# taz.de -- Dokudrama über Holocaust-Überlebene: Im Vorhof des Gelobten Landes | |
> Gelungener Film: "Die Kinder von Blankenese" (Mittwoch, 20.15 Uhr, Arte) | |
> erzählt von Holocaust-Überlebenden, die in Hamburg auf die Ausreise nach | |
> Palästina vorbereitet wurden. | |
Bild: Es bleibt ein Hauch von Künstlichkeit: Mit TV-Ästhetik lässt sich der … | |
Kritiker bemängeln gelegentlich, dass in Dokudramen Zeitzeugen zu kurz | |
kämen. Dabei liegt das in der Natur des Genres. "Es ist viel Berührendes | |
weggefallen", sagt Raymond Ley über die Arbeit an der Doku "Die Kinder von | |
Blankenese" (Mittwoch, 20.15 Uhr, Arte). "30 bis 40" Zeitzeugen hat er | |
interviewt, 16 kommen schließlich vor. | |
Sein neuer Film erzählt die Geschichte einer Gruppe von | |
Holocaust-Überlebenden, die zwischen 1946 und 1948 für wenige Monate in dem | |
Warburg Children Health Home in Hamburg-Blankenese lebten. Das Heim, in dem | |
die Kinder auf die Ausreise nach Palästina vorbereitet wurden, war auf | |
Initiative des Bankierssohns Eric Warburg entstanden. | |
Für die Kinder war es eine kurze, aber eine prägende Zeit. "Viele haben | |
untereinander geheiratet", sagt Tamar Landau (79), eine von Leys | |
Zeitzeugen. Das gilt auch für die pensionierte Kindergärtnerin, die mit | |
ihrem 81-jährigen Gatten Simcka Landau anlässlich einer Festivalvorpremiere | |
des Dokudramas aus Jerusalem nach Hamburg gekommen ist. | |
Da Leys Gesprächspartner zu unterschiedlichen Zeiten in Blankenese waren, | |
habe er die Statements "auf eine Zeitschiene" bringen müssen, sagt der | |
Regisseur. Auch deshalb musste die ein oder andere Episode wegfallen. Die | |
Montage gelingt dem Dokudramaspezialisten ("Eichmanns Ende", "Die Nacht der | |
großen Flut") letztlich so gut, dass man die Unterschiede zwischen | |
Spielszenen und Interviewpassagen kaum bemerkt. | |
Gleichwohl offenbart der Film in den Spielszenen Schwächen. In der | |
Anfangsphase schildert Ley einen Todesmarsch von KZ-Häftlingen, den Tamar | |
Landau und andere "Kinder von Blankenese" überlebt haben. Dabei erweist | |
sich einmal mehr, dass TV-Ästhetik nur ein bedingt adäquates Mittel ist, | |
wenn man NS-Terror greifbar machen will. Wenn der Zuschauer die zerlumpten | |
Häftlinge sieht, macht er sich eher Gedanken darüber, wie den Darstellern | |
mühevoll ein elendes Aussehen verpasst wurde, als dass er in die Geschichte | |
hereingezogen würde. Es bleibt ein Hauch von Künstlichkeit. | |
Hauptsächlich rekapituliert der Film das Leben der "Kinder von Blankenese" | |
in Elbstrandnähe, das, abgesehen von gelegentlichen antisemitischen | |
Äußerungen der Bevölkerung, relativ idyllisch war. | |
Viele Darsteller deuten größeres Potenzial an, vor allem die 15-jährige | |
Rosa Lenz, die die junge Tamar Landau verkörpert. Als Zuschauer fiebert man | |
mit den Figuren mit, die von der Vorfreude auf die Ausreise und ein Leben | |
im Kibbuz erfüllt sind. Umso überraschender das Ende des Films, das | |
"nachdenklich" ausfällt, wie Regisseur Ley selbst es ausdrückt. "Es dauerte | |
20 Jahre, bis ich in die Kibbuzgesellschaft aufgenommen wurde", sagt da | |
Yossef Erez, einer der Zeitzeugen. Er hatte sich eine schnellere | |
Integration erhofft. | |
Simcka Landau äußert sich bei seinem Besuch in Hamburg differenzierter als | |
Erez im Film: "Palästina war arm, und die, die kamen, hatten überhaupt | |
nichts. Dennoch musste keiner von uns betteln oder hungern. Für die meisten | |
aus unserer Gruppe war es ein positiver Neuanfang." Die Menschen in | |
Palästina hätten "wahrscheinlich verstanden, dass die Überlebenden des | |
Holocaust aufgrund ihres Schicksals besondere Aufmerksamkeit benötigten", | |
ergänzt er. "Aber einen Ansatz dafür hatten sie nicht. Heute würde man eine | |
Schar von Psychologen einsetzen." | |
Damit, dass Millionen Menschen nun einen Teil seiner Geschichte im | |
Fernsehen sehen, hat der frühere Mitarbeiter des israelischen | |
Wirtschaftsministeriums kein Problem. "Von dem Persönlichen, was mir | |
gehört, erzählt der Film nichts", sagt er, "unsere Vergangenheit vor der | |
Befreiung kommt ja nicht vor." | |
17 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Rene Martens | |
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