# taz.de -- "Eine flexible Frau": Kreativwirtschaft war gestern | |
> Und täglich in die Uniform der Mitmach-Willigkeit geschlüpft: In ihrem | |
> Spielfilmdebüt "Eine flexible Frau" leuchtet Tatjana Turanskyi die | |
> Prekarisierungsrisiken von Frauen aus. | |
Bild: Eine Frau mit guten Gründen, an ihrem 40. Geburtstag alleine und besoffe… | |
Am Anfang steht eine Frau auf einem Maisfeld. Im Profil, unbewegt, 40 | |
Sekunden lang. Im Hintergrund die Geräusche einer Autobahn. Man nimmt sie | |
als Fels in der Brandung wahr. In der allerletzten Szene ist man wieder mit | |
ihr auf dem Maisfeld, die Bilder laufen jetzt weiter, die Kamera gerät in | |
Bewegung. Zusammen mit der Frau. Sie torkelt. Sie ist betrunken. Kein Fels | |
in der Brandung, sondern ein Fähnlein im Wind. | |
Dass sie gute Gründe hat, an ihrem 40. Geburtstag alleine und besoffen auf | |
einem Feld vor den Toren Berlins herumzutorkeln, haben die vergangenen | |
anderthalben Stunden gelehrt. Sie haben auch gelehrt, dass der in der | |
Arbeitswelt so angesagte Begriff "Flexibilität" sehr viel mehr mit Taumeln | |
und Instabil-Werden zu tun hat als mit selbstbestimmter Beweglichkeit. | |
Dieser Film ist ein harter Brocken für die ersten, immer so unsicher | |
staksenden Tage eines neuen Jahres. Schonungslos schubst er seine | |
Protagonistin in den freien Fall. Macht Angst. Will Angst machen. Nicht nur | |
denen, aber vor allem denen, die weiblich sind, in Berlin wohnen, eine gute | |
Ausbildung genossen haben, einen Kreativberuf ausüben, ein Kind haben, | |
getrennt leben, zwischen 35 und 45 sind, sich gern gut kleiden, gern einen | |
trinken gehen und sich in einem Milieu bewegen, in dem sich Partygespräche | |
schon mal über Zwischennutzung, den Palast, das Schloss und die | |
Gentrifizierung drehen. Wovon es in Berlin eine ganze Menge gibt. | |
Unter anderem auch Greta Mondo. Seitdem ihr Architekturbüro alle Freien | |
gekündigt hat, ist sie ohne Arbeit. Bewerbungen bei anderen Büros bleiben | |
fruchtlos. Die neuen Townhouses an der Peripherie und in der Mitte der | |
Stadt wollen nicht von arbeitslosen Architektinnen betreut, sondern gekauft | |
werden. | |
Greta - in einer sehr speziellen Mischung aus Sophistication, leiser | |
Widerspenstigkeit und hilflosem Anpassungsdrang gespielt von | |
Volksbühnen-Ensemblemitglied Mira Partecke - kann aber nicht nichts tun. | |
Außerdem ist sie verschuldet. Also bewirbt sie sich bei einem Callcenter. | |
Am Telefon verkauft sie Fertighäuser. Ohne Erfolg. Es will ihr nicht | |
gelingen, die Marketing-Floskeln mit dem geforderten "Leben" zu füllen, das | |
gefragte "innerliche Lächeln" hörbar zu machen. | |
Ihr 12-jähriger Sohn findet Callcenter "voll asi" und bricht den Kontakt zu | |
ihr ab, weil er keine Lust hat, "mit Losern abzuhängen". Prompt verliert | |
Greta den Job, weitere Anläufe scheitern kläglich, auch ihr | |
Architektenfreundeskreis findet keine anderen Mittel, mit ihrer Situation | |
umzugehen, als Ignoranz ("Jetzt hast du endlich mal Zeit") und sich fast | |
panisch abschottende Besitzstandswahrung. Schnell gerät sie vom Inner | |
Circle an den Rand ihres Milieus, wird als Symptomträgerin des möglichen | |
Absturzes eines jeden zur Persona non grata. | |
Immer wieder sieht man sie dabei in Rückenansicht vor ihrem Schrank, wie | |
sie sich erneut das hellblaue Hemd mit dem weißen Kragen überzieht. Die | |
Uniform ihrer Mitmach-Willigkeit. Trägt sie die nicht, bricht ihr Hass | |
gegen die "sicherheitspsychotische" Townhouse-Architektur und die "heile | |
Schnullibulli-Welt der Zuverdienst-Mütter" hervor, der Grund für das | |
Scheitern ihrer beruflichen Neuerfindung. Sie trinkt, ihre lange noch cool | |
gefügte Souveränität bröckelt. Bis sie am Schluss übers Maisfeld taumelt. | |
Das Spielfilmdebüt von Tatjana Turanskyi (geb. 1966) ist eine Übung in | |
lakonisch ins Bild gesetzter Bitterkeit, die die spezifischen | |
Prekarisierungsrisiken von Frauen ausleuchtet und zusätzlich noch ein | |
Schlaglicht wirft auf die ästhetisch wie sozial fragwürdigen | |
Stadtentwicklungstendenzen in Berlin. | |
Diese beiden Themen in der Figur der arbeitslosen Architektin Greta Mondo | |
zusammenzuführen, ist vielleicht ein bisschen dicke. Ergibt aber durchaus | |
Sinn: Die uniformen Wohnumgebungen der gut situierten Mittelschicht finden | |
eben - das ist die plausible These von Turanskyi - ihre Entsprechung in | |
einer Form des Konservativismus, der Frauen als Mütter und unterbezahlte | |
Dienstleisterinnen im Nebenjob imaginiert und ihnen diesen eigentlich | |
unwürdigen Zustand als Resultat der Emanzipation verkauft. | |
Zwischen fast sozialrealistisch ostinatem Hinsehen und bewusst | |
inszenierten, oft kammerspielartigen Szenen oszillierend, schält "Eine | |
flexible Frau" das fiese Gesicht einer ultraharten Gegenwart heraus. | |
Ständig bekommt Greta zu hören: Sie müssen an Ihrer Performance arbeiten, | |
Ihre Einstellung ändern, parieren, funktionieren, verlässlich sein. Und man | |
möchte rufen: Aber so repressiv ist doch die Arbeitswelt gar nicht mehr! | |
Sie lässt doch jetzt Subjektivität zu, fördert doch persönliche Entfaltung | |
und kreatives Abweichlertum! | |
Aber mittlerweile war Krise, und Turanskyi ist in ihrer Analyse den | |
richtigen Schritt weiter: Kreativwirtschaft war gestern, der Künstler als | |
Leitbild von Subjektivität ist ersetzt worden durch die Dienstleisterin, | |
die traurige "Krisengewinnerin", die für sieben Euro die Stunde König Kunde | |
zu bezirzen und sich dabei frohgemut als emanzipierte Unternehmerin ihrer | |
selbst zu fühlen hat. | |
Was mit einer Frau passiert, die zu diesem Selbstbetrug nicht in der Lage | |
ist, zeigt dieser Film. Besonders eindringlich ist dabei, wie akut jede | |
Form der Solidarisierung fehlt, wie alle mit harten Bandagen um verbliebene | |
Pfründen von Anerkennung kämpfen und von Angst und Unsicherheit getrieben | |
einen rücksichtslosen "pursuit of happiness" performen. Es hätte nicht viel | |
gefehlt, um aus "Eine flexible Frau" einen veritablen Horrorfilm zu machen. | |
6 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |