# taz.de -- Todestag von Freddie Mercury: Der letzte Auftritt | |
> Vor 19 Jahren starb Queen-Sänger Freddie Mercury an Aids. Die taz | |
> veröffentlicht aus dem Nachlass der Popkritikerin Ingeborg Schober eine | |
> Hommage an den Popstar. | |
Bild: Rockstar, Diva und der erste prominente HIV-Tote der Popmusik: Freddie Me… | |
Was die sachliche Radiostimme morgens um 6.00 verkündete, wusste ich | |
bereits. Freddie Mercury war tot. Gestorben an Aids. Ich umklammerte die | |
Manuskriptseiten, an denen ich die ganze Nacht gearbeitet hatte, wie schon | |
so viele Nächte zuvor, als ob sie mir jemand entreißen wollte. | |
Ich starrte auf den ungeordneten Stapel von beschriebenen Seiten, Notizen, | |
Interviewkassetten, Fotos und Briefen, die um mich herum auf dem Bett, dem | |
Schreibtisch und dem Fußboden verstreut lagen. Und begann, sie mechanisch | |
und sinnlos zu ordnen. Ich wollte nicht an seinen Tod denken und hörte | |
dennoch ununterbrochen das Echo der Meldung: | |
"London - gestern, kurz vor Mitternacht, verstarb der international | |
bekannte Rockstar Freddie Mercury an Aids. Der Sänger, der seit Jahren | |
gegen die Krankheit kämpfte, bekannte sich erst kurz vor seinem Tod zu | |
seinem Leiden. Mit Freddie verliert die Rockwelt einen ihrer großen Stars | |
…" | |
Vorsprechen in Kensington | |
Ich saß auf dem Bett und betrachtete ein Foto. Freddie vor 25 Jahren bei | |
einem seiner ersten Konzerte: jung und wild, animalisch, viril und | |
provokant, stolz und arrogant, voller Energie und Hunger auf Erfolg. Auf | |
der Rückseite stand eine persönliche Widmung: "Niemand, der mich einmal | |
live gesehen hat, wird mich je vergessen können. Auch du nicht. Love | |
Freddie!" Wie recht du doch hattest, Freddie, obwohl ich damals bei dieser | |
ersten Begegnung nach dem Münchner Konzert nur lachen konnte über diese | |
anmaßende und größenwahnsinnige Prophezeiung. | |
Vor drei Monaten war ich nach London gereist, hatte mein letztes Geld dafür | |
zusammengekratzt. "Freddie ist schwer krank, aber er will nicht, dass die | |
Leute es erfahren", hatte mir ein Freund erzählt. | |
"Was willst du von mir?", fragte Freddie misstrauisch und abweisend, als | |
ich nach unzähligen Telefonaten, Gesprächen und Briefen schließlich in | |
seinem Haus im vornehmen Londoner Stadtteil Kensington vorsprechen durfte. | |
"Dein Leben", erklärte ich beklommen und provozierend zugleich. "Das gehört | |
mir schon lange nicht mehr", lachte er mich aus. "Doch den kleinen Rest, | |
der mir geblieben ist, werde ich mit niemandem teilen. Scher dich zum | |
Teufel!" | |
Und damit stand ich wieder vor der Tür seiner Prachtvilla voller | |
Kostbarkeiten, in der früher nachts fast ununterbrochen ausgelassenes Leben | |
tobte und jetzt nur noch das Ticken der Todesuhr zu hören war. "Lieber | |
Freddie", schrieb ich draußen auf den kalten, marmornen Treppen, "du hast | |
mich missverstanden. Ich bin hierhergekommen. Um deine innersten Gedanken, | |
deine persönlichen Erinnerungen, deine Ängste und all das aufzuzeichnen, | |
was nur mit deinem Einverständnis möglich ist. Wenn wir es nicht gemeinsam | |
machen, wird es irgendwann, sehr bald nach deinem Tod jemand machen, der | |
sich nicht an die Wahrheit hält." | |
Ich schrieb meine Telefonnummer dazu, schob den Brief unter dem schweren | |
Portal durch und machte mich auf den Weg zurück nach Brixton, wo ich bei | |
Freunden untergekommen war. | |
Es vergingen zwei deprimierende Tage in der Wohngemeinschaft meiner | |
schwulen und arbeitslosen Freunde, deren Überlebenszynismus kaum zu | |
ertragen war. Dann hielt ein rauchgrauer Rolls-Royce vor unserer Haustür, | |
und ein livrierter Chauffeur brachte den Brief: "Heute Abend um 18 Uhr." | |
Immer, wenn ich kam - und manchmal blieb ich die ganze Nacht -, hatte sich | |
Freddie sorgfältig geschminkt und in Schale geworfen. Lange Zeit spielte er | |
mir die medienerprobte Superstarrolle vor, eine Diva, hinter der | |
schützenden Maske des Profis versteckt. Manchmal lachten wir sehr viel, | |
lästerten über die Musikbranche, machten uns über die damaligen Ideale und | |
auch über die Idole lustig, über Mode und Frisuren. Doch all das täuschte | |
nicht darüber hinweg, dass Freddie immer schwächer, es für ihn immer | |
anstrengender wurde, die Fassade aufrechtzuerhalten. Doch das Thema Aids | |
blieb ein Tabu. | |
Eine Aura des Toten | |
