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# taz.de -- Spielfilm über John Lennons Jugend: Rock'n Roll sagt die Wahrheit
> In ihrem ersten Spielfilm "Nowhere Boy" versucht die Künstlerin Sam
> Taylor-Wood, dem vermeintlichen Rätsel John Lennons auf die Spur zu
> kommen. Er starb vor 30 Jahren.
Bild: Von der Schule sichtlich genervt: John Lennon (Aaron Johnson).
Der Film beginnt mit einem Knalleffekt. Der bekannteste Akkord aller Zeiten
wird angeschlagen: Twangggg! Mit etwas zusätzlichen Echo. Zwei
Rhythmusgitarren spielen den F-Dur-Akkord mit zusätzlichem hohen G, ein
Bass spielt ein D und ein Klavier D-G-D, so dass F-Dur, eine
C-G-Powerchord-Quinte und d-moll zugleich erklingen. Normalerweise eröffnet
dieser Akkord den Song "A Hard Days Night", der kommt jetzt aber nicht.
Das Echo verhallt ins Leere einer unwirklichen Architektur. Der etwa
zwölfjährige künftige Beatle hat einen Traum, der bereits aussieht wie eine
der berühmten Wegrennszenen aus dem Film "A Hard Days Night", den Richard
Lester 11 Jahre später, 1963, drehen sollte. Hier betrifft das Rennen aber
Lennons vermeintlich alles entscheidenden Knacks: die Trennung der Eltern,
die in entgegengesetzte Richtungen abhauen. Als er aufwacht, ist John
wieder im Jahr 1952 bei seiner Tante Mimi und dessen Mann, wo er seit
seinem fünften Lebensjahr in einem semibeschaulichen, kleinbürgerlichen
Liverpool aufwächst.
Sam Taylor-Wood macht seit weit über zehn Jahren Videos und
Videoinstallationen, die meist um eine einzige, sauber gesetzte Pointe
herum gebaut sind. Sie gehört zu den britischen Erfolgskünstlern, die seit
den 90ern dazu beigetragen haben, dass auch bildende Kunst leicht lesbar
und mobil wird wie Witze und Anekdoten. Ihre Neigung zu großem Pop und
großer Öffentlichkeit gipfelte in einer Single mit den Pet Shop Boys, mit
denen sie den New-Wave-Klassiker "I Am in Love With a German Filmstar" von
The Passions coverte. Zurzeit ist sie unter großer Beteiligung britischer
Boulevardmedien mit Aaron Johnson liiert, "her 19-year old toyboy" (Daily
Mail) und Darsteller des John Lennon in ihrem ersten regulären Spielfilm,
"Nowhere Boy".
Die Beatles haben lange Zeit nicht von sich selbst gesprochen. Zwar
spielten sie in ihren Performances ausgiebig mit der Spannung zwischen
ihrer Alltagsidentität und ihrem schnell zum Comic-Book-Charakter
gewordenen, öffentlichen Pilzkopfselbst - Richard Lesters Filme halfen
dabei. Aber anders als bei den Animals, den Kinks oder natürlich Bob Dylan
dauerte es lange, bis ihnen in ihren Texten ein Wort unterlief, das nicht
konventionell schlagerhaft von Paarbeziehungen handelte, ein Wort, das man
auch auf den Songwriter selbst hätte beziehen können.
Er ist es, wenn er ich sagt
John Lennon traute sich dann am ehesten und als Erster an solche Texte
heran. Seit "Rubber Soul" hatte er sich eine bekiffte Flaneur-Perspektive
zugelegt, die amüsiert näselnd über Leute lästerte, die sich bei Regen
unbedingt trocken halten müssen und überhaupt ständig so uncool schnell hin
und herlaufen, während er vorzöge, zu schlafen. Ab dem "Weißen Album" wird
er autobiografischer und selbstreflexiv im Hinblick auf den Beatles-Mythos
("Well heres another clue for you all / The walrus was Paul"). Er legt
jetzt deutlich nahe, dass er sich meint, wenn er "ich" sagt, und spricht
von Depressionen, Selbstmord ("Yer Blues") und nennt den Namen seiner
leiblichen Mutter ("Julia").
Es sind zwei Ideen, die Lennon entwickelt, als er sich von den Beatles
intellektuell und künstlerisch entfernt. Erstens: Man muss die Wahrheit
sagen, die Popkultur ist ein Bullshit-Programm, gegen das nur moralische
Rigorosität und Selbstverpflichtung hilft, durchaus im Sinne marxistischer
Kulturindustriekritik. Zweitens aber glaubt er, die Wahrheit sei einfach,
kompliziert würden die Verhältnisse nur durch die einander hochschaukelnden
Lügen der Kultur. In dieser nicht ganz unfatalen, wenn auch vorübergehend
produktiven Überzeugung bestärkten ihn nicht nur der künstlerische
Reduktionismus seiner Frau Yoko Ono und psychologische Programme wie Arthur
Janovs Urschrei-Therapie. Es geht dabei auch um seine ästhetische Treue zur
Idee einer wahrheitsstiftenden Einfachheit des Rock n Roll. Diese Idee ist
ja bis heute virulent und ist von allen großen Rock-Reformbewegungen wie
Punk gerne wieder hervorgezogen worden.
Rock n Roll ist für Lennon während der Jahre seiner ersten Solo-LPs so
etwas wie die Kraft, die den Schleier der Maya zerreißt, das bunte
trügerische Gewebe der äußeren Welt. Im Rock n Roll kommen Buddhismus und
Kulturindustriekritik zusammen, um die einfachen Wahrheiten hinter all dem
hypokritischen Gelaber ans Licht zu bringen. Diese einfachen Wahrheiten
sind auf seinem ersten Soloalbum die Würde der Arbeiterklasse, die Liebe zu
Yoko, Hass auf Masken und Verstellungen, und am wahrsten ist seine Mutter.
