# taz.de -- Debatte Mexikos Banden-Problem: Drogenkartelle als Teil der Volksku… | |
> Mehr als 32.000 Menschen sind der Drogenkriminalität zum Opfer gefallen. | |
> Die Kartelle sind Teil der Volkskultur geworden. Der Krieg gegen die | |
> Kartelle kann nicht gewonnen werden. | |
Bild: Tristes Ende: Forensiker beerdigen 33 Opfer organisierter Kriminalität i… | |
Vier Jahre schon wütet der Drogenkrieg in Mexiko, und ein Ende ist nicht in | |
Sicht. Über 32.000 Menschen sind schon eines gewaltsamen Todes gestorben - | |
mehr als zehnmal so viele wie in Chile in den 17 Jahren der | |
Pinochet-Diktatur. Und die Spirale der Gewalt dreht sich immer schneller. | |
Ein Beispiel nur: Ciudad Juárez hatte schon vorher durch Hunderte von | |
ungeklärten Morden an Frauen traurige Berühmtheit erlangt. | |
Doch im Vergleich zu dem, was jetzt dort passiert, verblasst der skandalöse | |
Feminizid. In der Dekade vor dem Drogenkrieg zählte man in dieser Stadt 200 | |
Morde pro Jahr. Im vergangenen Jahr waren es erstmals über 2.000, in diesem | |
Jahr sind es mehr als 3.000. | |
Zwar verkündet Mexikos Präsident Felipe Calderón in steter Regelmäßigkeit | |
Erfolge - ein gefangener oder erschossener Drogenboss, ein paar hundert | |
Kilo beschlagnahmtes Kokain oder ein ausgehobenes Waffenarsenal. Doch das | |
sind Kinkerlitzchen. 200 Feuerwaffen werden Monat für Monat von | |
Sicherheitskräften beschlagnahmt, 2.000 werden aus den USA importiert. | |
Nein, Calderón wird das Ende dieses Kriegs, wenn es denn jemals eines gibt, | |
mit Sicherheit nicht mehr im Amt erleben. | |
Demonstration für die Mafia | |
Gleich im Dezember 2006, dem ersten Monat seiner sechs Jahre währenden | |
Amtszeit, ließ er die ersten Soldaten in seinen Heimatstaat Michoacán gegen | |
die dortige Mafia La Familia antreten. Vier Jahre später gab es in | |
ebenjenem Michoacán die ersten Demonstrationen - gegen Regierung und Armee | |
und zur Unterstützung des örtlichen Drogenkartells. Das zeigt, dass in | |
Mexiko kein Konsens herrscht über diesen Krieg. Die Mexikaner verstehen ihn | |
nicht als Angelegenheit der Nation, sagt der Schriftsteller und Essayist | |
Juan Villoro. Sie sehen ihn als Privatsache des Präsidenten. | |
Im Grunde ist der Krieg auch das Ding von Felipe Calderón. Der rechte | |
Politiker hatte die Präsidentschaftswahl mit so wenigen Stimmen Vorsprung | |
gewonnen, dass bei den in Mexiko üblichen Unregelmäßigkeiten genauso gut | |
sein Gegner, der sozialdemokratische Populist Andrés Manuel López Obrador, | |
zum Sieger erklärt hätte werden können. Der akzeptierte seine Niederlage | |
nicht, seine Anhänger legten die Hauptstadt monatelang lahm. Der Krieg | |
gegen die Drogenmafias war ein Befreiungsschlag. Er sollte das Volk hinter | |
dem umstrittenen Präsidenten einen. Dass er damit ein Jahre währendes | |
Gemetzel auslösen würde, war Calderón damals nicht klar. | |
Es hätte ihm aber klar sein müssen. Drogen sind in Mexiko nicht das dunkle | |
Geschäft von ein paar kriminellen Randgruppen, die man militärisch | |
ausschalten kann, sie sind ein wesentlicher Bestandteil der | |
Nationalökonomie. Kokain, Heroin und Marihuana sind die wichtigsten | |
Exportprodukte des Landes. Sie pumpen pro Jahr mindestens 40 Milliarden | |
Euro in den Wirtschaftskreislauf - in etwa so viel wie die gesamten | |
Überweisungen der Millionen mexikanischer Arbeiter in den USA plus aller | |
Auslandsinvestitionen. Zehntausende Mexikaner leben direkt vom | |
Drogenhandel, Millionen profitieren indirekt davon. | |
Kindergarten des Drogenbarons | |
Man kann in Mexiko in einem von Drogenbaronen unterhaltenen Krankenhaus | |
seine Kinder zur Welt bringen und sie dann in einen von Mafias finanzierten | |
Kindergarten und danach in eine ebensolche Schule schicken. Man kann sein | |
Geld in einem legalen Unternehmen verdienen, das dazu da ist, Drogengelder | |
zu waschen. Man kann nach Feierabend zur Musik von Narcocorridos | |
entspannen. Und man kann schließlich vom Beerdigungsunternehmen des | |
örtlichen Kartells unter die Erde gebracht werden. Das Verbrechen ist | |
längst Teil der mexikanischen Kultur. | |
Und es geht nicht nur um Drogen, es geht auch um Entführung und Erpressung, | |
um Waffen- und um Menschenhandel. Selbst arme Schlucker werden ausgenommen: | |
Jedes Jahr werden über 10.000 illegale lateinamerikanische Wanderarbeiter | |
entführt, die Mexiko auf dem Weg in die USA passieren. Ihre Verwandten zu | |
Hause schicken das Lösegeld per Western Union. Mehr als 400 oder 500 Dollar | |
sind da nicht zu holen. Die Masse machts. Polizei und Armee sind in diesem | |
Geschäft genauso engagiert wie Drogenkartelle. | |
Hohe Politik und Verbrechen | |
Trotzdem ist Mexiko im lateinamerikanischen Umfeld noch immer ein relativ | |
sicheres Land. Zwar gehört Ciudad Juárez zusammen mit San Pedro Sula in | |
Honduras und San Salvador in El Salvador zu den gefährlichsten Städten der | |
Welt, im Landesschnitt aber werden in Mexiko 14 Menschen pro 100.000 | |
Einwohner im Jahr ermordet; in Honduras und El Salvador sind es über 70. In | |
Mexiko-Stadt gibt es weniger Morde als in Washington und die | |
Kriminalitätsrate der Ferienhalbinsel Yucatán ist nur unwesentlich höher | |
als die von Deutschland. | |
Es gibt sie noch, die Rückzugsgebiete der Seligen. Dort leben die Familien | |
der Politiker und genauso die der Drogenbosse, und oft sind das ein und | |
dieselben. Hohe Politik und Verbrechen sind in Mexiko schon lange | |
miteinander verbandelt. Raúl Salinas, der Bruder des Präsidenten Carlos | |
Salinas (1988 bis 1994) machte Hunderte von Millionen Dollar mit | |
Drogengeschäften und ließ den Generalsekretär der damaligen Staats- und | |
Regierungspartei PRI ermorden, weil der zu viel davon wusste. Bruder Carlos | |
ging nach seiner Amtszeit vorsorglich ins selbst gewählte Exil. | |
Dies war das Erfolgsrezept der sieben Jahrzehnte der PRI-Herrschaft: | |
Politik und Mafias arbeiteten zusammen und teilten sich den Gewinn. Es war | |
verhältnismäßig friedlich, und eben deshalb wünschen sich viele Mexikaner | |
die PRI zurück. Es gibt nur einen anderen Weg: Man muss den Drogenmafias | |
das Geschäft verderben. Das aber geht nur, wenn Drogen legalisiert werden. | |
In Mexiko fordern das inzwischen nicht nur ein paar Haschischfreaks und | |
linke Soziologen, auch Vicente Fox und Ernesto Zedillo, die beiden | |
Amtsvorgänger von Calderón, schlagen vor, wenigstens mit der Legalisierung | |
von Marihuana zu beginnen. Vom Umsatz her ist das Kraut für die Kartelle | |
wichtiger als Kokain. Das wäre ein erster Schritt. Doch Calderón will | |
nichts davon wissen. Er will einen Krieg gewinnen, den er nie gewinnen | |
wird, solange so viel Geld im Spiel ist. | |
26 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Toni Keppeler | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |