# taz.de -- Gewaltfreie Kommunikation zu Weihnachten: "Ich wusste nicht, wie" | |
> Die Feiertage ohne Streit verbringen - geht das? Ja. Aber dazu muss man | |
> wissen, wie es funktioniert. Ein Erfahrungsbericht aus einer | |
> Selbsthilfegruppe. | |
Bild: Bei Weihnachten denken viele an frohe Tage, doch meistens kracht's unterm… | |
Als ich mich auf einen der Holzstühle in diesem Berliner Seminarraum setze, | |
habe ich eine ungefähre Vorstellung, was wohl passieren wird. Ich soll für | |
die sonntaz eine Geschichte über Gewaltfreie Kommunikation schreiben, quasi | |
eine Anleitung, wie man mit dieser Methode die typischen | |
Konfliktsituationen an Weihnachten überstehen kann. Ich werde zuhören, | |
Notizen machen und danach drüber schreiben, wie andere Menschen das | |
hinkriegen. Das ist der Auftrag. Aber dann kommt alles ganz anders. | |
"Was passiert denn bei euch zu Hause an Weihnachten?", fragt mich Gabriele | |
Seils. Sie unterrichtet die Technik, die es Menschen leichter machen soll, | |
respektvoll miteinander umzugehen und Konflikte zu lösen. "Nun", sag ich, | |
"eine der Fragen an Weihnachten ist ja, wie gehe ich mit Geschenken um, die | |
eigentlich Anspielungen sind. Meine Mutter zum Beispiel hat mir letztes | |
Jahr das Buch ,Kinder kriegen ist sooo schön' geschenkt. Wie hätte ich denn | |
damit umgehen sollen?" | |
Eine gutes Beispiel, denke ich mir, bestimmt geht es vielen Frauen in | |
meinem Alter auch so: Die Familie erwartet einen anderen Lebensentwurf, als | |
man selber hat, und an Weihnachten krachen diese Vorstellungen dann | |
aufeinander. "Hast du mit deiner Mutter darüber gesprochen?", fragt Seils. | |
"Nein", antworte ich, "ich wusste nicht, wie." | |
Es ist ein stürmischer Dezemberabend, hinter den Fenstern des Seminarraums | |
stieben dicke Schneeflocken vorbei. Außer mir und Gabriele Seils sitzen | |
noch sechs andere Seminarteilnehmer hier im Warmen, fünf Frauen und ein | |
Mann. Seit einem Jahr trifft sich die Gruppe jeden zweiten Mittwoch, um | |
sich in Gewaltfreier Kommunikation zu üben. Jeder hier hat gute Gründe: die | |
Krankenschwester, die frustriert ist von der Art der Kommunikation im | |
Krankenhaus. Die Juristin, die versucht, Gewaltfreie Kommunikation im | |
Gerichtssaal anzuwenden. Die Pfarrerin, die hofft, mit dieser Methode | |
Nächstenliebe besser praktizieren zu können. Und ich. | |
"Wie hast du dich denn gefühlt, als du das Buch ausgepackt hast?", fragt | |
mich nun die Juristin in der Runde. Sie ist Mitte dreißig und wirkt tough, | |
als Gegnerin vor Gericht ist mit ihr bestimmt nicht zu spaßen. "Wütend war | |
ich", antworte ich, "meine Eltern werten damit alles ab, was ich geschafft | |
habe. Für sie zählt nicht, dass ich vielleicht ganz gut in meinem Beruf | |
bin. Ich habe es nicht geschafft, mir einen Mann zu angeln und Kinder zu | |
kriegen - also habe ich es falsch gemacht. Im Gegenteil zu meinen Cousinen. | |
Die haben alle nicht studiert, auch nicht viel gearbeitet. Aber egal, sie | |
haben Mann und Kinder." | |
Das war jetzt aber ausführlich. Warum erzähle ich hier überhaupt so viel? | |
Ich bin doch die Berichterstatterin. Irgendetwas haben diese Menschen an | |
sich, das mich zum Reden bringt. Sie sitzen einfach da, sehen mich an, | |
hören mir zu und stellen Fragen. Ohne Wertung, ohne Vorbehalt. Ist das | |
schon Gewaltfreie Kommunikation? Üben die hier gerade an mir? | |
Gabriele Seils hat mir im Vorgespräch das Konzept der Gewaltfreien | |
Kommunikation erklärt. Eine innere Haltung sei das, hat die 42-Jährige | |
gesagt, die auf Mitgefühl basiert: für den Gesprächspartner, für sich | |
selbst. Es ist keine Technik, um Menschen zu einem bestimmten Handeln zu | |
bewegen, sondern Wertschätzung des jeweils anderen. | |
Der US-amerikanische Psychologe Marshall B. Rosenberg hat das Konzept in | |
den Sechzigerjahren entwickelt, damals ging es darum, die Rassentrennung | |