Mit "Mother" - "you had me but I never had you" - endet der Film, der mit
dem "A Hard Days Night"-Akkord begann. Sam Taylor Wood war nur zu
begeistert von den eindrucksvoll-klaren Worten und Klängen des ersten
Soloalbums. Ihre Entscheidung, nicht den historischen Moment zu
porträtieren, als Rock n Roll und Skiffle junge, britische Körper befreien,
sondern einen der Helden dieses Moments ganz auf seine Familiengeschichte
zu bringen, hat erkennbar damit zu tun, dass Lennon selbst lange auf seine
Kindheit fixiert war: Kinderfotos, Orte und Ortsnamen (Strawberry Fields)
tauchen vor allem auf Covers und in Songs der 70er Jahre immer wieder auf.
Die ersten vierzig Minuten verbringt der Film damit, die zwei
gegensätzlichen Frauenfiguren einzuführen, die dem jungen John so zu
schaffen machten. Die Schwestern Mimi (Kristin Scott Thomas) und Julia
(Anne-Marie Duff) werden als These und Antithese aufgebaut, zu denen der
junge John und vor allem das Werk des späteren die Synthese geliefert haben
wird. Mimi ist bildungsbeflissen, diszipliniert und streng, Julia, die
leibliche Mutter, die John erst in der Pubertät kennenlernt und die bald
darauf ums Leben kommt, ist ein verflirtet unmütterliches Mädchen zum
Pferdestehlen. Statt vorwärtszugehen, ein Fuß vor den anderen, hangelt sie
sich wie ein Showgirl zwischen Tanzstangen durch die Kulissen, immer hat
sie mindestens einen Arm kokett erhoben und spielt mit der Hand des anderen
an einem zufälligen Objekt, bevor der nächste Hüftschwung sie wieder ein
paar Zentimeter weiter nach vorn dreht. Dazu rauscht der Petticoat. Der
junge John weiß nicht, wie ihm geschieht.
Zu mager-ballerinenhaft
Leider sehen beide Schauspielerinnen viel zu gut aus für das eher armselige
Milieu, das sie verkörpern sollen (was bei den anderen, vor allem den
älteren männlichen Darstellern kein Problem ist). Die disziplinarische
Härte der Mimi kommt bei Kristin Scott Thomas nicht als eng, bieder,
ignorant und muffig rüber, ängstlich geprägt von schlechten Erfahrungen mit
leichteren Lebensformen, sondern als Geraldine-Chaplin-mäßig
magersüchtig-selbstzüchtige Ballerinenhaftigkeit. Diese Frau tanzt ihre
Unbeweglichkeit. Sie macht das schön, unterminiert aber die
naturalistisch-mainstreamige Erzählweise. Auch die durchkalkulierte,
Annett-Louisan-artig puppenhafte Souveränität von Anne-Marie Duff passt
nicht zu der offensichtlich körperlich fragilen, gesundheitlich gefährdeten
Chaotin Julia, der schließlich ihre Unkonzentriertheit im Straßenverkehr
zum Verhängnis wird.
Am stärksten in dieser filmisch unauffälligen Erzählung eines nach seiner
Exposition nicht mehr viel weiter entwickelten Stoffes ist die Begegnung
mit einem von dem spiddeligen Thomas Sangster beeindruckend verkörperten
Paul McCartney. Auch dieser zunächst schüchtern wirkende Jüngere hat seine
Mutter verloren, ist aber schon etwas länger und professioneller im
sublimierenden Fach tätig. Statt als ausgeklapptes Taschenmesser durch die
Welt zu laufen, an dem man sich schneiden könnte, wie der dramatische
Lennon, hat der stillere McCartney sich längst in Richtung künstlerische
Bewältigung des Traumas abgesetzt. Mit leiser Stimme erklärt er dem
lärmigen Lennon, dass wenn man die kleinen Notate, die dieser verfasst, mit
den Akkordfolgen zusammenschmisse, die der junge McCartney komponiert, so
etwas wie Songs hätte. So entstand zwar "Lennon/McCartney" nicht wirklich,
aber so hätte es gewesen sein können: als zarter Solidaritätsversuch zweier
beschädigter Typen, die sich gegenseitig mit anerkannten Kulturtechniken
unter die Arme greifen.
Feinironischer Sarkastiker
Das vermeintliche Rätsel Lennon, das dieser Film zu lösen anbietet, soll
darin bestehen, dass einer zugleich so viel von einfachen Emotionen
versteht und doch so ein feinironischer Sarkastiker ist; ein Brillenträger,
der weinen kann. Aber trifft das nicht auf jeden Songwriter von Rang zu,
von Randy Newman bis Scott Walker über Annette Peacock zurück zu Bob Dylan?
Nicht alle von ihnen wuchsen vaterlos mit zwei antagonistischen Müttern
auf. Hier dürfte Drehbuchautor Matt Greenhalghs Neigung eine Rolle gespielt
haben - wie schon in "Control" am Beispiel Ian Curtis vorgeführt -, die
Gespaltenheit zwischen Rollenspiel und Selbstperformance, die alle
Rockmusiker der ersten Generationen so belastete, wie sie daraus eine
Kunstform entwickelten, zu pathologisieren und zu individualisieren.
Natürlich trifft man da auch immer was - wer ist nicht krank, wer ist kein
Individuum? -, kriegt aber letzten Endes unten immer nur die Biografie
heraus, die man oben reingetan hat.
8 Dec 2010
## AUTOREN
Diedrich Diederichsen
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