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# taz.de -- Portrait Aktivistin Cécile Lecomte: Das widerspenstige Eichhörnch…
> Cécile Lecomte klettert, um gegen Akws zu protestieren - und landet immer
> wieder vor Gericht. Das stört sie nicht. Denn dort geht der politische
> Kampf weiter.
Bild: Kopfüber gegen die Atomkraft: Cécile Lecomte im Einsatz.
DANNENBERG taz | Es ist ihr fünfter Prozesstag und Cécile Lecomte ist
bereit. Gespannt wie eine Kämpferin sitzt sie auf dem Stuhl der
Angeklagten, ihre grünen Augen weit aufgerissen. Dabei scheint sie so gar
nicht hier reinzupassen, in diesen holzgetäfelten Saal im Amtsgericht
Dannenberg. Ihre kurzen Haare sind verwuschelt, sie trägt Jogginghose und
Wollpulli. Richter und Staatsanwalt thronen in ihren schwarzen Roben auf
einer Empore. Auf den hinteren Publikumsbänken haben ein paar ihrer
Unterstützer Platz genommen.
Vor sich auf den Tisch hat Cécile zwei dicke Wälzer Strafprozessordnung
gelegt, daneben zwei Nagetiere aus Plüsch, die immer wieder umkippen. Sie
sind ihr Markenzeichen. Cécile Lecomte ist eine französische
Politaktivistin, wohnhaft in Lüneburg, 29 Jahre alt. Spitzname: "das
Eichhörnchen". Denn sie klettert, wenn sie gegen etwas protestieren will.
Auf Bäume, die sie bewahren will, und von Brücken oder Laternenpfählen, um
Castortransporte zu stoppen. Meistens ist es die Atomkraft, gegen die sie
protestiert, und meistens enden ihre Aktionen vor Gericht. So wie heute.
Es wird ein langer, mühsamer Prozesstag werden. Doch das liegt nicht etwa
an der Kompliziertheit des Falls, eigentlich eine Bagatelle, sondern an
Cécile selbst. Sie agiert als ihre eigene Verteidigerin. "Offensive
Prozessführung" nennt sie das, was sie vor Gericht veranstaltet: ein Duell
mit der Justiz. Immer wieder "rügt" sie das Gericht für seine
Vorgehensweise, reicht diverse Anträge ein, wie den auf "Verdacht der
Befangenheit" gegen den Richter, und verlangt Akteneinsicht. Und immer
wieder wird die Verhandlung unterbrochen. Jeder andere Laie an ihrer Stelle
würde verzweifeln. Doch Cécile sieht die Sache sportlich, und sie hat
Erfahrung.
"Total nervig und krank"
Sie weiß, dass sie die Justiz nur mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen kann,
und sie zieht es voll durch - spricht perfektes Behörden-Deutsch mit
leichtem französischen Akzent, wirft mit Paragrafen und Präzedenzfällen um
sich und nutzt jede juristische Nische, um den Richter auf Verfahrensfehler
hinzuweisen. Gelernt hat sie das nicht, sondern sich "angelesen", sagt sie.
Sich vor Gericht zu verteidigen, ist für sie genauso alltäglich geworden
wie der politische Protest. Ihr Vorstrafenregister ist lang:
Ordnungswidrigkeiten, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Bisher wurde sie nur zu Geldstrafen verurteilt - gegen die sie dann eifrig
Einspruch erhebt.
Heute weigert sie sich, 400 Euro zu zahlen. Sie sei, so die
Staatsanwaltschaft, bei einer Aktion vor dem Atommüllzwischenlager in
Gorleben im Sommer 2008 durch ein Loch im Zaun geschlüpft und habe danach
mit Tannenzapfen Volleyball gespielt. Als Provokation der Beamten vor Ort.
So läuft das jedes Mal: Sie provoziert und die Beamten lassen sich
provozieren. Friedrich Niehörster, Polizeipräsident von Lüneburg, hat sich
einmal im Fernsehen dazu hinreißen lassen, Cécile als "total nervig und
krank" zu bezeichnen.
Eigentlich will sich Cécile nie selbst verteidigen, doch einen
Pflichtverteidiger bekommt sie nicht bei ihren Bagatelldelikten, und die
meisten Anwälte kann sie nicht bezahlen. Den Wahlverteidiger, den sie
vorgeschlagen hat, hat der Richter heute abgelehnt - wie immer. Mal sind
die von ihre Vorgeschlagenen inhaftiert, dieser ist juristisch nicht
kompetent genug, sagt der Richter.
Langsam wird Cécile wütend, äußern darf sie sich auch nicht dazu. Ihr
Gesicht, das sonst jung und knabenhaft wirkt, wird ganz hart, sie schlägt
mit der flachen Hand auf den Tisch. Es knallt durch den Gerichtssaal. "Sie
legen sich doch das Recht aus, wie sie wollen!", schreit sie in Richtung
des Richterstuhls. Thomas Stärk, ein für seine Geduld bekannter Richter,
bittet sie flüsternd um Ruhe. "Ich kann nicht ruhig sein, ich habe Gefühle,
und ich schreie rum, wenn ich will! Das ist doch keine Urteils-Fabrik
hier!" Trotzig verschränkt sie die Arme vor der Brust, mit Tränen in den
Augen. Richter Stärk schaut sie an, resigniert und etwas traurig. Er wirkt
wie ein Vater, der der Eskapaden seines Kindes müde geworden ist.
