# taz.de -- Ethiker über Frankreichs Umgang mit PID: "Menschliches Leid verrin… | |
> 14 Jahre dauerte es im Nachbarland, bis ein Gesetz die | |
> Präimplantationsdiagnostik erlaubte. PID aus moralischen Gründen zu | |
> verbieten, geht nicht, meint der fanzösische Ethiker Axel Kahn. | |
Bild: In Deutschland umstrittener als in Frankreich: Präimplantationsdiagnosti… | |
taz: Herr Kahn, in Deutschland tobt eine Ethikdebatte um Gentests an | |
Embryonen aus dem Reagenzglas. Überrascht Sie die Wucht, mit der Politiker, | |
allen voran die Kanzlerin, über die Präimplantationsdiagnostik streiten? | |
Axel Kahn: Überhaupt nicht. Die Franzosen und die Deutschen sind sich sehr | |
nah - was ihre Geschichte, Philosophie und ethische Grundhaltung angeht. | |
Man muss die Debatte vor dem historischen Hintergrund verstehen: Franzosen | |
und Deutsche sind sensibilisiert für alles, das im Entferntesten mit | |
Eugenik zu tun haben könnte. | |
Die deutschen PID-Gegner sind nicht hysterischer als andere? | |
Wir in Frankreich haben 14 Jahre gebraucht, bis wir das Gesetz unter Dach | |
und Fach hatten. Die Angst, PID könne zu eugenischen Zwecken missbraucht | |
werden, wog schwer. Die Gegner warfen uns vor, wir wollten mittels PID eine | |
Embryonenauswahl treffen, um Kinder à la carte zu kreieren. | |
Was haben Sie erwidert? | |
Es gab damals eine Frau, die ihre Geschichte öffentlich machte. Sie hatte | |
zwei Totgeburten, ein drittes Kind war lebendig zur Welt gekommen, war aber | |
todkrank. Diese Frau sagte: Ich weigere mich, jemals wieder schwanger zu | |
werden - es sei denn, Sie helfen mir, das Risiko gering zu halten, erneut | |
ein schwer krankes Kind gebären zu müssen. Ihre Geschichte hat auch die | |
PID-Gegner erschüttert. Es war dann schnell Konsens: Wir müssen die PID | |
erlauben, in engen Grenzen, sicherlich, aber sie aus moralischen Gründen | |
komplett verbieten, das geht nicht. | |
Deutsche Parlamentarier, die die Zulässigkeit der PID fordern, orientieren | |
sich am französischen Modell. Wie sieht das Gesetz in Frankreich heute aus? | |
In Frankreich darf die PID nur durchgeführt werden, wenn es in der Familie | |
Hinweise auf übertragbare Erbkrankheiten gibt. Diese Erbkrankheiten müssen | |
so schwerwiegend sein, dass sie einen Spätabbruch rechtfertigen würden, | |
wenn sie im Laufe der Schwangerschaft bei der sogenannten | |
Pränataldiagnostik im Mutterleib entdeckt würden. | |
Wer darf die PID anbieten? | |
Ausschließlich Ärzte an unseren nationalen Spezialzentren in Paris und | |
Straßburg. Und nur dann, wenn die nationale Kommission für Biomedizin zuvor | |
nach Einzelfallprüfung zugestimmt hat. | |
Sind Fälle von Missbrauch bekannt geworden? Also Geschlechtsbestimmung um | |
des Geschlechts willen beispielsweise? | |
Nein. Es geht nur um wenige hundert Paare im Jahr, die PID in Anspruch | |
nehmen. Eine künstliche Befruchtung ist äußerst strapaziös für Frauen. Aber | |
die Debatte hat sich verändert. Heute diskutieren wir, ob wir die PID auch | |
erlauben wollen, um bestimmte genetisch bedingte Krebsformen | |
auszuschließen. | |
Wie ist Ihre Haltung dazu? | |
Ich glaube, dass es auch hier strenger Einzelfallprüfungen bedarf. Man kann | |
nicht pauschal sagen, welches Schicksal zumutbar ist und welches nicht. Das | |
hängt von den jeweiligen Menschen und ihren Lebensumständen ab. Paaren, die | |
PID wünschen, um erblich bedingten Brust-, Darm- oder Prostatakrebs | |
auszuschließen, entgegne ich, dass ihr Kind - falls es überhaupt eine | |
dieser schrecklichen Krankheiten bekommt - erst in 30, 40 oder 50 Jahren | |
erkranken wird. Und dass wir davon ausgehen dürfen, dass die Medizin zu | |
diesem Zeitpunkt andere Heilungsmöglichkeiten als heute haben wird. | |
Wo sind die Grenzen? Behindertenverbände warnen vor Diskriminierung, wenn | |
alles, was krank sein könnte, von vornherein aussortiert wird. | |
Das ist ein absurdes Argument gegen PID. Ich sage das nicht nur als | |
Genetiker, sondern als Präsident einer internationalen | |
Behinderten-Stiftung. Selbstverständlich haben alle Behinderten ein Recht | |
auf Respekt und auf gesellschaftliche Teilhabe. Aber das schließt nicht | |
aus, dass wir uns dafür einsetzen, menschliches Leid zu verringern. Sonst | |
könnten wir ja auch gleich die Krebsforschung einstellen mit dem Argument, | |
diejenigen, die trotzdem Krebs hätten, würden andernfalls diskriminiert. | |
14 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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