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# taz.de -- "Rolling Stone" in Uganda: Schwulenhetze als Verkaufsschlager
> Homosexualität ist in Uganda tabu. Das nutzt die Wochenzeitung "Rolling
> Stone". Sie outet die "Top-Homos" und macht dank der
> Schwulenfeindlichkeit kräftig Auflage.
Bild: Nutzt Homophobie für bessere Verkaufszahlen: ugandische "Rolling Stone":
Zeitungsverkäuferin Saina Dedumbwe streicht die Eselsohren glatt. Eine neue
Lieferung der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Rolling Stone ist eben
eingetroffen - ihre Lieblingszeitung, wie sie begeistert zugibt: "Die
verkauft sich so gut." Die dreißig Ausgaben, die Dedumbwe am Vortag
druckfrisch geliefert bekommen hatte, waren sofort weg gewesen.
Kein Wunder, die Schlagzeilen versprechen Sensationelles: "Homo-Generäle
zettelten die Terroranschläge in Kampala an", steht in Großbuchstaben auf
der Titelseite. Darunter ein Foto von vermummten Terroristen in Uniform und
mit Kalaschnikows. "Ganz exklusiv", preist Dedumbwe.
Die Frau mittleren Alters mit weißem Kopftuch, die einen pinken Lippenstift
aufgetragen hat, hockt im Schneidersitz auf einer Decke am Bordstein von
Ugandas belebtester Hauptverkehrsachse in Kampala. Es ist heiß und stickig
an diesem Montagmorgen. Die Autos rollen in Schrittgeschwindigkeit vorbei.
Der stockende Berufsverkehr beschert Dedumbwe einen guten Umsatz. Die
meisten Hauptstädter gehen lieber zu Fuß zur Arbeit - und besorgen sich am
Zeitungsstand noch eine Lektüre für die Mittagspause.
So auch Anwalt Sam Ko-Malumba, der sich im rot-grauen Polohemd über
Dedumbwes Angebot beugt und nach Ugandas meist verkauften Tageszeitungen
New Vision und Monitor greift. Da streckt ihm Dedumbwe den Rolling Stone
entgegen: "Hier, das solltest du kaufen - ganz exklusiv", sagt sie
lächelnd. Ko-Malumba zieht neugierig die Augenbrauen hoch, schlägt die
dargebotene Titelgeschichte auf und beginnt erstaunt zu lesen.
Verschwörungstheorien
Die Selbstmordattentäter, die sich während des WM-Endspiels in der
Zuschauermenge in Kampala in die Luft gesprengt hatten, sollen "im Auftrag
einer Gruppe todbringender Homosexueller gehandelt haben, die im Ausland
leben", behauptet die Zeitung. Beweise nennt sie nicht. Die Journalisten
zitieren einen ominösen "regionalen Geheimdienst-Offizier" ohne Namen, den
sie angeblich via Satellitentelefon interviewten. Und auch mit den
gefürchteten ugandischen Rebellen der LRA ("Widerstandsarmee des Herren")
sollen die Schwulen unter einer Decke stecken.
Nach Ende seiner Lektüre guckt Ko-Malumba die Zeitungsverkäuferin aufgeregt
an. "Diese Homos sind teuflisch", sagt er. Er könne sich durchaus
vorstellen, dass sie mit Terroristen und Rebellen zusammenarbeiten,
immerhin hätten sie einen gemeinsamen Feind, die Regierung: "Wir müssen uns
vor den Schwulen in Acht nehmen, das habe ich immer gesagt!", beteuert er
und blättert weiter durch die Zeitung.
Ugandas Zeitungsmacher haben die Schwulenhetze als auflagensteigerndes
Moment entdeckt. Allen voraus das Klatschblatt Rolling Stone. Bereits
Anfang Oktober outete die damals noch unbekannte Zeitung die "100 Top-Homos
in Kampala". Auf den Folgeseiten war eine Serie schlecht gedruckter
Schwarz-Weiß-Fotos von Männern in anzüglichen Posen zu sehen. Darunter
jeweils Name, Wohnort und Angaben zur Penisgröße. In der nächsten Ausgabe
vor zwei Wochen wurde die Fotoserie fortgesetzt. Der Leitartikel deckte
eine vermeintliche Verschwörung auf: Homosexuelle würden Lehrer bestechen,
damit diese Schüler einer Gehirnwäsche unterziehen, um sie von
homosexuellen Neigungen zu überzeugen.