Von ihrem richtigen Vater spricht Cécile Lecomte nicht, ihre Mutter
hingegen bewundert sie. Sie war es auch, die ihrer jüngsten Tochter das
Klettern beibrachte, erzählt Cécile, damals noch, in Frankreich. Sie sitzt
am Tisch bei sich zu Hause. Es ist ein Bauwagen, zwei Stockwerke, ihren
Schlafplatz oben erreicht sie mit Seil und Trapez, die von der Decke
hängen. Das Baguette und die Waldbeer-Marmelade, die sie isst, sind
"containert", wie sie sagt. Sie fischt das Gros ihrer Lebensmittel aus der
Mülltonne.
Bis vor acht Jahren hat Cécile in Orléans gewohnt, einer Stadt in
Zentralfrankreich. Eine Bemerkung zu Jeanne dArc lässt sie aber nicht zu.
"Ich mag diese Vergleiche nicht", sagt sie. Klettern wurde schon früh
Céciles Leidenschaft, im Gymnasium schaffte sie es zur französischen
Meisterin. Doch irgendwann ging ihr der ständige Wettbewerb auf die Nerven.
"Ich hatte keine Lust mehr, immer gegen die anderen zu sein, ich wollte
Freunde finden", sagt sie.
Heute hat sie das Klettern einfach zum Protest umfunktioniert, sie ist zum
Medien-Star geworden. Nicht sehr geläufig in der Aktivisten-Szene, aber
effektiv. "Wenn einer von uns eine Spitzenposition einnimmt, dann ist das
gut für uns alle", sagt ein bärtiger Mann in den Vierzigern, der sich als
Peter und politischer Freund Céciles vorstellt. "Sie ist kein weiblicher
Gandhi, der schweigend an das Gewissen appelliert. Aus ihr platzt die
Wahrheit laut heraus."
Céciles Körper ist klein, aber muskulös. 2005 wurde bei ihr Rheuma
diagnostiziert. Es gibt Tage, da kann ihre rechte Hand nichts greifen, ihre
Gelenke sind morgens so steif wie die einer alten Frau. Dann denkt sie an
ihre Mutter. Die klettert noch heute den Mont Blanc hoch, mit 52 Jahren und
einem künstlichen Knie. "Außerdem wirkt das Adrenalin wie ein
Schmerzmittel", sagt sie. Und aufhören kommt sowieso nicht in Frage.
Teil der Bewegung sein
2001 kam Cécile während ihres BWL-Studiums für ein Erasmus-Jahr nach
Bayreuth. In Frankreich hatte sie öfters demonstriert, aber in Deutschland
ist sie politisch geworden, sagt sie. "Mich hat es total beeindruckt, wie
stark die Anti-Atom-Bewegung hier ist." Sie verschlang Bücher zu dem Thema
und ließ sich von Physikern die Endlagerproblematik erklären.
Nur eins blieb unklar: Wo kommen all die Biber her? Bis sie aufgeklärt
wurde, dass "Castor" nur auf französisch Biber bedeutet. Sie wollte Teil
dieser Bewegung sein, und als 2004 eine Gruppe Atomkraftgegner den
Transport von La Hague in Frankreich nach Gorleben stoppen wollte, war sie
auch dabei.
Es war der Tag, an dem Sébastien Briat vom Fahrtwind eines zu schnell
fahrenden Zuges erfasst wurde. Der erste Atomkraftgegner, der bei einer
Demonstration gegen einen Atommülltransport ums Leben kam. Wo sie zu diesem
Zeitpunkt war, erzählt Cécile nicht. Sie beendete ihr Studium, zog nach
Lüneburg und schlug sich als Übersetzerin und Französisch-Lehrerin in einer
Waldorfschule durch.
Doch Lehrerin sein und protestieren war nicht so einfach. "2006 wurde ich
zwei Wochen vor dem Castortransport präventiv überwacht", sagt sie - von
einer Spezialeinheit, die zur Terrorabwehr gegründet worden war und sie
prompt für vier Tage in Gewahrsam nahm. Das kam im Lehrerzimmer nicht so
gut an. Irgendwann kündigte sie ihren Job, heute ist sie hauptberuflich
Politaktivistin.
Manchmal hält sie Vorträge zu Protestaktionen, gefördert wird sie von der
Bewegungsstiftung. Vor drei Monaten ist sie mit 15 anderen auf diesen
Bauwagenplatz gezogen, da, wo ein Ortsschild den Besucher aus Lüneburg
verabschiedet. Eine Solaranlage spendet Strom, gekocht wird zurzeit noch
mit geschmolzenem Schneewasser, auf den Telefonanschluss warten sie noch.
Auf dem Bauwagenplatz gibt es immer was zu tun. Holz klein hacken, den Ofen
anheizen, bis das Teewasser kocht, vergeht eine Viertelstunde.
Währenddessen redet Cécile ununterbrochen, wild gestikuliert sie mit den
Händen, ihre Mimik wirkt manchmal fast grimassenhaft. Sie zeigt auf ein
Foto, auf dem ein junger rotbärtiger Mann an einem Baum hängt. "Mein
Freund", sagt Cécile. Er wohnt in Darmstadt, das mit der Fernbeziehung sei
auch "ganz gut so". Ob sie sich jemals ein konventionelles Leben vorstellen
kann? Job, Haus, Familie? "Nö, ist doch viel lustiger so."
6 Jan 2011
## AUTOREN
Emilia Smechowski
Emilia Smechowski
## TAGS
Cécile Lecomte
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