# taz.de -- Tschechien restauriert sich: Böhmens Adel kehrt zurück | |
> Die Paläste und Gärten der Adelsgüter dienen heute oft als Restaurants. | |
> Manche können für private Feiern gemietet werden. | |
Bild: Blick auf den Hradschin von der Moldaubrücke aus. | |
Im Jahr 1942 wurde Vikard Colloredo-Mansfeld von den | |
nationalsozialistischen Okkupanten seiner Heimat aufgefordert, sich zum | |
„Deutschtum“ zu bekennen. Als der Graf, dessen aus Italien stammende | |
Familie seit dem 16. Jahrhundert in Böhmen lebte, sich weigerte, wurde er | |
enteignet. Das „böhmische Versailles“, das 30 Kilometer südlich von Prag | |
liegende Schloss Dobris, nahm man ihm ebenso wie 12.000 Hektar Wald und | |
Dutzende von Karpfenteichen. Vikard Colloredo-Mansfeld ging in den | |
Untergrund, wo er sich dem antifaschistischen Widerstand anschloss. Als der | |
Krieg zu Ende war, erhielt er seinen Besitz zurück, doch nur für wenige | |
Monate. Gemäß den Dekreten von Staatspräsident Edvard Benes galt er als | |
Deutscher - und wurde erneut enteignet. | |
Ähnlich erging es vielen böhmischen Adelsfamilien. Die Fürsten von | |
Liechtenstein verloren 120.000 Hektar Land, weil Benes erklärte, er kenne | |
keinen Staat Liechtenstein und die Familie kurzerhand zu Deutschen | |
erklärte. Die Lobkowitz und die Schwarzenberg, die Kinskys und die | |
Kolowrats, sie alle wurden 1945 oder nach der kommunistischen | |
Machtübernahme 1948 enteignet. Nicht alle gingen in die Emigration, denn | |
oft beschloss der Familienrat, dass der älteste Sohn in der Heimat zu | |
bleiben habe. So arbeitete Georg Graf Sternberg auf seinem Schloss als | |
Kustode, Josef Graf Kinsky wurde zur Arbeit im Uranbergbau verurteilt. Rund | |
1.500 Schlösser und Palais sowie mehr als ein Fünftel des Bodens wechselten | |
damals den Besitzer. | |
Und wechseln ihn nun erneut. Denn der böhmische Adel ist dabei, nach Böhmen | |
zurückzukehren. Ermöglicht wird dies durch das bereits drei Jahre nach der | |
politischen Wende von 1989 verabschiedete Restitutionsgesetz, das die | |
Rückgabe von enteignetem Besitz regelt. Unter den ersten, die zurückkamen, | |
waren die Lobkowitz. Mehr als 700 Jahre lang hatte die Familie den | |
böhmischen Königen gedient, was zählten da 50 Jahre in den USA und der | |
Schweiz? | |
Die Lobkowitz erhielten ihr Schloss in Melnik, wo Bettina von Lobkowitz | |
dabei ist, den darniederliegenden böhmischen Weinbau wiederzubeleben, und | |
ihr Stadtpalais auf dem Prager Burgberg zurück. 2007 entschied die Familie, | |
gerade diesen Palast der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dort, wo | |
einst die Opfer des 2. Prager Fenstersturzes von 1618 Zuflucht gefunden | |
hatten, werden jetzt Gemälde von Velázques, Pieter Breughel dem Älteren und | |
Canaletto gezeigt. Zu sehen sind Originalpartituren von Mozart und | |
Beethoven, böhmisches Glas und Delfter Fayencen und natürlich eine der | |
bedeutendsten Waffensammlungen Europas. | |
Jeden Tag um 13 Uhr findet im Musiksaal des Palais ein klassisches Konzert | |
statt, von der Terrasse des Biedermeier-Restaurants hat man einen kaum zu | |
überbietenden Blick auf die Dächer der Kleinseite und im barocken Innenhof | |
wird Bier gezapft, das natürlich aus der Lobkowitz-Brauerei kommt. | |
Als die Restitution begann, fürchteten die Tschechen, dass viele Schlösser | |
von nun an Besuchern verschlossen bleiben würden. Doch das Gegenteil ist | |
der Fall. Immer mehr Palais und auch ihre wunderbaren Gärten werden | |
restauriert, dienen als Restaurant, Konzert- und Ausstellungssaal oder | |
können für private Feiern gemietet werden. | |
Zugleich war es gerade die nationalliberale Partei von Staatspräsident | |
