# taz.de -- Gentrifizierung: "Es gibt Wichtigeres im Leben als Geld" | |
> Wohnungsmangel, steigende Mieten, Aufwertung der Stadtteile: Seit knapp | |
> einer Woche ruft eine Kampagne im Internet die jungen Hippen auf, sich | |
> zur Lage in Hamburg zu bekennen. | |
Bild: Lizzy, 22, Miami Ad School: "Klar steigen die Mieten. Aber es gibt echt w… | |
taz: Herr Sermon, was ist ein Yuppie? | |
Julian Sermon: Yuppie ist auf jeden Fall ein Begriff, den man für andere | |
benutzt, aber nicht für sich selbst. Man sagt ja gern, der oder die führt | |
sich yuppiemäßig auf. | |
Also eher ein Schimpfwort? Im Wortsinn sind Yuppies - also young urban | |
professionals - ja junge karrierebewusste Erwachsene der städtischen oberen | |
Mittelschicht. | |
Eine kleine Tendenz zum yuppieesken beobachte ich bei mir selbst auch, wenn | |
ich mit einer Latte und meinem McBook im Cafe sitze und arbeite. | |
McBook und Milchkaffe im Cafe und fertig ist der Yuppie? | |
Naja, wie viele Sandkörner machen einen Sandhaufen? Die Kausalkette Latte, | |
Laptop, Mieten steigen gibt es so eindeutig natürlich nicht. Ich würde eher | |
sagen, dass eine Summe von Eigenschaften einen Yuppie zum Yuppie macht. | |
Und mit Ihrer von fünf Tagen gelaunchten Internetseite | |
[1][www.yuppiesgegengentrification.de] (YGG) machen Sie sich auf die Suche | |
nach diesen Eigenschaften? | |
Gewissermaßen. Wir, das sind sechs Leute vom Sigmund-Lachs-Institut, hatten | |
die Idee zu dieser Kampagne schon vor einem halben Jahr. Wir haben uns | |
gefragt, welche Rolle wir selbst im Prozess der Gentrifizierung spielen und | |
wie wir uns damit gestalterisch auseinandersetzen können. | |
Und? | |
Fünf von uns haben sich verkleidet fotografieren lassen und als die so | |
geschaffenen Figuren ein Statement zum Thema Gentrifizierung abgegeben. | |
Zwei Beispiele: "Ich finde es super, was im Gängeviertel passiert. Wir alle | |
wünschen uns eine schmucke Lösung" oder "Ich wohne seit anderthalb Jahren | |
auf St. Pauli. Der Stadtteil hat sich wirklich krass verändert." | |
Wir wollten einen kritischen Blick auf unsere eigene Rolle werfen und das | |
geht am besten mit Ironie. Das Ganze war erst als Postkartenkampagne | |
geplant und wurde dann zur Internetseite "Yuppies gegen Gentrification", | |
die wir bei der Pudel-Gala auf Kampnagel anlässlich des 21-jährigen | |
Bestehens des Golden Pudel Club gelauncht haben. | |
Mit diesem satirischen Zugang und der Aufforderung "Bekenne Dich zur Lage" | |
haben Sie offenbar einen Nerv getroffen. | |
Es ist erstaunlich und erfreulich, dass wir in so kurzer Zeit eine | |
derartige Beteiligung verzeichnen konnten. Es war ja nicht klar, ob sich | |
überhaupt irgendwer beteiligt. Und jetzt haben uns schon mehr als 50 Leute | |
Fotos von sich und ihre Statements geschickt. Unsere Grafikerin hat gerade | |
einen Doppeljob: ihre normale Arbeit und nebenher bearbeitet sie die ganzen | |
eingesandten Bilder. | |
Zum Beispiel die von Lizzy von der Miami Add School: "Klar steigen die | |
Mieten. Aber es gibt echt wichtigeres im Leben als Geld." | |
Eine meiner liebsten Einsendungen! Es ist wirklich rührend, wenn jemand so | |
genau verstanden hat, was der Kern der Problematik und der Grundgedanke | |
unserer Kampagne ist. | |
Klickt man sich so durch die ganzen Fotos und Statements, bleibt der | |
Eindruck: Das hier ist die Krönung der Allgemeinplätze! | |
Ist es ja auch! Das Problem an den ganzen Hipstern ist ja, dass sie | |
glauben, alles zu checken und so tun, als hätten sie den totalen | |
Durchblick. Gleichzeitig sind sie so wahnsinnig unreflektiert und sprechen | |
eben in Allgemeinplätzen. Die nehmen wir uns und übersetzen sie satirisch. | |
Es gibt natürlich auch Leute, die die Ironie dahinter nicht sehen und uns | |
verständnislose Nachrichten schreiben. | |
Man sollte also für manche "Vorsicht, Satire" oben drüber schreiben? | |
Wir wollen mit dem Projekt ja nicht unsere Meinung oder unsere Position | |
verbreiten, jeder soll es so verstehen, wie er mag. Politische Arbeit ist | |
ja in der Regel eher trocken. Dieses Projekt hingegen ist einfach mal ein | |
neuer Ansatz, mit dem wir versuchen, anzuecken. | |
Wie sie mit einem ihrer letzten Projekte "Standortschutz Hamburg" als | |
Reaktion auf das Glasgetränkebehältnis- und das Waffenverbot auf St. Pauli | |
aneckten? | |
Wir haben damals eine Broschüre verteilt, in der über standortschädigendes | |
Verhalten auf St. Pauli informiert wurde. Auf den ersten Blick war nicht zu | |
erkennen, dass die Broschüre nicht von der Stadt stammte. Die Leute waren | |
empört! Und wenn die Menschen sagen "Also jetzt reicht es uns aber!" ist | |
unsere Arbeit erfolgreich. | |
In dieser Broschüre stand zum Beispiel, dass "Etiketten restlos von | |
Flaschen zu entfernen und der Restmüllverwertung zuzuführen sind" und dass | |
es verboten ist "sich in anstößiger, unflätiger oder aggressiver Weise zu | |
äußern". | |
Man muss over the Top gehen, damit die Leute sich aufregen. Natürlich | |
schränkt es die persönliche Freiheit nur geringfügig ein, wenn ich keine | |
Flasche Wein mehr über den Kiez tragen darf. Aber es werden peu à peu | |
Sonderregelungen eingeführt und langsam merken die Leute doch: Da erodiert | |
was. | |
22 Dec 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.yuppiesgegengentrification.de | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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