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# taz.de -- Expo in Shanghai geht zu Ende: Quer kam nur der Friedensnobelpreis
> Noch nie besuchten mehr Menschen eine Weltaustellung. Sie nahmen
> Wartezeiten bis zu sieben Stunden in Kauf. Der Deutsche Pavillon war der
> absolute Publikumsmagnet.
Bild: Abschlusszeremonie der Expo in Shanghai. Das Modell in der Mitte trägt e…
Die 70-Millionen-Grenze wurde eine Woche vor Schluss überschritten: So
viele Besucher hatte noch nie eine Expo zuvor, keine war so groß, keine hat
so lang gedauert. Nur Superlative. "A pat on the back of Shanghai" titelt
die China Daily - die Veranstalter klopfen sich auf die Schulter. Mit ihrem
Motto "Better City - Better Life" habe diese Riesenveranstaltung das
Umweltbewusstsein ihrer Besucher gefördert, so die lobenden Worte von
Vicente Gonzalez Loscertales, des Generalsekretärs des Bureau International
des Expositions.
Hat sie das wirklich? 242 Nationen wetteiferten mit ihren Pavillons um das
Interesse des Publikums - wohl auch im Hinblick auf Chinas Markt mit 1,3
Milliarden Konsumenten. Die ausländischen Teilnehmer haben 1,5 Milliarden
Dollar in diese Expo investiert. Und dennoch lief nicht alles reibungslos.
Loscertes räumt Fehler ein: Die Schlangen vor den Pavillons waren oft
kilometerlang, Wartezeiten bis zu sieben Stunden keine Seltenheit.
Alle Wetter, da hat also neuntausend Kilometer von Deutschland entfernt ein
Megaevent stattgefunden, und kaum einer hat es hier zur Kenntnis genommen.
Dafür gab es ein anderes, großes Ereignis, mit dem China alle Nachrichten
füllte: Die Vergabe des Friedensnobelpreises an den
Menschenrechtsaktivisten Liu Xiaobo. Von einer "schallenden Ohrfeige" oder
von "Dynamit für Peking" sprachen die internationalen Kommentatoren. Die
chinesische Presse mühte sich, das Ereignis zu verschweigen, Internetseiten
zum Thema wurden gesperrt. Dennoch erfuhr jeder Chinese davon, nur geredet
wurde darüber nicht. Eine Großmacht kommt nicht damit zurecht, dass ein
Dissident den Friedensnobelpreis erhält.
In diesen beiden Ereignissen - Expo und Friedensnobelpreis an Xiaobo -
spiegelt sich China. Und unser Verhältnis zu China. Ungebremstes Wachstum
mit der Expo als Symbol, restriktive Menschenrechtspolitik - ein
Spannungsfeld, das sich bis in unsere Haltung gegenüber China fortsetzt.
Wir müssen wahrhaben, dass China in zwanzig Jahren die führende
Weltwirtschaftsmacht sein wird, wir wollen Geschäfte mit dem Giganten in
Fernost machen - andererseits nutzen wir jede Gelegenheit zum
China-Bashing. In der Frage der Menschenrechte, der Geldpolitik, im Klima-
und Umweltschutz.
Sie hat, teilweise, ihre Berechtigung, diese bevormundende Rolle des
Auslands, diese westliche Arroganz im Hinblick auf China: Wir sollen uns
einmischen, wenn Menschenrechte nicht gewahrt werden, selbstverständlich.
Oslo wird Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis verleihen, unbedingt. Es ist
ein himmelschreiendes Unrecht, dass er für sein Eintreten für die Charta
2008 elf Jahre in einem chinesischen Gefängnis einsitzt. Seine Frau Liu Xia
will 145 Freunde und mehr zusammentrommeln, die anstelle ihres Mannes nach
Oslo fahren, um den Preis entgegenzunehmen. Dass fünfzehn ehemalige
Preisträger sich solidarisieren - all das ist gut, wichtig und richtig.
