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# taz.de -- Montagsinterview mit Label-Chef Christof Ellinghaus: "Platten verka…
> Keine Berliner Plattenfirma war so lange international so erfolgreich wie
> seine, wie City Slang. Das Label und sein Chef Christof Ellinghaus feiern
> am Wochenende 20-jähriges Bestehen.
Bild: "Ich weiß, dass ich nicht mehr 20 bin. Und ich muss vor allem nicht mehr…
taz: Herr Ellinghaus, wie alt sind Ihre Kinder?
Christof Ellinghaus: Victor ist eben 15 geworden, Olga wird im Frühjahr 12.
Mögen sie die Musik, die ihr Vater seit 20 Jahren auf seinem Plattenlabel
City Slang herausbringt?
Victor mag zumindest Health und Caribou. Bei Olga sind es Dear Reader,
Calexico und Barbara Panther.
Aber wenn der Vater auf Arbeit ist, dann hören sie heimlich Lady Gaga?
Nicht gerade Lady Gaga, aber Olga hört schon eher Rihanna, Miley Cyrus und
überhaupt diese Disney-Bands. Und Victor mag am liebsten Electro-Geballer.
Der sagt zu mir: "Papa, mach nicht immer so schluffige Sachen."
Ist das der typische Generationenkonflikt?
Ach, zu Hause ist der gar nicht so schlimm. Den merke ich eher im Büro. Ich
bin hier doch umzingelt von Menschen Anfang zwanzig. Ich bin teilweise ein
Vierteljahrhundert älter als die. Die kommen manchmal mit Sachen um die
Ecke, da muss ich lange drüber nachdenken, ob ich die jetzt gut finden
kann. Ich hab ja zwei Herzen in meiner Brust: Ich lass mich auch gern mal
von einer Band wie Health anschreien, aber das muss ich nicht jeden Tag
haben. Genauso gern gehe ich am Sonntagabend in die Passionskirche und höre
mir Kurt Wagner und Courtney Tidwell und ihre langsamen Country-Balladen
an. Also ich stelle fest: Ich habe einen entschieden breiter gefächerten
Musikgeschmack als die jungen Leute.
Fühlen Sie sich nie zu alt für Ihren Beruf?
Entschuldigung, ich bin 47 und nicht 67. Fragen Sie mich noch mal in 20
Jahren.
Ich frage aber schon heute.
Nein, so hab ich das noch nie gesehen. Ich weiß, dass ich nicht mehr 20
bin. Und ich muss vor allem nicht mehr so tun. Das hab ich längst gelernt.
Die Popmusik ist einfach in die Tage gekommen - und mit ihr die
Protagonisten auf der Bühne und die vor der Bühne.
City Slang wird es also auch noch in 20 Jahren geben?
Ich hoffe, dass mein Sohn das dann macht und das Familiengeschäft weiter
führt. (lacht) Aber ob ich das in 20 Jahren noch mache? Da stellt sich ja
vor allem die Frage, ob das ökonomisch dann noch Sinn macht. Die
Labelarbeit ist eine ständige Gratwanderung zwischen künstlerischem
Anspruch auf der einen Seite und meinem Bankberater auf der anderen, den
ich anbetteln muss, mal wieder die Kreditlinie zu erhöhen. Wir sind immer
in einem gewissen Schuldenstand - und da stellt sich schon die Frage, wie
lange man das noch machen möchte.
Und: Wie lange noch?
Weiß ich nicht. Es gibt Berge und Täler. Solange ich das Gefühl habe, da
kommt mal wieder ein Berg, mach ich auch weiter. Außerdem: Wenn man in
einem Tal ist, wenn man mit 100.000 Euro in der Kreide steht, dann kann man
gar nicht aufhören, weil man dann die 100.000 ja mitnimmt und aus denen nie
wieder rauskommt.
Es muss doch mal bessere Zeiten gegeben haben, goldene mit Schampus und
Kaviarschnittchen.
Das war ja nie unser Stil, die Schnittchen - selbst in der kurzen Phase, in
der City Slang an das Major-Label Virgin angedockt war.
Sie müssen aber noch nicht Taxi fahren?
Noch nicht.
Würden Sie das tun, um Ihr Label zu retten?
Nein, wahrscheinlich nicht. Da würde ich nur Taxi fahren. Aber ich will
nicht schwarzmalen: Es gibt schon auch immer wieder Zeiten, in denen man
ganz gut davon leben kann.
Klingt wenig enthusiastisch. Warum machen Sie weiter?
Na, in erster Linie schon wegen der Musik. Wir haben in diesem Jahr viele
tolle Platten veröffentlicht. Keine von denen wird die Musikrevolution
auslösen, das weiß ich auch. Aber das sind alles Platten, auf die ich stolz
bin. Aber warum ich weitermache? Ich habe nichts anderes gelernt. (lacht)
Sie wollten ursprünglich Journalist werden.
