# taz.de -- Ghana-Patenschaften für Weiße: Wärme aus der Ferne | |
> Einsame Europäer lassen sich von afrikanischen Großfamilien adoptieren. | |
> Was als Kunstprojekt gedacht war, wurde praktisch umgesetzt. Ein Gespräch | |
> mit der Künstlerin Gudrun Widlok. | |
Bild: Afrikanische Familie mit Foto ihres Paten. | |
taz: Frau Widlok, Adopted vermittelt familiär bindungslosen, erwachsenen | |
Europäern Pateneltern in Afrika. Wie kam es zu diesem Projekt? | |
Gudrun Widlok: Es ist eigentlich ein Kunstprojekt. Es war anfangs nicht | |
mein Ziel, dass es real werden sollte. Ich hatte mir überlegt, ob es eine | |
Umkehrung geben kann, was Patenschaften angeht, für die überall in der | |
Stadt geworben wird. Bei Ausstellungen und Festivals habe ich ein Büro | |
installiert, wo ich drinsaß und wo ich mich als Vermittlerin ausgegeben | |
habe. Als jemand, der glaubt, er müsse den armen Europäern helfen, dass sie | |
in einer Familie aufgenommen werden. Mir ging es um die Idee. Darum, etwas | |
zu behaupten, das die Zuschauer, das Publikum dem Moment der Irritation | |
aussetzt. Sie müssen überlegen, stimmt es oder stimmt es nicht. Das reizt | |
mich. Der Kunstrahmen macht es mir möglich, so was zu behaupten. Doch es | |
kamen immer mehr reale Anfragen. Die Leute wollten wissen, wie und wo sie | |
sich für eine Adoptivfamilie in Afrika bewerben könnten. | |
Wie haben Sie geantwortet? | |
Klar geht es, aber ich kann nichts versprechen. | |
Warum haben Sie sich darauf eingelassen? Sie hätten ja auch sagen können, | |
das ist ein Kunstprojekt. | |
Für mich war das eine Performance, auf die ich mich immer weiter | |
eingelassen habe. Ich machte ein Foto von den Personen, und sie füllten | |
einen Bewerbungsbogen aus. Dass es Kunst war, hat ja schon der Rahmen der | |
Kunstausstellung gezeigt. Dieser Rahmen hat mir erlaubt, das Spiel | |
weiterzuführen und einfach zu schauen, was passiert. Ich habe die | |
Interaktion mit dem Publikum einfach weitergeführt. | |
Mittlerweile ist Adopted kein reines Kunstprojekt mehr, sondern Realität. | |
Ja. Ich war 2003 in Ouagadougou in Burkina Faso eingeladen. Von jemandem, | |
der von dem Projekt gehört hat. Er wollte das Projekt dort in seinem | |
Kultur- und Yogazentrum ausstellen, weil er schon mit vielen Freunden über | |
dieses Thema gesprochen habe. Zunächst gab es Gelächter. Es war eine | |
Mischung aus Schadenfreude, dass den Europäern auch etwas fehlt, und Freude | |
über echtes Interesse. Dutzende Familien waren sofort bereit mitzumachen. | |
Anhand der Fotos suchten sie sich jemanden aus. Sogar eine örtliche Zeitung | |
berichtete darüber. Dann kamen afrikanische Familien, die sofort helfen | |
wollten. | |
Und weil diese Familien aus Burkina Faso sich bereit erklärt haben, | |
Patenschaften zu übernehmen, ist aus der Fiktion Realität geworden? | |
Ja, zwei Jahre später war ich zu Gast in Ghana und habe das Projekt | |
Studenten vorgestellt. Und auch dort war die Resonanz gleich da, das | |
Projekt praktisch umzusetzen. Ich bin seither selbst oft in Ghana. | |
„Menschen in Europa, denen es materiell und beruflich gut geht, die aber | |
durch ihren individuellen Lebenswandel kein Familienleben führen, können | |
sich bewerben,“ schreiben Sie. Wie hoch ist die Nachfrage? | |
Ich habe von meiner letzten Ausstellung wieder sehr viele Bewerber | |
mitgebracht. Mit den Bildern und Bewerbungsbögen fahre ich jetzt nach | |
Ghana. Es gibt schon einige, die von Familien dort ausgesucht wurden. | |
Wie wird die Verbindung zur Familie gehalten? | |
Es gibt welche, die schon seit 2002 mit einer Familie in Kontakt stehen. Es | |
gibt Leute, die schreiben sich, andere telefonieren. Manche wissen nur, | |
dass sie den Kontakt haben, manche fahren hin. Wie die Verbindung gestaltet | |
wird, weiß ich nicht im Einzelnen. Ich bin keine Organisation. | |
Und wollen auch keine sein? | |
Nein. Ich bin Künstlerin. Und ich möchte wieder andere Geschichten | |
erzählen. Meine Idealvorstellung ist, dass das Projekt öffentlich gefördert | |
wird, denn dass das Projekt den Kunstrahmen verlässt, ist seit zwei Monaten | |
sehr aktuell. Ich habe die Organisation an jemanden in Accra abgegeben. Er | |
möchte das Projekt weiterführen. Er wird sich dort um Familien kümmern. Das | |
ist wunderbar. | |
Was war das Spannendste für Sie bei diesem Projekt? | |
Dass meine Vision tatsächlich aufgegriffen wird. Das war ein schöner Moment | |
herauszufinden, dass dies tatsächlich die Möglichkeit bietet, mit Leuten in | |
Kontakt zu kommen, aus unterschiedlichen Kulturen, aber auf einer sehr | |
persönlichen Ebene. | |
Sie haben einen Film über das Projekt gedreht, der im Frühjahr gezeigt | |
werden soll. | |
Ja. Dazu sind wir mit drei unterschiedlichen Charakteren exemplarisch nach | |
Ghana gefahren: einer Isländerin Anfang 20, einem Berliner um die 40 und | |
einer Schwäbin um die 70. Alle haben an dem Projekt aus ganz | |
unterschiedlichen Gründen teilgenommen. Sie sind symbolisch adoptiert | |
worden. Wir begleiten alle drei auf dem Weg nach Ghana zu ihren Familien | |
und beobachten, was passiert. Der Film ist der Versuch, die Utopie zu | |
bebildern. | |
Was ist denn Ihre Utopie? | |
Ich arbeite mit Klischees und mich interessiert, wo das Klischee bricht. | |
Für mich liegt die Utopie darin, von einem sehr kleinen Ausgangspunkt | |
tatsächlich viele Menschen anzusprechen. Das Thema Begegnung beschäftigt | |
Menschen. Und ich finde es spannend, herausgefunden zu haben, dass trotz | |
aller Unterschiede am Ende des Tages alle zusammensitzen wollen mit der | |
Familie und darüber plaudern, was am Tag passiert ist. Das ist symbolisch: | |
Eigentlich wollen wir doch alle nur in Frieden zusammensitzen und ein | |
bisschen plaudern. Ganz einfach. | |
22 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
## TAGS | |
Reiseland Ghana | |
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