Aber haben wir als Außenstehende genügend Kenntnisse, eine uralte
Kulturnation zu belehren? In Staatsform das Land regiert wird, wie seine
riesigen Probleme zu lösen sind?
Offener und menschlicher sei das Regime geworden, bestätigen viele
Chinesen. Wilfried Eckstein, Leiter des Goethe-Instituts Schanghai und
profunder Kenner der Verhältnisse: "Trotz seiner menschenverachtenden
Politik verfügt diese Großmacht über eine Bildungselite, die sehr wohl
imstande ist, Strategien zur Lenkung seiner 1,3 Milliarden Menschen zu
entwickeln. Wo Bedarf besteht, werden die besten Denker und Spezialisten
der Welt zur Lösung der Probleme geholt. Und man kann wohl noch keine
liberalere Gangart anschlagen, weil man Angst hat, dass einem das Land
auseinanderbricht." Und ist nicht umgekehrt unsere Angst vor einem
drohenden Bedeutungsverlust wesentliches Motiv unserer Kritik? In China
spielt die Musik. Und die Musik, die hieß den ganzen Sommer über Expo in
Schanghai.
Im Gleichgewicht
Sie spielte auch im deutschen Pavillon. Der stand im Beliebtheitsranking
beim Publikum ganz oben und hatte - neben dem chinesischen und dem
russischen - die meisten Besucher aufzuweisen. Über vier Millionen werden
es am Ende gewesen sein. "Balancity" - die Stadt im Gleichgewicht zwischen
Erneuern und Bewahren, zwischen Innovation und Tradition, zwischen
Gemeinschaft und Individuum - war das Motto des deutschen Expo-Beitrages.
Schon die Architektur, der äußere Anblick spiegelt das wider: Seine
Einzelteile scheinen zu kippen und halten sich dennoch in Balance.
Lennart Wiechell, der Erfinder dieser Skulptur, ist noch einmal
vorbeigekommen, um gewissermaßen einen letzten stolzen Blick auf sein Werk
zu werfen: "Es ist spannend, durch diesen Pavillon zu gehen, und den
Chinesen - internationales Publikum fehlt weitgehend - zuzusehen, wie sie
die Inhalte aufnehmen: Sie scheinen sich wirklich zu interessieren."
Ob es daran liegt, dass der Pavillon auf kongeniale Weise die Bedürfnisse
seiner Rezipienten anspricht? Peter Redlin, Kreativdirektor und der Kopf
des Gestaltungsteams des Pavillons, hat mit seinen Leuten im Vorfeld
akribisch erforscht, worauf die Chinesen ansprechen. Er hat die optischen
und kinetischen Vorlieben seiner fernöstlichen Zielgruppe erforscht, indem
er beispielsweise das Erfolgsrezept eines chinesischen Ikea-Marktes in
Augenschein nahm. Feldforschung vor Ort also. Überall gibt es etwas zu
drücken, zu schieben, zu animieren - ein interaktiver Mitmach-Pavillon -
und er trifft die chinesische Seele mitten ins Herz. Sie schauen, sie
staunen, sie fotografieren, sie singen mit, sie lauschen. Aber lernen sie
auch? Es wirkt wie eine Mischung aus Neugier, Aufnahmebereitschaft und
aufrichtiges Interesse.
Die chinesischen Besucher schreien sich die Lunge aus dem Leib, wenn sie in
der "Energiezentrale", dem Zentrum des Pavillons, angekommen sind. Eine
riesige Kugel von drei Metern Durchmesser und bestückt mit LEDs, die wie
auf einem Bildschirm Motive erscheinen lassen, hängt von der Decke. Der
Clou an der Geschichte: Die Kugel kann durch Zuruf in Schwingung versetzt
werden. Das Publikum schreit von den Rängen, was das Zeug hält, die Kugel
dreht sich, sie pendelt, tanzt im Kreis. Die Message könnte nicht einfacher
sein: Gemeinsam können wir etwas bewegen, bewirken. Auch wenn, wie auf den
Stationen davor gesehen, die Ingredenzien einer mittelgroßen, deutschen
Idealstadt - der Marktplatz, der Schrebergarten mit virtuellen Kaninchen
und sprechenden Zipfelmützen, den Parkanlagen, das Grillen auf dem Balkon -
nicht auf eine chinesische Megacity übertragbar sind, so geht doch das
Konzept auf. Lobend hervorzuheben ist, dass die Deutschen zu den wenigen
Nationen gehören, die das Expo-Motto ernst genommen und thematisiert haben.