Ich habe Geschichte, Publizistik und Politologie studiert, aber ganz
ehrlich: Ich bin da zwar hingegangen, aber hab eigentlich nicht studiert.
Ich fand den Wissenschaftsbetrieb schrecklich. Aber ich hab sogar ein
Praktikum gemacht bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen.
Was ist dann schiefgegangen?
Ich habe mein Hobby zum Beruf machen können. Und ich habe ziemlich viel
Glück gehabt, dass ich über einen Zeitraum von 20 Jahren damit
durchgekommen bin.
Alles nur Glück?
Wir hangeln uns von Jahr zu Jahr. So ist das Geschäft. Dazu braucht man ein
paar Platten, die das Grundrauschen finanzieren. Das ist das Standbein.
Dazu brauchst du noch ein Spielbein, ein paar Sachen, die man neu
entwickelt. Aber eine Band zu etablieren, das kostet Geld. Das Problem ist
nur, dass sich solch ein Investment heutzutage kaum noch lohnt. Was wir
zurückkriegen, das sind eigentlich nur noch Almosen.
Das klingt nach Idealismus.
Es ist so lange nicht Idealismus, solange eine schwarze Null druntersteht,
ich mir monatlich noch ein Gehalt auszahlen und meine Familie ernähren
kann. Ich lebe davon seit ungefähr 1995. Dazu steckt man manchmal tief in
den Schulden, und dass man da wieder rauskommt, das hängt manchmal von
einer Platte ab.
Warum trägt man so ein Risiko, wenn man gar kein Idealist ist?
Vielleicht missionarischer Eifer?
Und dann wird die ganze Aufbauarbeit ignoriert.
Ja, das passiert. Wir nehmen irgendeine Band, die bis gestern niemand
kannte, und versuchen Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Wenn das klappt,
kommen die Kritiker und finden die Band auch toll. Dann füllen sich die
Clubs, die Band verkauft ein paar T-Shirts und auch einige Platten auf
Tour. Dann haben wir als Plattenfirma aber noch lange nichts davon: Das
Drumherum funktioniert zwar, wir haben das angestoßen, aber die Platten
werden nicht verkauft. Wir sind, was die Verkäufe angeht, wieder auf einem
Stand wie in unseren Anfangsjahren 1992 oder 1993. Wir verkaufen von
mancher großartigen Platte europaweit manchmal nur noch 2.500 Stück, das
meiste davon in Deutschland, England und Frankreich. In manche Länder wie
Italien oder Österreich liefern wir nicht mal mehr zweistellige Stückzahlen
aus. Da kommen dann stolze Zwischenmeldungen: Wir haben jetzt 75 Platten in
die Läden gebracht. Platten verkaufen ist heutzutage wohl grundsätzlich
eine blöde Idee.
Was tun?
Wir haben auch eine Booking-Agentur, die Konzertreisen organisiert, wir
haben ein Merchandising-Unternehmen, das Textilien nicht nur für unsere
eigenen Bands herstellt. Das sind kleine Zubrote, die aber immer wichtiger
werden und irgendwann die Plattenfirma subventionieren.
Das muss doch frustrierend sein.
Das ist der Gang der Dinge. Aber wenn ich mich ständig darüber aufregen
würde, was alles scheiße läuft in dieser Branche, dann hätte ich mir längst
die Kugel gegeben. Aber natürlich habe ich auch den Blues geschoben: Im
Sommer 2007 haben wir lauter Platten veröffentlicht, die kein Mensch haben
wollte. Wir kamen an einen ruinösen Punkt, und ich begann mich in eine Art
Depressionsschleife einzuwickeln. In diesem Musikbusiness-Blues kann man es
sich recht bequem einrichten. In dem Frühjahr haben Arcade Fire aus
gesundheitlichen Gründen auch noch ihre Deutschlandtournee abgesagt, und
ihre Plattenverkäufe brachen ein, denn heutzutage hören Platten nach vier
Wochen auf, sich zu verkaufen. Mir gings also richtig scheiße. Im Sommer
war dann der Sänger wieder gesund, und ich bin zum Nachholtermin nach Köln
gefahren. Das Konzert war großartig. Ich war danach wie ausgewechselt, ein
ganz anderer Mensch, voller Energie und bereit weiterzumachen. Da haben
Arcade Fire mein Label gerettet - und mich. Solche Momente braucht es
manchmal.
Wie oft gibt es diese Momente?
Jedenfalls oft genug. Am häufigsten, wenn ein Künstler die neuesten Songs
schickt und man feststellt, der hat einen riesigen Schritt gemacht. Ob nach
links, nach rechts oder nach vorn, das ist egal. Nur nach hinten ist nicht
so gut. (lacht) Wenn ich so was höre, so ein genialisches
Überraschungsmoment, dann jubele ich laut los und danke dem lieben Gott für
die Musik.
Diese Musik hat kaum noch einen Wert.