Mit solchen reißerischen Schlagzeilen treffen die Medien den Nerv der
Ugander. Denn in Uganda gelten Homosexuelle als "Sünder".
Geschlechtsverkehr "wider die Gesetze der Natur", also beispielsweise mit
gleichgeschlechtlichen Partnern, ist verboten. Es gibt ein Sprichwort in
Uganda: "Gott schuf Adam und Eve und nicht Adam und Steve."
Vor rund einem Jahr wurde im Parlament ein Gesetzesvorschlag eingebracht,
der das bislang bestehende, sogenannte Anti-Homosexuellen-Gesetz noch
verschärfen sollte. Sogar von der Todesstrafe für Homosexuelle war die
Rede, bis internationale und lokale Menschenrechtsorganisationen auf die
Barrikaden gingen. Geberländer wie Schweden drohten damit, die Hilfsgelder
einzustellen. Auch die Bundesregierung zeigte sich "besorgt". Präsident
Yoweri Museveni pfiff daraufhin die Hetzer zurück. Seitdem war es still
geworden um den neuen Gesetzentwurf.
Doch jetzt gelang dem Rolling Stone ein Megacoup. Denn nun dreht sich knapp
drei Monate vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen im Februar 2011
alles nur noch um Homosexuelle. Sie werden von Politikern, Medien und
Kirchenvertretern zu Sündenböcken für all die Probleme stigmatisiert, die
die Regierung nicht in den Griff bekommt: als Verursacher der inzwischen
wieder steil ansteigenden Aids-Rate; für die Rebellenbewegungen, die seit
Jahrzehnten gegen Ugandas Regierung kämpfen - sowie für die
Selbstmordanschläge während des WM-Endspiels.
Spricht man den Chefredakteur des Rolling Stone auf die Hetzkampagne gegen
Homosexuelle an, guckt dieser wie ein Unschuldslamm: "Wir müssen diese
Gefahr für die Gesellschaft bekämpfen", erklärt er unverblümt.
Jungherausgeber Giles Muhame hockt auf einem Plastikstuhl unter einem
Sonnenschirm in der Kantine der Makerere-Universität, wo er bis vor wenigen
Monaten Kommunikationswissenschaften studierte. Der 22-Jährige hatte als
Student für das Boulevardblatt Red Pepper gearbeitet, das bereits vor zwei
Jahren mit Geschichten über Schwule die Verkaufszahlen in die Höhe
getrieben hatte.
Diese Marketingstrategie hat sich Muhame abgeguckt, das gibt er zu. Von
seinen Eltern hat er sich das Geld geliehen, um die Wochenzeitung
herauszubringen. Feste Anzeigenkunden hat er noch nicht. Muhames Augen
funkeln, wenn er von seinem Senkrechtstart in der hart umkämpften
ugandischen Medienlandschaft erzählt: Die erste Ausgabe seiner
Schwulenserie hatte eine Auflage von 2.000 Exemplaren, davon habe er 95
Prozent verkauft, sagt Muhame. Die Fortsetzungsausgabe sei 5.000-mal
gedruckt worden, eine gute Auflagenzahl für ein Hauptstadt-Medium. "Sie war
binnen weniger Tage ausverkauft!"
Auch Muhame selbst ist zu einer Berühmtheit geworden: Fernsehsender wie
BBC, CNN und al-Dschasira haben ihn interviewt - und allen hat er denselben
Satz ins Mikrofon gesagt: "Wenn eine junge Schlange in dein Haus eindringt,
wartest du ja auch nicht, bis sie groß ist und dir was antut - sondern du
tötest sie." Der Vergleich mit Schlangen weckt böse Erinnerungen. Auch vor
dem Völkermord 1994 im benachbarten Ruanda waren die Tutsi als Schlangen
bezeichnet worden, um sie zu entmenschlichen. Viele der rund 800.000 Opfer
des Genozids wurde mit Macheten zerhackt, so wie man in Afrika Schlangen
tötet.
Erfolg vor Gericht
Gegen diese Hetzkampagne ist nun die nicht registrierte Selbsthilfegruppe
zum Schutz von sexuellen Minderheiten (SMUG) vor Gericht gezogen. SMUG hat
einen ersten Erfolg erwirkt. Laut Gerichtsbeschluss vom 4. November darf
der Rolling Stone vorerst keine Privatangaben zu Homosexuellen mehr
publizieren, bis der Richter ein endgültiges Urteil gesprochen hat. Nächste
Woche soll die nächste Anhörung stattfinden.
Es gehe darum, die Unversehrtheit der Homosexuellen zu schützen, erklärt
Frank Mugisha, Vorsitzender von SMUG. Am Tag nach dem vorläufigen
Gerichtsbeschluss sitzt er erschöpft in seinem verwinkelten Büro in einer
Mittelklasse-Vorstadtsiedlung von Kampala. Auf seinem weißen Pullunder
prangt eine kunterbunte Aids-Schleife. Er seufzt müde, als er durch die
Zeitung blättert, in welcher seine Freunde abgelichtet sind. Die Aufnahmen
stammen von einer Online-Kontaktbörse für Ugandas Homosexuelle. Einige der
so Geouteten haben Ärger bekommen: im Bekanntenkreis, bei der Arbeit,
berichtet Mugisha, "Nachbarn warfen sogar Steine gegen das Fenster einer
lesbischen Frau".
Doch mal abgesehen von der Veröffentlichung privater Daten findet Mugisha
die Hetze "gar nicht so schlimm". Immerhin gelange so das Tabuthema
Homosexualität in die Öffentlichkeit. "Die Ugander können jetzt nicht mehr
leugnen, dass es uns überhaupt gibt", sagt Mugisha und erklärt weiter: Da
Homosexuelle aufgrund der Gesetzeslage sich nicht outen könnten, seien sie
völlig aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Viele haben das Land verlassen,
teilweise in Europa Asyl beantragt. Die Schwulen-Szene in Uganda ist klein,
doch sie beginnt sich zu organisieren und um ihren Platz in der
Gesellschaft zu kämpfen. Da bietet der Rolling Stone einen guten Anlass.
Trotzdem ist es nicht leicht, gegen die Demagogen anzutreten, stellt
Mugisha fest. Die Rolle der Kirche sei im tiefgläubigen Uganda nicht zu
unterschätzen, allen voran der einflussreiche Pastor Martin Ssempa, der in
seinen Sonntagsmessen auf dem Campus der Makerere-Universität regelmäßig
Kondome verbrennt und detailgetreu beschreibt, wie sich Schwule angeblich
die Faust in den Anus stecken.
Es ist kein Geheimnis, dass Ssempa von konservativen evangelikalischen
Kreisen aus den USA unterstützt wird. Priester wie er zeichnen ein sehr
obszönes Bild von Homosexuellen. Doch die wenigsten Ugander sind je einem
Homosexuellen begegnet, sie wissen über Homosexualität nur das, was in
Klatschblättern wie dem Rolling Stone geschrieben steht oder ihre Priester
erzählen. Die kulturellen Stammesführer im Vielvölkerstaat betonen,
Homosexualität gebe es in Ugandas Kulturen nicht. Dies sei ein Phänomen,
das aus dem Westen nach Afrika importiert worden, wie eine schlimme
Krankheit.
Diese Argumente hört man auch am Zeitungsstand in der Kampala-Straße.
Mittlerweile hat Anwalt Ko-Malumba die Zeitung durchgeblättert und erzählt
Verkäuferin Dedumbwe, dass er aufgrund der zu moderaten Haltung der
anglikanischen Kirche erst kürzlich zu den Katholiken konvertiert sei. Dann
hebt er den Zeigefinger und sagt laut: "Also wenn eines meiner Kinder
schwul wäre, würde ich es eigenhändig umbringen."
Dann drückt Ko-Malumba der Verkäuferin ein paar Münzen in die Hand, klemmt
sich den Rolling Stone unter den Arm und marschiert davon.
17 Nov 2010
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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