# taz.de -- De-facto-Verstaatlichung privater Renten: Ungarn riestert andersrum | |
> Den Ratingagenturen gilt Ungarn derzeit als kaum kreditwürdig. Auch im | |
> Land hält man nicht viel vom Programm der Regierung. Diese will jedoch | |
> keine Kritik hören. | |
Bild: Den Ungarn erwartet nicht nur das Mediengesetz, sondern auch noch eine Ve… | |
Kurz bevor Ungarn am 1. Januar erstmals den EU-Ratsvorsitz übernimmt, hat | |
Premier Viktor Orbán eine Flut von Gesetzen durch das Parlament gepeitscht. | |
Neben dem höchst umstrittenen Mediengesetz wurde auch der unabhängige | |
Haushaltsrat aufgelöst und durch einen regierungshörigen Pseudorat ersetzt. | |
György Kopits, der Präsident des alten Rats, hatte den Budgetentwurf der | |
Regierung als unseriös abgelehnt. | |
Das Budget war Anfang Dezember vom Parlament verabschiedet worden, das zu | |
mehr als zwei Dritteln von der rechtspopulistischen Bürgerunion Fidesz | |
beherrscht wird. Es sieht einen Mix aus neokonservativen und geradezu | |
sozialistischen Maßnahmen vor, gewürzt mit einer kräftigen Prise | |
Nationalismus. | |
Buhmänner EU und IWF | |
Die Europäische Union mit ihren humorlosen Maastricht-Kriterien und der | |
strenge Internationale Währungsfonds werden dabei als Buhmänner aufgebaut, | |
denen man in Budapest widerstehen muss - bisher durchaus unter dem Beifall | |
des heimischen Publikums. Kaum eine Maßnahme wurde je so begeistert | |
begrüßt, wie die im Herbst beschlossene Steuer für Unternehmen und Banken: | |
Sie trifft zu 80 Prozent ausländische Konzerne und soll so viel Geld | |
einbringen, dass die Körperschaftssteuer auf niedrige 16 Prozent gesenkt | |
werden kann, um die heimische Wirtschaft zu beleben. | |
Die betroffenen Konzerne beschwerten sich nun bei der EU-Kommission. Die | |
Sondersteuer schade nicht nur künftigen Investitionen, sondern stelle auch | |
die Glaubwürdigkeit des ungarischen Bekenntnisses zum EU-Binnenmarkt | |
infrage. Aus den anderen europäischen Ländern bekommt Orbáns bevorstehende | |
Ratspräsidentschaft daher wenig Vertrauensvorschuss. | |
In Ungarn weit weniger populär als die Unternehmenssteuer ist die | |
De-facto-Verstaatlichung der privaten Pensionsvorsorge. Sie war 1998 als | |
Pflichtanteil eingeführt worden, um die staatlichen Rentenkassen zu | |
entlasten, wenn die geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter erreichen. | |
Wirtschaftsminister György Matolcsy machte kein Geheimnis daraus, dass die | |
in den zwölf Jahren von den drei Millionen Versicherten angesparte Summe | |
von umgerechnet rund 10 Milliarden Euro dazu verwendet werden soll, nicht | |
nur das Defizit der staatlichen Rentenversicherung zu senken, sondern auch | |
Budgetlöcher zu stopfen. Eine erste Rate von 140 Millionen Euro wurde | |
gleich einbehalten, nachdem das Parlament Anfang Dezember die | |
Verstaatlichung gebilligt hatte. Laut Umfragen wollen aber nur 37 Prozent | |
der Betroffenen ihre Altersversorgung dem Staat anvertrauen, auch wenn sie | |
Gefahr laufen sollen, auch die staatliche Rente zu verlieren, wenn sie sich | |
dem "freiwilligen" Umbau widersetzen. | |
Die Kritiker fragen sich, ob das für 2011 einkalkulierte Defizit von | |
umgerechnet knapp 2,5 Milliarden Euro angesichts der teilweise sehr | |
schwammigen Spar- und Einnahmeziele wirklich zu halten sein wird. Für 2011 | |
setzt die Regierung 3 Prozent Wachstum voraus, in den folgenden Jahren | |
sollen es gar 5 Prozent werden - zu optimistisch, finden Kritiker. | |
Tatsächlich stufte am Donnerstag Fitch als letzte der drei großen | |
Ratingagenturen Ungarns Kreditwürdigkeit auf BBB- zurück. Weil auch der | |
Ausblick negativ ausfiel, droht bald eine weitere Herabstufung. Das wäre | |
dann der Ramschstatus. Für die Regierung würde das bedeuten, dass sie auf | |
den internationalen Finanzmärkten kaum noch Geld zur Umschuldung aufnehmen | |
kann. Nationalbankpräsident András Simor machte sich zum Sprachrohr der | |
internationalen Kritik, indem er den Defizitabbau als zu langsam und zu | |
wenig substanziell bezeichnete. | |
Jasager gesucht | |
Simor rät, ein Zieldatum für die Einführung des Euros zu nennen, um Märkten | |
und Menschen eine klare Perspektive auszugeben. Schließlich sei nicht der | |
Euro in der Krise, sondern einige seiner Mitgliedsländer hätten Probleme. | |
Allerdings trägt auch Simor bereits ein Ablaufdatum und dürfte wie so viele | |
andere Regierungskritiker durch einen Jasager ersetzt werden. | |
Orbán, dessen Regierung bereits deutliche autoritäre Tendenzen zeigt, hat | |
jedenfalls schon für den Fall vorgesorgt, dass seine optimistischen | |
Wachstumspläne nicht aufgehen sollten: Mit dem neuen Mediengesetz werden | |
Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen an die Kandare genommen. Die nächste | |
Initiative gilt den Gewerkschaften, von denen sich einige noch unabhängig | |
gebärden. | |
23 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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