# taz.de -- Debatte Privatisierung: Die staatliche Hängematte | |
> Soll das Ausbluten der Kommunen beendet werden, müssen alle geheimen | |
> Vertragswerke offengelegt werden. Die schützen nur die Investoren. | |
Politisch wichtige Entwicklungen beginnen heutzutage mit einer | |
Bürgerbewegung. Die hat meist klein an einem Küchentisch angefangen. Das | |
ist bei den Gegnern von Stuttgart 21 nicht anders als beim Berliner | |
Volksbegehren für die Offenlegung der geheimen Wasserverträge. | |
Die mediale Veröffentlichung eines Teils des Vertragswerkes macht den | |
Volksentscheid nicht überflüssig. Weitere Details zur Gewinnberechnung und | |
so weiter stecken auch in Anlagen, Nachträgen, Beschlüssen und | |
Nebenabreden. Sie gehören zu solchen Vertragswerken. In der | |
taz-Veröffentlichung fehlt etwa die Anlage 7.3 "Kauf- und | |
Übertragungsvertrag". | |
Der garantierte Gewinn | |
Vor allem muss die Struktur politischer Entscheidungen auf die Dauer | |
verändert werden. Die bisherige Geheimhaltung ist keine unbedeutende | |
technische Begleiterscheinung bei Privatisierungen. Sie ist ein | |
fundamentales antidemokratisches Merkmal: Das Interesse der privaten | |
Investoren steht über dem öffentlichen Interesse. Sie wollen möglichst | |
hohen Gewinn, sie wollen ihn auch noch staatlich garantiert haben, und sie | |
sind gleichzeitig zu feige, um dies öffentlich einzugestehen. Vielmehr | |
schwadronieren sie von höherer Effizienz, besserem Service, niedrigeren | |
Preisen, neuen Arbeitsplätzen und Abbau der öffentlichen Schulden. | |
RWE und Veolia sollten und wollten im kollektiven Privatisierungs-Hype der | |
Jahre um 2000 der "strategische Partner" sein, damit Stadtwerke überleben | |
und die genannten Ziele erreichen können. Sie kauften sich wie Eon und | |
Vattenfall in hunderte von Stadt- und Wasserwerke ein. Seitdem explodieren | |
bei den Berliner Wasserbetrieben (BWB) die Preise, Investitionen werden | |
zurückgefahren, es wurden 2000 Arbeitsplätze abgebaut, und die Gewinne | |
werden staatlich subventioniert. Das Land Berlin hat jetzt also noch | |
weniger Einnahmen und noch mehr Schulden. | |
Gleichzeitig haben sich RWE und Veolia den Kaufpreis von 1,6 Milliarden | |
Euro schon im ersten Jahrzehnt aus den Gewinnen zurückgeholt und können nun | |
noch zwei weitere Jahrzehnte lang voll zugreifen. Hätte Berlin damals einen | |
entsprechenden Kredit aufgenommen, wären Investitionen möglich gewesen und | |
die Milliardengewinne in der Stadt geblieben. | |
Die Geheimhaltung soll die Betriebsgeheimnisse der Investoren vor | |
Konkurrenten schützen, heißt es. Doch die Konkurrenten arbeiten alle | |
genauso. Gewinngarantie und Gewinnermittlung laufen überall nach demselben | |
Schema: Verzinsung wie langlaufende deutsche Staatsanleihen plus | |
Risikozuschlag. Das ist der wesentliche Grund für die Geheimhaltung: | |
Marktwirtschaft und günstige Preise werden vorgetäuscht. Dahinter werden | |
kaltschnäuzig, klüngelhaft und heimlich Staatsgelder abgezockt. Mit | |
gleichförmiger Renditegeilheit rekeln sich hinter dem Geheimhaltungsschirm | |
die Investoren in der staatlichen Hängematte. Getäuscht werden die | |
gewählten Volksvertreter und die Öffentlichkeit. Getäuscht werden auch die | |