friedlich zu überwinden. Bis heute vermittelt er in Krisengebieten wie | |
Israel, Palästina, Serbien oder Ruanda. Klingt gut. Ich habe aber auch | |
gelesen, dass Fachleute GfK für esoterisches Geplänkel halten. | |
"Würdest du dir denn wünschen, dass dich deine Familie mehr unterstützt?", | |
fragt jemand. "Ja, natürlich", antworte ich. Was für eine Frage, das will | |
doch jeder, oder? "Das Problem ist, dass ich mich ja nicht bewusst für | |
ebendiesen Weg entschieden habe. Ich hab einfach studiert und dann | |
gearbeitet. Und jetzt bin ich hier." | |
"Bist du dir unsicher, wie es in deinem Leben weitergehen soll?", fragt | |
mich Gabriele Seils. "Da, wo ich herkomme, kümmern sich die Frauen um Haus | |
und Kinder", erkläre ich. "Da kriegt man nicht Familie und Karriere unter | |
einen Hut. Vielleicht weil ich damit groß geworden bin, hab ich auch immer | |
das Gefühl: Beides geht nicht, du musst dich entscheiden. Offensichtlich | |
bin ich jetzt in der Karriereschiene gelandet. Und hab jetzt wohl Angst, | |
dass das ganze Familiending nichts mehr wird. Deshalb sind diese | |
Anspielungen schlimm. Sie geben mir das Gefühl: Dein Zug ist abgefahren." | |
Während ich spreche, sehe ich sie schwinden, meine sonntaz-Geschichte. Was | |
soll ich da schreiben? Ich wollte doch nur ein paar Beispiele sammeln. Und | |
nun sprechen wir über meine Gefühle. Mich quält der Gedanke, dass ich hier | |
meine Eltern verrate. Das möchte ich nicht. | |
"Wenn du mal in keine deiner Schienen reinpassen, dich nicht für einen Weg | |
entscheiden müsstest - wie würde sich das anfühlen?", werde ich gefragt. | |
"Irgendwie … befreiend", sage ich. "Also du sehnst dich nach Freiheit?" | |
"Ich glaube, ja." | |
Drei Stunden haben wir da auf den Holzstühlen gesessen. Die meiste Zeit | |
habe ich Fragen beantwortet. Und genau so, sagt Seils jetzt, funktioniert | |
sie, die Gewaltfreie Kommunikation. Es geht darum, seine Situation zu | |
formulieren, ohne sie dabei zu bewerten, seine Gefühle und Bedürfnisse | |
auszudrücken und dann seine Wünsche als Bitte zu formulieren, ohne dabei zu | |
drängen. Und: immer nachfragen. Das war's also? Das ist der Trick für mich | |
an Weihnachten? "Ja", sagt Seils, "so kann es gehen." | |
Am Ende zeigt mir die Gruppe noch, wie es konkret gehen könnte. Die | |
Juristin spielt meine Mutter, die Studentin spielt mich. Die Studentin | |
trägt eine Giraffenhandpuppe, sie ist das Symbol der Gewaltfreien | |
Kommunikation, das Landsäugetier mit dem größten Herzen. Jetzt komme ich | |
mir doch etwas albern vor. | |
Meine Mutter gibt mir also das Buch. Und ich soll fragen: "Mama, du hast | |
mir da dieses Buch geschenkt, willst du mir damit etwas sagen?" Sie sagt: | |
"Ich dachte, es könnte dich interessieren." Ich: "Mama, kann es sein, dass | |
Familie und Kinder für dich etwas ganz Wichtiges sind?" | |
Sie spielen noch eine ganze Weile mich und meine Mutter. Ich zweifle, ob | |
das Ganze bei meiner Familie funktioniert. Bei mir bleibt das Gefühl | |
hängen, es müssen sich alle Gesprächspartner darauf einlassen, damit diese | |
Methode klappt. Und was, wenn ich nun meine Gefühle und Bedürfnisse | |
formuliert habe, mein Gegenüber aber einfach nicht mitmacht? Wo findet sich | |
der Kompromiss? Nachfragen. | |
Nun gut, die Gewaltfreie Kommunikation ist eine Art Werkzeug, eine Krücke, | |
auf die man sich im Zweifel stützen kann. Und: Bei mir hat sie offenbar | |
funktioniert. Anders als geplant, aber an diesem Abend doch. So weit, dass | |
mir schließlich aufgefallen ist, dass ich frei genug bin, die Geschichte | |
auch anders aufzuschreiben. Nicht nach Plan. | |
Als ich gehe, schneit es immer noch. Ich laufe ein paar hundert Meter bis | |
zur nächsten U-Bahn. Dann brauche ich noch eine halbe Stunde bis zu meiner | |
Wohnung. Und noch sechs Stunden bis nach Hause. | |
23 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Barbara Müller | |
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