstraße zählt nicht gerade zu den | |
Sahnestücken der Bochumer Innenstadt. Hier sitzt die Arbeiterwohlfahrt | |
neben einem Bestattungsunternehmer. Gegenüber finden sich ein Eiscafé, ein | |
behelfsmäßiger Parkplatz und ein prägnantes Gesicht: Es ist das von | |
Klaus-Peter Böhmelt. Wenn man seinen Laden DISCover betritt, ertönt ein | |
Glöckchen. Der Türrahmen und das Schaufenster sind noch aus den 60ern. Im | |
Hintergrund singt John Grant "Where dreams go to die". | |
Das Ladenlokal misst etwa 40 Quadratmeter. CDs und Vinylschallplatten | |
bestimmen sein Innenleben. An den Wänden hat Böhmelt Poster platziert, | |
einen Postkartenständer sowie ausgesuchte LPs. Es duftet immer nach | |
frischem Kaffee. Einen besonderen Platz hinter dem Tresen nimmt ein | |
signiertes Foto ein, das den englischen Radio-DJ John Peel zeigt, der Mitte | |
der 90er extra zum zehnjährigen Jubiläum von DISCover anreiste. Den Club, | |
in dem die Party stattfand, gibt es natürlich längst nicht mehr. | |
Am ausgesuchten Geschmack des 2004 gestorbenen Peel orientiert sich Böhmelt | |
noch heute. Als er sich 1985 selbstständig machte, war der Bochumer Club | |
die "Zeche" Mittelpunkt der alternativen Szene im Ruhrgebiet. Böhmelt | |
schien der Zeitpunkt günstig. Erfahrung hatte er zuvor als DJ und Verkäufer | |
in diversen Plattenläden gesammelt. Bis Mitte der 90er lief alles gut. Dann | |
öffneten die großen Ketten - zuletzt etwa 2007 eine Saturn-Filiale in | |
unmittelbarer Nachbarschaft zu DISCover - und schließlich enterten iTunes | |
und amazon.de den Markt. | |
Trotzdem sind dem studierten Sozialarbeiter viele Kunden treu geblieben. | |
Für sie ist er eine Art Gradmesser geworden. "Das Verhältnis ist etwa 80 | |
Prozent Stammkunden zu 20 Prozent Laufkundschaft", sagt er. Seine | |
Stammkunden nennen ihn kurz "KP". Einer davon ist der Bochumer | |
Singer-Songwriter Tommy Finke, von dem zuletzt Anfang 2010 das | |
zweisprachige Album "Poet der Affen/Poet of the apes" erschien. Die Besuche | |
bei DISCover beschreibt er so: "KP greift zu einem Stapel Alben und legt | |
mir die hin, von denen er weiß, dass ich sie hören muss. Ich verlasse den | |
Laden mit mindestens einem Album, was danach Dauerrotation in meiner | |
Playlist bekommt. Musikalische Späterziehung, da ist KP ein guter Lehrer - | |
vielleicht sogar der Beste." | |
Bernd Kowalzik, Geschäftsführer von Roofmusic, dem Label von Finke, weiß um | |
den Wert von Läden wie DISCover: "Heute ist es sehr schwer, überhaupt 1.000 | |
Alben zu verkaufen. Partner wie Klaus-Peter Böhmelt hier in Bochum sind | |
wichtig, weil Vertriebe wie wir an einer vielfältigen Musikkultur zu fairen | |
Preisen interessiert sind." Roofmusic hat neben der Musik vor allem im | |
Hörbuch- und Kleinkunstbereich Fuß gefasst und arbeitet mit Erfolgsautoren | |
wie Hape Kerkeling oder Helge Schneider zusammen. | |
Böhmelts Kompetenz ist sein Erfolgsrezept. Das machte auch die Radiomacher | |
von byte.fm auf ihn aufmerksam. In der Sendung "Mixtape" war er bereits | |
zweimal zu Gast. "Die Masse an Musik wird heute immer unübersichtlicher. | |
Plattenläden wie DISCover sind wichtig, weil sie eine kompetente Vorauswahl | |
treffen und persönliche Empfehlungen aussprechen", sagt der Redakteur | |
Oliver Stangl vom Hamburger Sender. | |
Klaus-Peter Böhmelt erlebt viele Situationen, in denen ein vermeintlicher | |
Kunde sich erst umfangreich beraten lässt, um dann doch beim Saturn-Markt | |
um die Ecke zu kaufen: "Der scheinbar bessere Preis ist da wichtiger als | |
der Service. Es gibt Kunden, denen jedwedes Verantwortungsgefühl für den | |
kompetenten Einzelhandel fehlt." Die großen Ketten, das "Wohlstandsphänomen | |
Download" oder der bequeme Bestellservice amazon.de im Internet täten das | |
Übrige. | |
"Digital ist besser", sangen Tocotronic 1995, und die Ansage nahm sich die | |
deutsche Musikindustrie umgehend zu Herzen. Aber der Internethype sorgte | |