Aufsichtsbehörden, etwa die Finanz- und Kartellämter, etwa bei der | |
Beauftragung von Drittfirmen, bei Zukäufen von Unternehmen, bei der | |
Preisgestaltung und der Einschaltung von Neben- und Tochterfirmen. | |
Sexsteuer ist keine Lösung | |
Daher muss die Offenlegung gesetzlich abgesichert werden. Nur offiziell | |
zugängliche und notariell beglaubigte vollständige (!) Vertragswerke können | |
zu parlamentarischen und gerichtlichen Verfahren führen. So geht es nicht | |
nur um den bisherigen Umgang mit den BWB, sondern auch um die weiteren | |
Verhandlungen bis hin zur Rekommunalisierung. Und es geht in Berlin auch um | |
den Umgang mit Wohnungen und Energieunternehmen, ob sie nun schon verkauft | |
sind oder (noch) nicht. | |
Kommunen und Bundesländer können sich aus eigener Kraft nicht aus der | |
Verschuldung befreien. Seit der Bankenrettung müssen sie noch stärker | |
bluten. Statt das ausgeleierte Klischee vom "Sparen" bis zum Erbrechen zu | |
bemühen, ist ein Tabubruch vonnöten: Die Kommunen brauchen neue Einnahmen! | |
Aber nicht neue Betten- und Sexsteuern und höhere Eintrittspreise für | |
Museen und Schwimmbäder, sondern Anteile von endlich eingetriebenen und | |
neuen Steuern aus Gewinnen, großen Einkommen und Vermögen. | |
Die Exitstrategie | |
Notwendig ist ein staatlicher Infrastrukturfonds. Der Staat hat das Geld | |
oder er kann es beschaffen. Bei den Oberpleitiers wie Hypo Real Estate, | |
IKB, Westdeutsche Landesbank, HSH Nordbank und Bayerische Landesbank, die | |
Milliarden aus der Staatskasse bekommen, hat kein einziger Bürger ein | |
Konto. Aber an der Infrastruktur, an den Trinkwasseranlagen, an den Strom-, | |
Gas- und Fernwärmeleitungen, an den Abwasserkanälen, an Schulen, Straßen | |
und Brücken hängt die Existenzsicherheit und die Lebensqualität aller | |
Bürgerinnen und Bürger. | |
Nötig ist auch ein Bundesgesetz zur Rückverstaatlichung und | |
Rekommunalisierung: Die Privatisierungsverträge sind rückwirkend | |
offenzulegen, damit auch die Nachträge, Beschlüsse und Nebenabreden auf | |
Rechtsbrüche, Täuschungsmanöver und falsche Versprechungen überprüft werden | |
können. Seit "Cross Border Leasing" gehören gezielte Rechtsbrüche zu den | |
Geheimverträgen. | |
So konnte die RWE wegen eines aufgedeckten Kartellverstoßes kürzlich | |
gezwungen werden, den 2003 gekauften Anteil der Stadtwerke an die Stadt | |
Leipzig herauszurücken, und zwar zu einem niedrigeren Preis als beim | |
Verkauf. In 180 Geheimverträgen deutscher Städte dürften solche und | |
ähnliche Gründe für eine Rückabwicklung stecken. Sie würde den Kommunen | |
Milliarden bringen, die künftigen Einnahmen noch gar nicht eingerechnet. | |
Ähnliches gilt für die etwa 2.000 kommunalen Konzessionsverträge, über die | |
bis 2103 neu entschieden wird. | |
Ein solcher Fonds und ein solches Gesetz sind von der gegenwärtigen | |
Bundestagsmehrheiten erst einmal nicht zu erwarten. Diese in die Ecke | |
gedrängten Ideologen mit der rosa Bankenbrille sind gegen gute Argumente | |
allergisch. Von 270.000 Unterschriften ist die Berliner Landesregierung | |
immerhin überrascht, auch beunruhigt. Nur Bürgerbewegung bringt Bewegung. | |
7 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Werner Rügemer | |
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