Bald hatte ich bei ihm einen festen Schlafplatz, einen Jugendstildiwan im | |
Salon, der an sein Schlafzimmer grenzte, hatte gelernt, mit seinen | |
Medikamenten umzugehen, den Arzt oder die Ambulanz zu rufen und dabei nicht | |
nur äußere, sondern auch innere Ruhe zu bewahren. Ich hatte mich in | |
Freddies Leben eingeschlichen. Endlich hatte ich die Geschichte meines | |
Lebens, auf die ich so lange gewartet hatte. Freddies Vergangenheit war | |
meine Zukunft, sein Tod mein Leben. Unser Schicksal war miteinander | |
verknüpft. Sein Tod würde mein Erfolg sein, den ich kaum mehr erwarten | |
konnte. Meine Gewissensbisse ertränkte ich in einer Mischung aus Champagner | |
und journalistischem Ehrgeiz. | |
"Woher weißt du das? Du bist doch nicht dabei gewesen!" "Doch. Du erinnerst | |
dich bloß nicht an mich. Ich war von Anfang an mit dabei. Da ein Konzert, | |
dort eine Tournee, hier ein Interview, dann wieder eine Party zur | |
Verleihung einer Platinplatte. Du im Rampenlicht, ich irgendwo im Saal." | |
Kurz darauf bekam er einen cholerischen Anfall und setzte mich vor die Tür. | |
Tagelang hörte ich nichts mehr von Freddie. Er wollte in Ruhe sterben. | |
Es war bereits weit nach Mitternacht, als einer seiner wenigen eingeweihten | |
Freunde in unserem Haus in Brixton auftauchte. "Freddie will dich sehen - | |
sofort!" Sein Anblick schockierte mich. Hatte ich mich davor bereits an | |
seinen durch die Krankheit schwer gezeichneten Körper gewöhnt oder hatte | |
sich sein Zustand so extrem verschlechtert? Zum ersten Mal sah ich die | |
erschreckende Metamorphose eines Kraftbündels, das sich mittlerweile in ein | |
fast transparentes Wesen verwandelt hatte. Eingefallen, zerbrechlich, | |
lebend und doch mit einer Aura des Todes umgeben. Er saß in einem | |
Rollstuhl. Und er trug kein Make-up. Die tief in die Augenhöhlen | |
zurückgetretenen Augen, einstmals sprühend und gnadenlos prüfend, blickten | |
mich matt und müde und ohne Regung an. | |
"Komm her, Darling, ich muss dir was erzählen", meinte er zärtlich. Kaum | |
saß ich neben ihm, da brüllte er mich an: "Du bist hinter meiner Seele her. | |
Meinem Geld. Nichts, hörst du, nichts wirst du dafür bekommen, dass du auf | |
meinem Bettvorleger auf die Sensation lauerst." Auf und ab, hin und her, | |
aber ich war wieder im Spiel. Eines Morgens machte er er sich sehr früh | |
zurecht, schrie mich an: "Wo ist der Anzug, den Bobby neulich gebracht hat? | |
Warum ist die Make-up-Tante noch nicht da?" Freddie hatte beschlossen, ein | |
Video zu einem Song des neuen Albums "Innuendo" zu drehen. Ich wollte es | |
nicht glauben. Die Nacht zuvor war zweimal der Arzt gekommen. | |
Freddie litt unter Atemnot, konnte nichts essen. Doch er beschämte mich | |
durch seine ungebrochene Stärke und Disziplin. "Und du kommst mit! Die Show | |
geht weiter. Das wolltest du doch, oder?" Als wir das Videostudio betraten, | |
drückte ich ihm eine kleine Silberkette mit Kreuz in die Hand. Meine | |
Großmutter hatte sie mir geschenkt, kurz bevor sie starb. "Freddie, sie | |
soll dir alle Kraft der Welt geben." Er strafte mich nur mit einem | |
verächtlichen Blick. Die Dreharbeiten für das Video hatten ihm die letzten | |
Kräfte abverlangt. Es war Freddies letzter großer Auftritt. Und er | |
investierte all das, was er eigentlich nicht mehr zur Verfügung hatte. | |
Als wir spätnachts ins Haus zurückkehrten, bat er mich, das Kaminfeuer | |
anzumachen. Er fror erbärmlich. "Das wars", sagte er, ohne mich anzusehen. | |
Ich schlich mich auf den Zehenspitzen davon wie ein Dieb in der Nacht, denn | |
ich schämte mich. Ich war zu einer billigen Klatschreporterin abgerutscht, | |
die auf die übelsten Sensationen lauerte. Ich reiste ab. | |
Am 23. November 1991, einen Tag vor seinem Tod, gab Freddie per | |
Pressemitteilung bekannt, an der Immunschwäche Aids zu leiden. Ich saß | |
immer noch auf meinem Bett und starrte auf die Manuskripte. Auf dem | |
Fernsehschirm erschien nun ebenfalls die Todesnachricht von Freddie. Und | |
dann zeigten sie sein letztes Video. Mit der allerletzten Kraft eines vom | |
Tod Gezeichneten tanzte er makabre Pirouetten und grinste unverschämt in | |
die Kamera. Um seinen Hals baumelte das silberne Kettchen mit dem Kreuz | |
meiner Großmutter. Ich warf meine Aufzeichnungen in den Müll. | |
24 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Ingeborg Schober | |
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