nicht für eine schnelle Umstrukturierung des Verkaufsmarkts. Bis heute ist | |
die CD zentraler Umsatzträger geblieben. Trotzdem wurden die | |
Plastikscheiben öffentlich als wenig zukunftsträchtig abgeschrieben. | |
Matthias Boettcher, Chef des Vertriebs Rough Trade in Köln, sieht darin | |
einen schwerwiegenden Kommunikationsfehler: "Man hat CD-Käufer zu Trotteln | |
erklärt, auch wenn die digitalen Formate absolut ihre Berechtigung haben." | |
Boettchers Firma verfügt nach eigenen Angaben über den größten lieferbaren | |
Musikkatalog für den Handel in Deutschland. | |
Diesen Eindruck bestätigt auch Carl Mahlmann, der über 30 Jahre für den | |
Branchenriesen EMI in Köln leitend tätig war. Mahlmann war Spezialist für | |
die Bereiche Vertrieb, Marktforschung und Chartermittlung. Bei einem | |
geschätzten Jahresumsatz von 1,4 Milliarden Euro in Deutschland beziffert | |
er den Anteil an digitalen Tonträgern für 2010 auf 13 Prozent. "Erstmals | |
ist der digitale Bereich damit zweistellig", sagt Mahlmann. Ohnehin sei die | |
CD der "deutlich stabilere Datenträger" im Hinblick auf Abspielfähigkeit | |
gegenüber dem MP3-Konkurrenten. Der Standpunkt Mahlmanns steht für den | |
Handel aber längst im Hintergrund. Alben und einzelne Songs lassen sich | |
heute bei den großen Ketten problemlos zu erheblich günstigeren Preisen | |
downloaden: Tommy Finkes Album gibt es bei Saturn digital für 8,29 Euro. | |
Bei DISCover kostet die Platte 14,99 Euro, dann allerdings mit nettem | |
Artwork zum Anfassen. | |
Beides kriegt man bei amazon.de, dem mittlerweile wohl größten | |
Einzelhändler für Independentmusik. Angaben zu Umsatz, Preisstrategie und | |
Kundenzahl macht der Konzern nicht. Fakt ist aber, dass dessen | |
Versandkaufstrategie - CD/Vinyl oder Download - hervorragend funktioniert. | |
Kenner der Branche schätzen den Umsatz im Bereich Tonträger in Deutschland | |
auf einen hohen dreistelligen Millionenbetrag. Über 16 Millionen Kunden hat | |
amazon.de allein in Deutschland. In punkto Markenstärke hat man Aldi und | |
Ikea überholt. | |
Die Musikindustrie sieht den Internetdienstleister nicht nur als | |
Handelspartner, sondern auch als eine Art kostenloses | |
Marktforschungsinstitut. Die Bestsellerlisten, Kundenrezensionen und | |
Recommendation Engines - "Kunden, die dies gekauft haben, haben auch jenes | |
gekauft" - liefern kostenlos gleich verbraucherspezifische Trends mit. | |
Läden wie DISCover gehen dagegen einer ungewissen Zukunft entgegen. Denn | |
sie markieren noch immer eine lebendige, familiäre Schnittstelle zwischen | |
Endverbrauchern und der Industrie. Es sind kleine, aber lebendige Foren der | |
Musikkultur. Seit 2009 veranstaltet die Hamburger Agentur allmymusic (amm) | |
nach amerikanischem Vorbild die "Plattenladenwoche", die genau diesen | |
Aspekt betont. Auch wenn die Musikindustrie das eine Woche dauernde | |
Großevent wohlwollend und fördernd begleitet, ist ebenso klar, dass das | |
große Geld woanders verdient wird. Für Labels und Vertrieb gilt: Der | |
Jahresumsatz des kleinen Plattenladens im Vergleich zu Konkurrenten wie | |
amazon.de oder Saturn ist minimal. Der Anteil der unabhängigen | |
Einzelhändler in Deutschland liegt zwischen fünf und zehn Prozent. "Leben | |
kann man eigentlich nicht von diesem Geschäft", sagt Klaus-Peter Böhmelt | |
und erzählt danach die Geschichte von einem 18-jährigen Mädchen, das bei | |
ihm ihren geerbten Plattenspieler aufgerüstet hat. Deshalb macht er heute | |
noch seinen Job gerne. Die letzten 25 Jahre DISCover sind trotz aktuell | |
fast übermächtiger Konkurrenz eine menschliche Erfolgsgeschichte, die ein | |
Stück weit in jeder Platte aus Böhmelts Laden steckt. Vor Kurzem hat ein | |
Freund für Böhmelt einen Flyer gebastelt. In kleinen Lettern steht unten | |
rechts in der Ecke: "The last store standing". | |
1 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
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