Nicht ohne Grund erhielt der deutsche Pavillon den "Expo-Oscar" für die
beste Umsetzung des Themas, war er der Publikumsliebling, und erhielt er
den internationalen Designpreis "red dot award" sowie die
"Exhibitor-Trophäe". Viele andere Länder zeigen sich dagegen in gehabter
Manier mit ihren Best-ofs.
Im größten und höchsten aller Expo-Bauten präsentiert sich das
Gastgeberland in einem pagodenförmigen, alles überragenden roten Pavillon.
"Oriental Crown". Er wird als einziger stehen bleiben. Der Inhalt ist
Indoktrination pur: Hier beginnt die Geschichte Chinas vor knapp vierzig
Jahren, mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Öffnung des Landes. Die
Errungenschaften dieser knapp vier Jahrzehnte werden in einem
atemberaubenden Erfolgsrausch gepriesen. Dass man sich selbst feiert, meint
mein chinesischer Guide, sei doch nur recht und billig und ein Zugeständnis
an die Leute, die so hart arbeiten mussten, um all dies zu erreichen. Ein
schlagendes Argument. Ein bisschen ist in der Oriental Crown auch von Grün
in der Stadt, von Nachhaltigkeit und von ressourcenschonendem Verhalten die
Rede - aber nur sehr am Rande.
Deutlicher ist da schon der beeindruckende Themenpavillon "Urban Planet"
von Triad aus Berlin. Eine düstere und wenig zukunftsoptimistische Show,
aber daher um so eindringlicher. Das Konzept ist von bestechender
Einfachheit: Die fünf Elemente der chinesischen Naturlehre -Wasser, Feuer,
Metall, Holz und Erde werden mit globalen Entwicklungen in Beziehung
gesetzt. Drastisch wird vor Augen geführt, was passiert, wenn diese fünf
Elemente verknappen, verseucht werden, verdorren, uns verbrennen. Dieser
"road of crisis" folgt die "road of solutions". In der Mitte der beiden
Wege fällt der Blick auf eine riesige Erdhalbkugel, auf die per Projektion
Metamorphosen des Blauen Planeten abgebildet werden. Vom vermeintlich
gesunden Zustand bis zu Versteppung oder einem immerwährende Eispanzer.
Auf Weltausstellungen werden keine Geschäfte abgeschlossen. Was also ist
heute ihr Sinn? Oder ist die Expo gar ein Auslaufmodell? Mitnichten. Ihr
Zweck ist nur seit ihrer Erfindung vor 159 Jahren ein anderer geworden.
Nicht mehr die Attraktionen aller Länder, nicht mehr die neuesten
technischen Errungenschaften, nicht mehr die größten Diamanten - alles an
einem Ort einem staunenden Publikum vorgestellt. Doch was stattdessen?
"Vielleicht übernehmen die Weltausstellungen die Funktion, ein großes Forum
zum Erhalt unseres Planeten zu schaffen und zur Bewusstseinsbildung
beizutragen, was nicht die schlechteste aller denkbaren Aufgaben wäre",
sagt Dietmar Schmitz, der Generalkommissar des Deutschen Pavillons, "wie
auch in zwei Jahren in Südkorea mit dem Thema "Lebender Ozean und die
Küste" und 2015 in Mailand mit dem Thema "Den Planeten ernähren, Energie
für das Leben". Perspektivisch gesehen wären wir am Ende der Megaschau alle
Gewinner.
2 Nov 2010
## AUTOREN
Christina Haberlik
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