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# taz.de -- Forschung nach neuen Energieformen: Atomfusion gegen Atomfusion
> In der Kernfusion ist ein Wettlauf entbrannt. Zwei Modelle konkurrieren
> um finanzielle Mittel. Eines der Modelle wird in Deutschland erprobt.
Bild: Kein Chaos, sondern eine mögliche Energieform von morgen: Atomfusionsanl…
Beim Anblick der noch nicht vollständig zusammengefügten Bauteile für
"Wendelstein 7-X" wird deutlich, was ein Plasmaphysiker aus Greifswald
unbedingt benötigt: Vorstellungskraft. Die unzähligen Komponenten
vermitteln den Eindruck, als hätte ein durchgedrehter Professor eine
möglichst umständlich anmutende Maschine zusammenschrauben lassen.
Tatsächlich aber ist jede Komponente genau an die dafür vorgesehene Stelle
platziert worden.
Rund 100 Wissenschaftler arbeiten seit 1996 in Greifswald am Projekt
"Wendelstein 7-X". Der komplizierte Reaktor für Kernfusion vom Typ
Stellarator wird lediglich an vier weiteren Orten der Welt erforscht.
Mithilfe dieser Technik soll einmal der weltweite Energiebedarf für die
nächsten Jahrtausende gedeckt werden, so die Hoffnung.
Genau die gleichen Aussichten versprechen die Forscher des in Cadarache,
Südfrankreich, durchgeführten Projekts "Iter". Dort wird ein Fusionsreaktor
vom Typ Tokamak gebaut. Beide Typen, Stellarator und Tokamak, konkurrieren
derzeit um Ansehen und Fördergelder.
Der Bau des Tokamaks, der erstmals von sowjetischen Physikern entworfen
wurde, ist sehr viel leichter zu organisieren als die des Stellarators. Die
Aufmerksamkeit der Wissenschaftler ist aus diesem Grund zuerst auf die
Erforschung der einfachen Methode gefallen. Zwar ist der Tokamak deshalb
bereits besser erforscht, jedoch wurden auch erhebliche Nachteile dieser
Variante ersichtlich, die das Projekt zum Scheitern bringen könnten.
Zum einen kann der Tokamak lediglich im gepulsten Modus betrieben werden
und damit nicht durchgehend arbeiten. Zum anderen ist es schwierig, die
supraleitenden Spulen dauerhaft zu kühlen. Außerdem fiel der
Materialverschleiß bei weitem höher aus als erwartet. Auch ist noch nicht
klar, wie der Brennkammer die benötigten Rohstoffe während des Betriebs
zugeführt werden sollen.
Organisiert und finanziert wird Iter von sechs Industriestaaten und der
Europäischen Union. Er soll den 1983 fertig gestellten Tokamak "JET" aus
Großbritannien ablösen. Die Anlage des Iter ist etwa doppelt so groß wie
das Vorgängermodell, mit dem bereits mehrfach Kernfusionen erreicht wurden.
Der Stellarator behebt viele Probleme des Tokamaks. Beispielsweise kann er
durchgängig betrieben werden. Dafür ist er aber lediglich unter enormem
Aufwand zu realisieren. Ein Versuch, dieses Model mit Zeichenbrettern zu
entwerfen, wurde gar nicht erst unternommen. Die Theorie galt lange Zeit
als nicht umsetzbar. Erst durch die Hilfe präziser Computerprogramme ist
der Bau dieses Reaktors möglich geworden.
Neben Deutschland forschen lediglich die Ukraine, Japan und die USA mit
diesem Modell. Ähnlich wie beim Iter ist das Greifswalder Projekt so
vielversprechend wie auch umstritten. Bis zur Fertigstellung werden sich
die Aufbaukosten von "Wendelstein 7-X" auf etwa 800 Millionen Euro
verdoppelt haben. Als Grund dafür werden unter anderem zu spät gelieferte
Bauteile angeführt.
Das sehr viel teurere Konkurrenzprojekt aus Frankreich hat noch größere
Finanzprobleme, es musste seinen Etat von 10 auf 14 Milliarden Euro
erhöhen. Hier jedoch sprechen die Verantwortlichen selbstkritisch davon,
den Reaktor in seiner Komplexität unterschätzt zu haben.
Als Folge dieses Finanzproblems hat die Europäische Union eine
Expertengruppe eingerichtet, die das Problem dokumentiert und Methoden zur
besseren Kostenberechnung von Großvorhaben entwickelt. Für "Wendelstein
7-X" trägt die EU ein Drittel der Kosten, der Bund 60 und das Land
Mecklenburg Vorpommern 7 Prozent. In Greifswald sind seit Baubeginn etwa
500 direkte Arbeitsplätze entstanden.
Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) will den Kernfusionsreaktor
in Greifswald 2014 mit neunjähriger Verspätung fertiggestellt haben. Danach
könnten die ersten Experimente beginnen. Strom wird "Wendelstein 7-X"
jedoch nicht produzieren, im Gegenteil, der Reaktor hat eine negative
Energiebilanz. Er wird also mehr Energie benötigen als produzieren. Das
Vorhaben ist ein reines Forschungsprojekt und soll lediglich beweisen, dass
es möglich ist, auch mit diesem Prinzip Strom zu erzeugen.
Der Reaktor ist dreieinhalb Meter hoch und hat einen Außendurchmesser von
etwa elf Metern. Um eine positive Energiebilanz zu erreichen, müsste ein
Stellarator dieser Bauart jedoch etwa fünf- bis zehnmal so groß sein. Erst
bei dieser Größe kann sich die Kernfusion ohne externe Energiezufuhr
aufrechterhalten und mehr Energie abgeben als aufnehmen.
Der Wirkungsgrad eines solchen Kernfusionsreaktors wird auf 30 bis 35
Prozent geschätzt. Das entspricht etwa den Werten eines
Kernspaltungskraftwerks.
Dagegen soll der französische Tokamak bereits mehr Energie freisetzen als
benötigen. Eine wirtschaftliche Nutzung ist dort allerdings ebenfalls nicht
vorgesehen. Das Team aus Frankreich muss zuerst die Probleme lösen, die
beim Tokamak ersichtlich geworden sind.
Es ist also ein Wettkampf um die Zeit. Letztendlich stehen sich das Prinzip
"einfach, aber makelhaft" und "makelfrei, aber schwer umsetzbar" gegenüber.
Beide Konkurrenten kämpfen mit ihren Vorteilen gegen die Nachteile der
anderen Variante.
Sollten die Forscher des Stellarators oder des Tokamaks einen Durchbruch
vermelden, ein funktionierendes Kraftwerk erstellt zu haben, bleibt
fraglich, inwieweit die andere Methode weiter erforscht werden wird.
Vermutlich konzentriert sich dann das gesamte Interesse auf die
Verbesserung der erfolgreichen Methode.
Beide Reaktoren sollen nach der gleichen physikalischen Vorstellung
funktionieren. Das Prinzip der künstlich erzeugten Kernfusion kommt den
Abläufen in einem Stern sehr nahe. Ähnlich wie bei der Sonne verschmelzen
leichte Atomkerne miteinander, weil sie sich mit hoher Geschwindigkeit
aufeinander zubewegen. Sie können so ihre gegenseitig abstoßenden Kräfte
überwinden und sich zu einer neuen Atomkonstellation vereinen. Dabei wird
enorm viel Energie freigesetzt.
Rohmaterialien sind vergleichsweise leicht zu beschaffen und massig
verfügbar. Für die künstliche Fusion von Atomkernen werden Deuterium und
Lithium verwendet. Deuterium ist zu 0,02 Prozent in natürlichem Wasser
enthalten, die Herstellung ist unproblematisch. Lithium, woraus Tritium
gewonnen wird, ist in sehr viel größeren Mengen vorhanden als Uran. Der
Transport ist ungefährlich. Während der Verschmelzung der Isotope bei 100
Millionen Grad entstehen ein Neutron und ein Heliumkern.
Doch auch bei der Kernfusion wird radioaktiver Abfall produziert. Die
Radioaktivität ist zwar bei weitem nicht so stark wie bei der Kernspaltung,
jedoch müssten die Endprodukte und auch der Reaktor einige Jahrzehnte
sicher gelagert werden. Die radioaktive Kontaminierung der Reaktorbauteile
resultiert aus den freigesetzten Neutronen.
Die Fusionsexperten gehen davon aus, dass die von Neutronen aktivierten
Bauteile etwa 100 Jahre benötigen, bis sie für den Menschen wieder
ungefährlich sind. Tritium hat eine Halbwertszeit von 12,3 Jahren und
müsste nur einige Jahrzehnte abklingen. Im Vergleich dazu: Uran238 hat eine
Halbwertzeit von rund 4,4 Milliarden Jahre.
Bis die Kernfusion wirtschaftlich nutzbar sein kann, sollten noch einige
Jahrzehnte vergehen. Nun ist nicht abzusehen, inwieweit erneuerbare
Energien bis zu diesem unbestimmten Zeitpunkt weiterentwickelt und
angewendet werden. Es bleibt also ein Restrisiko für die Investition in die
Kernfusionsforschung. Wann immer die Technik Energie produzieren wird, es
könnte sein, dass sie dann bereits überflüssig ist.
An dieses Szenario glauben die Wissenschaftler aus Greifswald und Cadarache
jedoch nicht. Der stetig wachsende Energiehunger in Afrika und Asien könne
ihrer Meinung nach auch nicht in mehreren Jahrzehnten durch erneuerbare
Energiequellen gestillt werden.
Als Wissenschaftler 1970 gefragt wurden, in welcher Zeit das erste
Kernfusionskraftwerk ans Stromnetz angeschlossen wird, antworteten sie: "In
40 bis 50 Jahren." Heute, nach über 40 Jahren, hat sich an der Antwort
nichts geändert. Wird den Forschern aus Greifswald und Cadarache heute
dieselbe Frage gestellt, verweisen sie ebenfalls auf eine Entwicklungszeit
von 40 bis 50 Jahren.
Wenn man sie jedoch auf dieses Phänomen aufmerksam macht, antworten sie mit
einem Lächeln: "Na gut, dann sagen wir 30 Jahre."
2 Dec 2010
## AUTOREN
Benjamin Fredrich
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