Vaclav Klaus, die über die Rückkehr der Adelsfamilien wenig begeistert war | |
und versuchte, sie so weit wie möglich zu behindern. Verlor man durch diese | |
doch einen Großteil staatlichen Besitzes, den man gern anderweitig | |
veräußert hätte. | |
Schon sehr viel komplizierter als bei den Lobkowitz gestaltete sich so die | |
Restitution bei den Schwarzenbergs. Der Familie, die ihren Stammsitz in | |
Franken hat, gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg praktisch halb Südböhmen. | |
Zurückbekommen hat Karel Schwarzenberg, Vertrauter Vaclav Havels und | |
heutiger Außenminister Tschechiens, davon nur einen Bruchteil. Denn der | |
weitaus größte Teil des Besitzes hatte dem reichen österreichischen Zweig | |
der Familie und nur der kleinere Teil - man spricht von elf Schlössern - | |
den ärmeren tschechischen Verwandten gehört. Und nur auf diesen hatte der | |
heute über 70-jährige Schwarzenberg, der nach seiner Flucht in Wien | |
aufgewachsen war, Anspruch. Was Karl Johannes Nepomuk Norbert Friedrich | |
Antonius Mena, 12. Fürst zu Schwarzenberg, dessen Vermögen auf knapp 300 | |
Millionen Euro geschätzt wird, finanziell freilich wenig ausmachte. | |
Mehr wog da schon der Versuch von Staatspräsident Klaus, dem Fürsten die | |
Ernennung als Außenminister zu verweigern, da dieser wegen seiner Nähe zu | |
Österreich „die tschechischen Interessen nicht ausreichend verteidigen | |
würde“. Durchsetzen konnte sich der EU-Kritiker damit freilich nicht. Karel | |
Schwarzenberg, den Wolf Biermann einmal als „Genossen Fürst“ bezeichnete | |
und der sich selbst gern „Mitteleuropäer“ nennt, schenkte das Hradschiner | |
Palais seiner Familie der Prager Nationalgalerie. Nachdem der mächtige | |
Renaissancebau jahrzehntelang als Kriegsmuseum gedient hatte, wird hier nun | |
die Ausstellung „Barock in Böhmen“ gezeigt. Zu sehen ist die Rekordzahl von | |
460 Statuen und Bildern, von Hans von Aachen über Wenzel Lorenz Reiner bis | |
zu Matthias Bernhard Braun. | |
Doch auch wer wissen möchte, wie die böhmischen Adeligen in früheren Zeiten | |
lebten, hat dazu inzwischen Gelegenheit: Im Palast der Herren von Rozmberk, | |
der zwischen den Häusern der Lobkowitz und der Schwarzenbergs ebenfalls auf | |
dem Hradschin liegt und von Kaiserin Maria Theresia in einen Stift für | |
unverheiratete Adelsdamen umgewandelt worden war. Seit dem Frühjahr zeigt | |
eine Ausstellung, wie das Leben dieser Fräuleins zur Zeit des Rokoko | |
aussah. Auch dieses Palais kann im Übrigen von Privatpersonen gemietet | |
werden, für Hochzeiten zum Beispiel ([1][www.bohemianweddings.cz]). | |
Wieder zugänglich sind seit Kurzem auch die Innenräume des | |
Wallenstein-Palais auf der Kleinseite. Zwar befindet sich hier der Sitz des | |
tschechischen Oberhauses, am Wochenende ist es jedoch möglich, den | |
Rittersaal und das Arbeitszimmer des kaiserlichen Feldherrn zu besichtigen. | |
Am Ende des Zweiten Weltkriegs hatten seine Nachkommen die Tschechoslowakei | |
verlassen müssen. Im Palast bleiben durfte allein die damals 92-jährige | |
Gräfin, die von ihren tschechischsprachigen Verwandten Teta Marka und von | |
jenen, die mehr deutsch sprachen, Tante Marinka genannt wurde. Was erneut | |
zeigt, wie unsinnig es war, die böhmischen Adelsfamilien in deutsche und | |
tschechische zu unterscheiden. Doch auch die Wallensteins wurden als | |
„Deutsche“ enteignet und kämpfen bisher vergeblich um die Rückgabe ihres | |
Besitzes. | |
9 Dec 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bohemianweddings.cz/ | |
## AUTOREN | |
Sabine Herre | |
## TAGS | |
Reiseland Tschechien | |
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