# taz.de -- Neue Strategie der SPD: Auf der Suche nach sich selbst | |
> 2010 war ein hartes Jahr für die SPD, bei keinem Thema holte sie Punkte. | |
> Für 2011 braucht sie eine neue Strategie. Und Klarheit. | |
Bild: "Wir müssen wichtige Debatten wieder stärker besetzen", so der thüring… | |
BERLIN/WITTENBERG taz | Eigentlich hatte bisher alles so gut funktioniert. | |
Die beiden SPD-Frauen nehmen sich den Feind, die Bundesregierung, vor die | |
Flinte und wettern gegen die bevorstehende Entscheidung über die | |
Hartz-IV-Sätze im Bundesrat. "Schwarz-Gelb hat keine Antwort gefunden und | |
will keine Antwort finden", poltert die Bundestagsabgeordnete Mechthild | |
Rawert und scheint zufrieden über die eigenen Worte. Es ist Mittwochabend | |
vergangener Woche, Rawert und Gabriele Hiller-Ohm sprechen vor der | |
Arbeiterwohlfahrt in Berlin-Kreuzberg - eigentlich ein Heimspiel. | |
Doch dann meldet sich die Frau im blauen Pullover in der zweiten Stuhlreihe | |
zu Wort. "Von Brot allein kann ich nicht leben", klagt sie die | |
Politikerinnen an, "wenn man 6.800 Euro verdient, dann ist man sehr weit | |
entfernt von den 680 Euro, die ich habe". Für das Gesetz sei die SPD ganz | |
allein verantwortlich, schimpft sie, "das fehlt mir hier". Rawert und | |
Hiller-Ohm schauen bedröppelt, die Stimmung ist hin. | |
Die Szene steht für ein Problem der SPD. Die Bundesregierung musste die | |
Hartz-IV-Sätze neu berechnen, gerade 5 Euro will Arbeitsministerin Ursula | |
von der Leyen (CDU) den Langzeitarbeitslosen mehr geben. Es geht um soziale | |
Gerechtigkeit, das Kerngebiet der SPD. Doch jede Attacke der Partei | |
verliert sich im Nichts. Trotz der Korrekturen an Rente und | |
Arbeitsmarktreformen klebt die Politik ihrer Regierungszeit an der SPD. | |
Zudem besetzt sie im Moment kein Thema so, dass sie in der Gunst der | |
Bevölkerung hinzugewinnt. | |
Am Ende des ersten Jahres nach der schallenden Niederlage bei der | |
Bundestagswahl ist die SPD immer noch in der Krise. Es gab ein kurzes Hoch | |
im Sommer und die Parteiflügel sind versöhnt. Aber selbst das Symbol für | |
den Aufschwung wurde ein Nichtparteimitglied, Bundespräsidentenkandidat | |
Joachim Gauck. Seitdem scheint die politische Debatte wie verhext. Erst kam | |
der Sarrazin-Streit, dann kamen Sachdiskussionen um Integrationspolitik, | |
Stuttgart 21, Afghanistan, Atom. Überall steht die SPD zwischen den Grünen | |
und CDU. Sie war nie die klare Alternative. "Wir sind die Partei des | |
donnernden Sowohl-als-auch", verteidigt der schleswig-holsteinische | |
Landeschef Ralf Stegner die Positionen. Doch als Folge verharrt die Partei | |
in den Umfragen um die 27 Prozent, obwohl sich die Unzufriedenheit mit der | |
Bundesregierung durch die ganze Bevölkerung zieht. | |
Es muss eine neue Strategie her für das kommende Jahr, das ist Konsens. Am | |
Montag will das Parteipräsidium den Fahrplan dafür abstecken, im Januar | |
soll die Klausur des Bundesvorstands Klarheit bringen. Die SPD will wieder | |
stärker auf ursozialdemokratische Themen setzen, die sozialen Fragen zur | |
Sprache bringen. Geht es nach den Führungskräften in der SPD, muss die | |
Partei sich wieder klarer äußern. | |
"Wir müssen wichtige Debatten wieder stärker besetzen", sagte der | |
thüringische Bildungsminister Christoph Matschie der taz, "an manchen | |
Stellen muss man Politik auf Ja oder Nein zuspitzen". Zwar ginge dies nicht | |
bei komplexen Themen wie dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. "Aber bei | |
der Debatte um Stuttgart 21 hätten wir uns klar positionieren können. Ein | |
klares Nein wäre in dieser Frage besser gewesen". | |
Natürlich, so das Präsidiumsmitglied, hätte dies einen Kurswechsel | |
bedeutet. Denn die baden-württembergische SPD stand über Jahr und Tag zu | |
dem unterirdischen Bahnhofsprojekt. Für Matschie kein Hindernis: "Manchmal | |
muss man einen radikalen Kurswechsel wagen." | |
Mit seiner Kritik steht er nicht allein. In den vergangenen Wochen haben | |
sich zunehmend SPD-Politiker unzufrieden mit dem Kurs der Partei gezeigt | |
und Veränderungen eingefordert. Nicht ohne Grund: Die SPD steht vor einem | |
wegweisenden Jahr. In mindestens sieben Bundesländern wird gewählt, | |
Nordrhein-Westfalen mit seiner rot-grünen Minderheitsregierung kann | |
jederzeit dazukommen. Für die Sozialdemokraten stehen vor allem | |
Verteidigungswahlen an. In Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz und | |
Mecklenburg-Vorpommern gilt es, den Regierungschef zu behalten. Besonders | |
hart wird der Kampf in Sachsen-Anhalt. Am 20. März wird hier gewählt, die | |
erste schwierige Wahl des Jahres für die SPD. Gerade jeder fünfte Wähler | |
würde die Partei hier wählen, zeigen Umfragen. Mit den zahlreichen | |
Nichtwählern ist es gerade jeder zehnte Wahlberechtigte zwischen Magdeburg | |
und Halle. | |
Es ist Donnerstagmittag vergangener Woche, SPD-Spitzenkandidat Jens | |
Bullerjahn sitzt im Schlossgebäude in Wittenberg, in dem jetzt eine | |
prachtvolle Jugendherberge untergebracht ist. Eine Hausangestellte serviert | |
Sahnetörtchen. Bullerjahn spricht mit zwei Journalisten über die anstehende | |
Lutherdekade im Bundesland. Er ist Finanzminister des Landes in einer | |
großen Koalition. Jetzt kann er verkünden, dass ein Teil der Finanzierung | |
für die Lutherdekade gesichert ist. | |
Bullerjahns Telefon blinkt vor ihm. "Ich will nicht unhöflich sein", sagt | |
er, "aber Sachsen-Anhalt wird heute als einziges Bundesland von der | |
Ratingagentur Standard and Poors hochgewertet." Da müsse er dann drangehen. | |
"Das läuft auch bundesweit." | |
Er legt das Telefon schnell wieder weg. Es war nicht die Ratingagentur. | |
Bullerjahn kämpft um Wahrnehmung und Anerkennung für seine Arbeit, aber die | |
SPD verharrt in Sachsen-Anhalt in der Beliebtheit abgeschlagen hinter CDU | |
und Linkspartei auf Platz drei. Eine Koalition als Juniorpartner der Linken | |
hat Bullerjahn ausgeschlossen, ihm bleibt nach heutigem Stand nur eine | |
Fortsetzung als Juniorpartner der Union. Daran ist auch der Bundestrend | |
schuld: "Die Verunsicherung sitzt tief", sagt Bullerjahn, "aber wir haben | |
vor einem Jahr auch eine grandiose Niederlage eingefahren." | |
In Anbetracht der 23 Prozent bei der Bundestagswahl stehe man doch ganz | |
gut, heißt es in der SPD. Zusammen mit der Linken und den Grünen käme das | |
linke politische Lager bundesweit auf rund 55 Prozent, "mehr ist nicht | |
drin", heißt es im Willy-Brandt-Haus. "Die Zeiten sind nicht schlecht für | |
eine Politik links der Mitte", kommentiert auch Hessens SPD-Chef Thorsten | |
Schäfer-Gümbel. | |
Damit auch die SPD wieder von dieser Stimmung profitieren kann, soll das | |
kommende Jahr Klarheit in die Themen bringen. "Fortschritt" war der | |
Arbeitstitel der Strategie für 2011, den genauen Fahrplan will am Montag | |
das Präsidium vorbereiten. Klar ist, dass neben Gesundheit und | |
Bildungspolitik das Thema gerechte Steuern wichtig werden soll. Doch auch | |
dort hakt es noch in der SPD. | |
Im Sommer hatte eine Arbeitsgruppe um Fraktionsvize Joachim Poß an einem | |
Steuerkonzept gefeilt, irgendwann wurde der neue Spitzensatz von 49 Prozent | |
genannt, der erst ab einem höheren Einkommen gelten sollte. Eine Regelung, | |
mit der die Sozialdemokraten sich auf einmal Berechnungen gegenübersahen, | |
nach denen Gutverdiener mit Einkommen um die 65.000 Euro entlastet würden. | |
Tatsächlich wollten einige in der SPD diese "Entlastung für Facharbeiter". | |
Lange mäanderte das Steuerkonzept durch Arbeitsgruppen und Gremien, bis auf | |
dem Bundesparteitag im September in Berlin ein wachsweicher Beschluss | |
gefasst wurde: Wie hoch die Mehreinnahmen des Steuerkonzepts sein sollten, | |
blieb offen. Eine Festlegung verschob die SPD. "Wir hätten bei dem | |
Steuerkonzept schon lange etwas vorlegen müssen", wird auch im Umfeld von | |
Parteichef Sigmar Gabriel mittlerweile eingesehen. Gerade, weil sich die | |
schwarz-gelbe Regierung hier angreifbar macht. "Es gibt da ein | |
Gerechtigkeitsdefizit", sagt der saarländische SPD-Vorsitzende Heiko Maas, | |
"das muss die SPD zum Thema machen." Dies betreffe auch den Bereich | |
Arbeitsmarkt. | |
Das Problem sei trotzdem grundsätzlich: "Die Grünen betonen Umweltthemen, | |
die Linken Sozialthemen", so Maas, "eine der Parteien ist immer linker als | |
die SPD." | |
19 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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