# taz.de -- Neues Kompakformat des "Independent": Klein und billig soll die Zei… | |
> Der britische "Independent" bringt eine Kompaktausgabe heraus. Die Kunden | |
> reagieren noch zögerlich, dabei soll das neue Blatt vor allem eines: Den | |
> Independent retten. | |
Bild: Wirkt wie Boulevard, versteht sich aber als Qualitätszeitung: Die "I" in… | |
Was tut eine Zeitung, bei der Auflage wie Einnahmen im Sinkflug sind? Sie | |
legt – Vorsicht, bilingualer Sprachwitz – ein Ei: Seit zwei Wochen gibt es | |
"i", Untertitel: "The paper for today" als Ableger des britischen | |
"Independent". Und obwohl die Inhalte beider Titel zum guten Teil identisch | |
sind, könnte der Unterschied nicht größer sein. | |
Denn "i" will nicht nur mit moderner-peppigem Design die Generation iPad, | |
Pod und Phone erreichen, die auch in Großbritannien klassischen Zeitungen | |
mehr und mehr den Rücken kehrt. I heißt auf Englisch "ich" – und "i" setzt | |
ganz ungeniert auf leicht konsumierbaren, bunten Hedonismus. | |
Während die Dienstagausgabe des klassischen "Independent" mit der Finanz- | |
und Wirtschaftskrise in Irland aufmacht, scheint "i" mit einer rührseligen | |
Geschichte über eine während ihrer Flitterwochen in Südafrika ermordete | |
Frau aus Bristol, Clint Eastwoods Lieblingsfilmpostern und den "10 besten | |
Party-Schuhen" auf stinknormalen Boulevard zu setzen. | |
Doch der Schein trügt. Hinter der eher lahmen Titelseite verbirgt sich die | |
Kompaktform des "Independent", garniert mit einigen Extras wie einem | |
täglichen "Letter from the Editor" von Chefredakteur Simon Kellner, der für | |
beide Blätter verantwortlich ist. Klar nach Farben gegliedert – Nachrichten | |
sind rotbraun, Wirtschaft rosa, Sport Grüne und das TV-Programm türkis – | |
kommen klassische Independent-Inhalte daher. | |
Und die sind alles andere als Boulevard. Auch Auslandsberichterstattung | |
rangiert weit vorn, was den Vergleich in anderen britischen Zeitungen, "i" | |
sei eine etwas noblere Version von "Metro", der landesweiten Gratiszeitung, | |
deutlich hinken lässt. | |
"I" versteht sich klar als Qualitätszeitung – für die LeserInnen, denen die | |
oft rund 100seitigen Elaborate der anderen großen Blätter schlicht zu viel | |
sind. Viele Menschen könnten damit nichts mehr anfangen, sagte Kellner zum | |
Start von "i": "Sie haben einen vollen Terminkalender und kommen nur dazu, | |
einen Bruchteil der Zeitung zu lesen." | |
Während Journalisten selbst dicke Zeitungen für das Optimum hielten, | |
"stimmt für viele Leser das Preisleistungsverhältnis mittlerweile nicht | |
mehr". Und so bewirbt sich "i" stolz als "quality journalism for the | |
time-poor, designed for the way that real people live today". Drinnen ist | |
kein Artikel länger 400 Wörter – was immer noch länger als gängiger | |
Boulvard ist. | |
Zwölf neue RedakteurInnen wurden eingestellt, deren Hauptaufgabe allerdings | |
ist, die "Independent"-Inhalte auf "i"-Formate einzukürzen. Eine | |
wegweisende Eigenleistung ist dabei das TV-Programm: Statt einer eintönigen | |
Programmliste sortiert "i" das Angebot mit thematischen Kurzkritiken – von | |
"US-Serien" über "Dokumentationen" zu "Kunst" und "Tierfilmen". Das geht | |
weit über jede Gratiszeitung, aber auch den Service im "großen" | |
"Independent" hinaus. | |
Vom Preis her ist "i" dann allerdings doch näher an Metro als am | |
Mutterblatt: Für "i" reichen 20 Pence (rund 25 Cent), während der | |
"Independent" wie die meisten britischen Qualitätstitel unter der Woche 1 | |
Pfund (umgerechnet ca. 1,20 Euro) kostet. Damit ist "i" derzeit die | |
billigste kostenpflichtige Zeitung in Großbritannien. Und soll nichts | |
anderes als – den "Independent" retten. Denn der funzelt mit nur noch rund | |
182.000 verkauften täglichen Exemplaren als Schlusslicht der britischen | |
Qualitätspresse – zum vollen Preis werden nur noch 118.000 Stück abgesetzt, | |
wobei die Branchenpresse auch diese Zahl noch als zu hoch anzweifelt. | |
Die ebenfalls liberale Konkurrenz, der "Guardian", kommt immerhin auf | |
276.000, die konsverativen Blätter "Times" und "Daily Telegraph" auf | |
476.000 bzw. 655.000 Exemplare am Tag. Wegen der niedrigen Auflage sinken | |
beim "Independent" auch die Werbeeinnahmen noch stärker als bei den anderen | |
Titeln. Und wie bei Springers Welt-Gruppe soll nun eine kombinierte Auflage | |
von Independent und "i" die Sache wieder in Ordnung bringen. | |
Die Welt konnte dank Einführing der Welt kompakt erstmals nennenswerte | |
Auflagenzuwächse melden. In Großbritannien will die vom ehemaligen | |
KGB-Agenten Alexander Lebedjew geführte Independent Print Limited die | |
gemeinsame Auflage auf rund 400.000 Exemplare steigern. | |
Bis dahin ist es noch ein langer Weg: Das bunte "i" verkaufte sich in den | |
ersten zwei Wochen im Mittel rund 125.000 mal, schreibt der "Guardian". Das | |
mag auch daran liegen, dass "i" nicht eben üppig beworben wird – statt | |
TV-Spots gibt es nur ein bisschen Plakatwerbung. | |
"Britische Journalisten sind die besten in der Welt", sagt Lebedjew in | |
einem kleinen Video zum Start von "i", da brauche man "keine Promotion – es | |
ist Sache der Leser, zu entscheiden". Das ist vielleicht ein bisschen wenig | |
für die "erste neue landesweite Zeitung seit 25 Jahren". Die letzte war | |
übrigens – der Independent. | |
Und damit sich dessen Leser nicht völlig übergangen fühlen, wurde auch ihm | |
ein dezente Reform verordnet. Das Blatt kommt jetzt auf etwas dickerem | |
Papier ein bisschen luveriöser daher, Kolumnen, Kommentare, Essays und | |
Nachrufe haben ein eigenes Buch als "Viewspaper". Und die Fotos sind jetzt | |
bis auf den Sport ganz nobel – in schwarzweiß. | |
17 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |