# taz.de -- Skispringer Adam Malysz: Ständige Selbstkontrolle | |
> Adam Malysz hat vor 15 Jahren sein erstes Weltcup-Springen gewonnen. Weil | |
> er immer noch weiter hüpfen kann als die meisten anderen, gilt der Pole | |
> längst als Phänomen. | |
Bild: Seit 15 Jahren segelt Adam Malysz durch die Lüfte. | |
Wenn er an die Geschichte mit dem Schrank denkt, muss er heute über sich | |
selbst lachen. 1996 hatte Adam Malysz als junger Springer das | |
traditionsreiche Skispringen am Osloer Holmenkollen gewonnen. Schon damals | |
nahm das die polnische Öffentlichkeit begeistert zur Kenntnis - und Malysz | |
fühlte sich bedrängt. Als ein Journalist also daheim an der Tür klingelte | |
und die Großmutter öffnete, versteckte sich Malysz im Schrank. Und wartete | |
zwei Stunden, bis die Oma den Reporter wieder hinauskomplimentiert hatte. | |
Heute, vier WM-Titel, zig Weltcupsiege und einen Vierschanzentournee-Sieg | |
später, sieht Malysz das alles gelassener. Was nicht heißt, dass er | |
hochmütig geworden ist. Dass er in Polen als Nationalheld gefeiert wird, | |
nimmt er mit einem bescheidenen Lächeln zur Kenntnis. "Ich sehe mich doch | |
nicht als Idol", sagt er fast entschuldigend. "Wissen Sie, unser Land hat | |
so viele Probleme. Und wenn ich weiß: Da sitzen Kinder beim Skispringen | |
genauso begeistert vor dem Fernseher wie Großmütter, dann macht mich das | |
zufrieden." | |
Bei dieser Vierschanzentournee dürfte er seine Landsleute zwar nicht in | |
einen Euphorierausch versetzen wie vor zehn Jahren, als er den Wettbewerb | |
gewann. Aber Malysz liegt auf Gesamtrang drei - ein schöner Erfolg in einer | |
langen Karriere, die wahrlich kein fortdauernder Höhenflug war. | |
Gegen den führenden Österreicher Thomas Morgenstern ist halt derzeit | |
einfach kein Kraut gewachsen, weiß Malysz. "Morgi ist so stark im Moment: | |
Da müsste er einen Fehler machen und mir müssten Bombensprünge gelingen, | |
damit ich ihn schlagen könnte." | |
Adam Malysz ist jetzt 33 Jahre alt. Seine Karriere wird er wohl bald | |
beenden, auch wenn er den genauen Zeitpunkt offen lässt. Die WM in diesem | |
Jahr reizt ihn - sie wird am Holmenkollen ausgetragen. "Ich habe immer | |
gesagt, dass ich da noch dabei sein möchte. Ich verbinde so viele Emotionen | |
mit Oslo." Dort hat er seinen allerersten Weltcup-Sieg gefeiert, dort hat | |
er sich nach einem Tief, in das er nach seinen zwei WM-Titeln 2003 | |
rutschte, mit einem Sieg 2006 emotional befreit. Ein Jahr später folgte der | |
WM-Titel in Sapporo. | |
Er hat viele Regeländerungen und Materialveränderungen mitgemacht, die | |
Anzüge wurden enger, die Gewichtsregel wurde eingeführt: "Das war eine | |
riesige Umstellung." Überhaupt - das Thema Gewicht. Malysz erzählt, wie der | |
tägliche Kampf ums Idealgewicht ausschaut. "Wenn man mit Freunden im | |
Restaurant ist, muss man in der Karte schauen, was passt. Damit ich nicht | |
mehr als 1.500 Kalorien am Tag habe." Weniger würde ihn wichtige Kraft fürs | |
Training kosten, mehr ihn beim Fliegen bremsen. | |
Malysz klingt sehr streng. Niemand soll glauben, Skispringen sei bloß eine | |
große Gaudiveranstaltung. "Je älter man wird, desto mehr Arbeit bedeutet | |
das Springen", sagt er. "Als junger Springer ist es dir egal, welche Skier | |
und welchen Anzug man dir gibt." Malysz liebt seinen Sport immer noch. Vor | |
Olympia 2010 etwa hätten viele gesagt, "Adam ist zu alt", erzählt er. "Aber | |
in meinem Herzen wusste ich: Die Form wird wiederkommen." Belohnt wurde | |
diese Zuversicht mit zwei Silbermedaillen. Auch die Gesundheit bremst ihn | |
nun öfter. Er hatte Probleme mit der Bauchmuskulatur, mit dem Knie. Im | |
Herbst schmerzte der Hals heftig, das Antibiotikum wirkte nicht wie | |
gewünscht. "Aber ich bin glücklich, dass ich da immer wieder rauskomme", | |
sagt Malysz. | |
Zu seinen Glanzzeiten wurde Malysz vermarktet wie ein Popstar, obwohl das | |
Image gar nicht zum schüchternen Mann aus dem Städtchen Wisla passte. Aber | |
er hat längst das Neinsagen gelernt. Sein Sponsor habe einen Film über ihn | |
drehen wollen, das Kamerateam hätte ihn auch privat begleiten sollen. "Aber | |
das wollte ich nicht, ich bin kein Schauspieler. Und für die Familie wäre | |
es ganz schwierig gewesen." Malysz und seine Frau haben eine Tochter, | |
Karolina ist 13. | |
Malysz lebt auch abseits der Schanze bescheiden, der gelernte Dachdecker | |
erzählt, dass er Handwerksarbeiten am Haus selbst durchführt und gerne im | |
Garten werkelt. Und wenn er mal mit seiner Frau zu einem Stadtbummel | |
aufbricht, so hat er sich daran gewöhnt, dass vor den Geschäften die | |
Autogrammjäger warten. Im Schrank versteckt er sich längst nicht mehr. | |
5 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Zeilmann | |
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