# taz.de -- Probleme im Anti-Doping-Kampf: Die deutsche Dopinglüge | |
> Auch in Deutschland findet kein effektiver Kampf gegen Doping statt. | |
> Woran liegt das eigentlich? Die taz stellt die fünf Thesen auf, woran der | |
> Dopingkampf scheitert. | |
Bild: Überschattet immer wieder den Sport: Doping. | |
Das Feigenblatt bedeckt eine Blöße. Metaphorisch umhüllt es einen | |
Gegenstand, um dessen moralische Verwerflichkeit oder Obszönität zu | |
kaschieren. "Jemandem ein Feigenblatt umhängen" hat also umgangssprachlich | |
die Bedeutung der notdürftigen Verdeckung einer Zumutung. Doping ist so | |
eine Zumutung. Und der Antidopingkampf ist das Feigenblatt, das den | |
Pharmabetrug bemänteln soll. Die Öffentlichkeit soll den Eindruck gewinnen, | |
der deutsche Sport, oder sagen wir: der deutsche Staat tut alles, damit | |
Dopingsünder erwischt werden. | |
Diejenigen, die das Feigenblatt halb schamhaft, halb ausgebufft vor das | |
Dopinggemächt halten, glauben die Argumente auf ihrer Seite zu haben. Es | |
gebe doch die Nationale Anti-Doping-Agentur, die Welt-Anti-Doping-Agentur, | |
es gebe 9.000 Trainingstests hierzulande pro Jahr und noch hunderte im | |
Wettkampf, es gebe doch das Arzneimittelgesetz, das Besitz und Weitergabe | |
von Medikamenten unter Strafe stellt, es gebe die zwei Kontrolllabore in | |
Köln und Kreischa, die international führend seien, es gebe diverse | |
Präventionskampagnen. Und. Und. Und. | |
Doch das alles führt nicht zum Ziel. Die Aufklärungsquote ist jämmerlich | |
niedrig - trotz der Millionen von Euro, die ausgegeben werden. Sie liegt | |
weit unter 1 Prozent. Dadurch entsteht der Eindruck, von 200 oder 300 | |
Leistungssportlern dope im Schnitt nur ein Einziger. Doping kann mit | |
solchen Daten wunderbar als Randerscheinung im Sport abgetan werden: Es ist | |
leicht, zu behaupten, nur ein paar unbelehrbare Leistungsfanatiker | |
betrieben es. Der Sportfan wird eingelullt. Und der organisierte Sport in | |
Deutschland ist fein raus. Die taz stellt fünf Thesen gegen diesen | |
Irrglauben: | |
1. Es wird viel mehr gedopt als behauptet | |
Wissenschaftler wie der Mainzer Sportmediziner Perikles Simon haben | |
herausgefunden, dass bereits im Nachwuchsbereich 6,2 Prozent der jungen | |
Athleten schon einmal zu unerlaubten Mitteln gegriffen haben. | |
Sportwissenschaftler Eike Emrich aus Saarbrücken, jahrelang auch | |
Sportfunktionär im Deutschen Leichtathletik-Verband, hat eine ähnliche | |
Analyse unter erwachsenen Spitzensportlern vorgenommen. Emrich nimmt an, | |
dass rund 30 Prozent der Athleten dopen, zugegeben hatten das in einem | |
anonymisierten Test allerdings nur 10,2 Prozent der Befragten. | |
Perikles Simon sagt: "Mit Kollegen in den USA und Kanada bin ich mir einig, | |
dass eine vernünftige Expertenschätzung für Doping unter Eliteathleten im | |
Erwachsenenbereich über alle Sportarten hinweg bei rund 40-60 Prozent | |
liegen sollte." Garantieren die Forscher nicht Verschwiegenheit, geben nur | |
0,2 Prozent der Befragten Doping zu. Das entspricht in etwa der | |
Erfolgsquote der Nada. | |
2. Das aktuelle Antidopingsystem findet die Doper nicht | |
Um einen Doper zu finden, muss er etwa 150-mal getestet werden. Das | |
verschlingt Kosten von circa 220.000 Euro. Wenn sich also jemand im Netz | |
der herkömmlichen Tests verfängt, dann ist das ein reiner Zufallstreffer. | |
Oder es ist der Dummheit und Unerfahrenheit des Sportlers im Umgang mit den | |
Substanzen zuzuschreiben. Zwar gibt es öfter auch jene "intelligenten" | |
Test, die unangekündigt im Wintertrainingslager oder vor Olympia | |
durchgeführt werden, aber auch hier ist man auf das Prinzip Hoffnung | |
angewiesen. | |
Die dopenden Sportler und ihre bestens informierten Sportärzte wissen, wie | |
die Kontrollen zu umgehen sind. Es verwundert nicht, dass der Radprofi | |
Bernhard Kohl von zig Dopingtests in Dopingphasen berichtete. Ergebnis: Der | |
Österreicher war immer negativ, man hatte also nichts gefunden. Das | |
Testsystem verschlingt also vor allem Geld und dient der Beruhigung der | |
Öffentlichkeit. Effektiv ist es nicht - auch weil man (absichtlich) auf | |
neue Testverfahren verzichtet. | |
"Die Art und Weise der Tests ist nach wie vor lückenhaft, dilettantisch und | |
unintelligent", sagt der Heidelberger Dopingexperte Werner Franke, "man | |
muss da kriminalistisch ran, ihnen auflauern und in überraschenden | |
Abständen an der Haustür klingeln. Nur die ganz Dummen werden noch im | |
Wettkampf erwischt." | |
3. Die Kontrolleure hantieren zu oft mit alten Werkzeugen | |
Es ist relativ einfach, anabole Steroide, also die klassischen | |
Muskelmastmittel, im Urin von Athleten zu finden. Doch bei den aktuellsten | |
Mitteln der Wahl sieht das schon schlechter aus. So hat es zum Beispiel | |
Jahre gedauert, bis man einen Epotest hatte. Er kam natürlich viel zu spät. | |
In den 90er Jahren konnten Ausdauersportler problemlos mit dem | |
Blutverdicker dopen, sie mussten nur aufpassen, dass ihr Blut nicht | |
verklumpt und sie im Schlaf zu Tode kommen. Jahrelang konnten sie auch | |
Wachstumshormone zu sich nehmen. Danach wurde nicht gefahndet. | |
Der Münchner Wissenschaftler Christian J. Strasburger hatte relativ früh | |
ein Nachweisverfahren gefunden, doch wurde der Einsatz des Tests von | |
Sportfunktionären verschleppt. Ähnlich geht es jetzt Perikles Simon, der | |
Gendoping nachweisen kann. Beim Gendoping wird dem Körper menschliche | |
Erbsubstanz von außen durch Methoden der Gentherapie zugeführt. "Der Test | |
dürfte nicht teurer werden als ein herkömmlicher Dopingtest mit Urin", sagt | |
Simon, "ich denke, hier ist uns ein Präventivschlag gelungen." | |
Doch die Nada ließ lieber 250.000 Euro Forschungsgelder verfallen, als sie | |
in die Testverfeinerung zu stecken. Statt Unsummen von Geldern, im Jahr | |
fast 215 Millionen Euro, in nicht zweckmäßige Tests zu stecken, sollte man | |
mehr in die Forschung investieren, so Simon. "Der Forschungsetat der | |
Welt-Anti-Doping-Agentur beträgt lediglich 4,3 Millionen Euro, das sind | |
gerade mal 2 Prozent der in der Dopingbekämpfung eingesetzten Mittel", | |
beklagt der Wissenschaftler. | |
4. Die Nada, eigentlich eine unabhängige Stiftung, ist nicht unabhängig | |
Vor der Gründung der Nationalen Anti-Doping-Agentur kontrollierten sich die | |
Sportverbände praktisch selbst. Die Nada sollte diese unschöne Verquickung | |
beseitigen. Doch unterfinanziert, wie es war, scheiterte das Gremium mit | |
eher sportfernen Kräften. Das nutzte der organisierte Sport, um eigene | |
Leute in der Nada zu platzieren - allen voran den | |
Nada-Vorstandsvorsitzenden Armin Baumert, der von 1995 bis 2004 leitender | |
Direktor des Bereichs Leistungssport im Deutschen Sportbund war und in | |
dieser Funktion fleißig Medaillen gezählt hat. | |
In der Arbeitsgruppe Medizin arbeitet ein ehemaliger Ruderweltmeister mit | |
und kurioserweise auch der Verbandsarzt der deutschen Gewichtheber, Bernd | |
Dörr. Sportmediziner Bernd Wolfarth ist ebenfalls mit von der Partie. Der | |
Münchner hatte 1987 als Student an der Studie "Testosteronapplikation bei | |
Langläufern" unter Leitung des berüchtigten Freiburger Sportarztes Keul | |
mitgewirkt. | |
5. Polizei und Staatsanwalt greifen zu selten ein | |
Während in Italien, Frankreich und Spanien Ermittlungsbehörden tätig werden | |
und sich auf Antidopinggesetze berufen, ist der Eifer der Exekutive | |
hierzulande vergleichsweise gering. In Spanien wurden in dieser Woche | |
erneut der blutpanschende Arzt Eufemiano Fuentes und seine Schwester | |
festgenommen; sie wurden monatelang von der Guardia civil überwacht. | |
Der erste Fuentes-Skandal hatte Schockwellen durch Europa geschickt, die | |
auch Jan Ullrich zu Fall brachten. Ein ähnlicher Fall dürfte in | |
Deutschland, dem Land der geschützten Staatssportler, nicht aufgedeckt | |
werden. Denn hier ist ja alles in bester Ordnung. | |
10 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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