Ich würde nicht sagen, die Musik hat keinen Wert mehr. Aber ihr Stellenwert
hat sich verändert. Früher bist du zu deinem Plattendealer gegangen, hast
20 Mark bezahlt, und zu Hause durftest du dann entscheiden, ob dir das
überhaupt gefällt. Heute ist die Musik schon überall, bevor du sie
überhaupt kennst. Du kannst dir alles vorher anhören und dann entscheiden,
ob du dafür Geld bezahlen willst. Du kannst es aber auch sein lassen und
trotzdem weiter die Musik hören. Das Musikgeschäft ist eine
Almosenindustrie. Und wenn jemand vorbeikommt und uns was hinwirft, sollten
wir sehr dankbar sein.
Ist das Problem vielleicht, dass Popmusik eigentlich nie eine Ware im
klassischen Sinne war, sondern selbst eine Firma wie City Slang schon immer
eher ein Lebensgefühl verkauft hat?
Ich hab nie ein Lebensgefühl verkauft. Ich will Teil einer Jugendbewegung
sein? Das waren wir nie. HipHop oder Metal, das waren Musiken, die mit
einem hohen Identifikationsgrad ausgestattet sind. Das funktioniert beim
Indie-Rock erst, seit die Markenartikler massiv ins Geschäft eingegriffen
haben. Heute sieht man zum Beispiel auf dem Melt-Festival einen Kosmos aus
Jugendlichen, die sich mit Hipstermode und gewissen Haarschnitten selbst
inszenieren, oft auch schon selbstironisch. Aber dafür bin ich viel zu alt.
Fühlen Sie sich wie ein Dinosaurier?
Ich fühle mich wie ein Dinosaurier, aber vor allem deshalb, weil sich immer
wieder Zwanzigjährige finden, die ein Label aufmachen. Dann denke ich: Seid
ihr eigentlich irre?
City Slang wurde im Jahr der Wiedervereinigung gegründet. Hat das je eine
Rolle gespielt?
Ja, der Markt hat sich vergrößert. Gerade Leipzig und Dresden vibrieren
ganz anders, intensiver sogar als Berlin. Die Konzerte sind immer toll da,
da gibt es lebendige Szenen. Aber ansonsten? Nein, das hat nie eine Rolle
in unserer Arbeit gespielt.
Sie haben nur selten Bands aus Deutschland verpflichtet. Ist deutsche
Popmusik zu schlecht?
Über das Niveau, auf dem hier musiziert wird, lamentiere ich ja schon
lange. Aber das größere Problem ist, dass ich nach Musik suche, die ich in
ganz Europa, vielleicht sogar weltweit vermarkten kann. Und wenn du mit
deutscher Musik nach England oder in die USA gehst, dann lachen sie dich
aus. Dort funktioniert deutsche Musik, ob das Kraftwerk ist oder Rammstein,
nur wenn sie etwas sehr Deutsches hat, also ein
Caspar-David-Friedrich-Moment, ein teutonisches Moment oder dieses
Technoide. Die Skandinavier kommen mit Aufgüssen durch, aber hier heißt es
immer: "Ganz gut für eine deutsche Band." In England hilft dir das nicht
weiter.
Die Kreativhochburg Berlin ist also nur ein Marketingtrick des Regierenden
Bürgermeisters?
Ja, finde ich schon. Für mich sind Städte wie Paris, London oder Amsterdam
immer noch aufregender als Berlin. Wir haben jedenfalls mehr Bands aus
Portland, Oregon, unter Vertrag als aus Berlin. Allerdings kommen
mittlerweile immer mehr Leute hierher, die von der Stadt angezogen sind.
Deshalb haben wir jetzt auch ein paar Berliner auf dem Label: Cherry
Macneil von Dear Reader ist aus Johannesburg hierhergezogen, Barbara
Panther kommt aus Ruanda und ist in Brüssel aufgewachsen. Aber Konstantin
Gropper alias Get Well Soon, der zwischenzeitlich auch in Berlin lebte, ist
zurück nach Mannheim gezogen.
Ist City Slang überhaupt ein Berliner Label?
Ja klar, schon weil wir hier wohnen. Aber wir sind sicher kein Label, das
sich um Berlin verdient gemacht hat. Das können wir nicht gerade behaupten.
Für mich ist Berlin nach wie vor eine große Kiste voller Demo-CDs - und
diese Kiste ist voller Müll.
Liegt das daran, dass die Genres, in denen Berlin stark ist, Techno und
Electronica, Sie selbst nie interessiert haben?
Ja, das stimmt schon. Ich darf also meine Pauschalverurteilung
zurücknehmen. Berlin ist tatsächlich sehr kreativ. Mein erstes Büro war
übrigens nur durch eine Trockenbauwand vom Studio von Westbam und Klaus
Jankuhn getrennt. Ab 17 Uhr donnerten von nebenan die Beats.
15 Nov 2010
## AUTOREN
Thomas Winkler
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