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# taz.de -- Entertainer Rocko Schamoni: "Auf dem Land kriege ich Panik"
> Hamburg hat er mittlerweile reichlich satt, spricht von einem "Nachlassen
> der Energie". Ein Leben in der Provinz kann sich der Musiker und Autor
> Rocko Schamoni aber auch nicht vorstellen.
Bild: "Städte sind die sichersten Orte für Leute, die nicht ganz sauber ticke…
taz: Herr Schamoni, gerade ist Ihr neues Buch "Tag der geschlossenen Tür"
erschienen. Warum spielen Ihre Geschichten immer in Hamburg?
Rocko Schamoni: Weil ich hier lebe. Das ist der einzige Grund. Ich sammle
meine Inhalte von der Straße, aus Geschichten von anderen Leuten und aus
meiner Erlebniswelt. Das macht meine Schreiberei glaubhaft.
Ist die Stadt wichtig für Sie?
Ja.
Warum?
Ich bin kein Naturschriftsteller und ich glaube, über die Natur ist schon
alles gesagt worden. Vor allen Dingen kann man an der Natur so gut wie
nichts kritisieren. Es gibt nichts Schlechtes oder Ekelhaftes an der Natur.
Aber an den Lebenswelten der Menschen gibt es sehr viel zu kritisieren und
an den Städten natürlich am meisten.
Ein Beispiel, bitte.
Hamburg hat es tatsächlich geschafft, alles was nutzlos, unwert und
irgendwie verrottet ist, aus sich herauszukehren. Das ist aber häufig das,
was Städte ausmacht. Und die Leute, die diese Säuberungspolitik betreiben,
fahren im Sommer nach Italien und mieten sich irgendein kleines, altes
Fischerhäuschen, das sie wahnsinnig schön und authentisch finden, während
sie hier die Glasbüros hochziehen. Dass die dunkle, die dreckige Seite
einer Stadt in deren Bewertung keine Berechtigung hat, finde ich gelinde
gesagt dumm.
Also raus aufs Land?
Einmal im Monat aus der Stadt rauszukommen, so wie jetzt bei meinen
Lesereisen für das neue Buch, das finde ich gut. Das ist dann wie so ein
kleiner Urlaub. Aber sonst: Nein, auf keinen Fall.
Warum nicht?
Ich komme aus einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein. Wenn ich dort bin,
macht mich das nach einiger Zeit fertig.
Weil Sie die Heimat deprimiert?
Ich merke, dass ich dort nach drei oder vier Tagen Panik kriege. Weil es
auf dem Land einen Stillstand gibt, ein Nichtgeschehen. Dazu kommt
gleichzeitig ein Stillstand in mir, weil ich die Ruhe und die Einsamkeit
nicht auskosten kann, wie man es eigentlich können sollte. Ich bin mir
selber nicht genug.
Wegen der fehlenden Möglichkeiten auf dem Land, dem Mangel an Flexibiliät?
Das Land hat schon etwas Totes - auch was schönes Totes an sich, aber
speziell im Norden ist das Landleben in den letzten 20 Jahren fast gänzlich
weggestorben. In den 70er Jahren gab es noch Hippie-Kommunen und schrottige
Theken, wo sich irgendwelche Freaks getroffen haben. Das gibts alles nicht
mehr. Die Gasthöfe bei mir aus der Gegend sind zu 80 Prozent geschlossen
worden, da leben jetzt irgendwelche Arztehepaare aus Hamburg drin. Die
meisten Leute sitzen zu Hause und gucken Fernsehen oder sind im Internet.
Die wilden Zeiten im Dorf sind also vorbei?
In meiner Heimatstadt gibt es sieben Supermärkte - und sonst nichts. So was
wie ein Kneipenleben mit Karten spielenden alten Männern, die zusammen
rauchen und Bier trinken, die Dorfdisco, der Nachtclub: Das ist alles weg.
Sie scheinen das zu vermissen.
Auch das ist ein Grund, warum ich immer mehr Panik auf dem Land kriege. Ich
merke, dass der Norden seine kulturelle Identität komplett hat fahren
lassen und dass es keinen Ort gibt, an den man noch flüchten kann. Früher
gab es noch den "Dorfkrug", da konnte man dann abends hingehen und einen
Korn zwitschern oder so was. Mittlerweile kannst du irgendwo im Wald ein
Loch haben, wo du Bier vergraben hast, und da kannst dann du hingehen und
einen trinken. Aber alleine.
Das machen Sie selbst aber nicht mehr.
Mit 18 mochte ich das noch so, stundenlang, mit dicken Klamotten und einer
Kiste Bier mit Kumpels im Wald rumzuhängen, aber das ist auch vorbei. Mein
Vater wohnt da noch. Aber auch er sagt: Der Winter ist das Grauen auf dem
Land. Und er wohnt da schon seit vielen Jahren. Wenn ich dort bin bei
schlechtem Wetter, dann sehne ich mich nach ein paar Tagen sehr nach der
Stadt und dem ganzen Unsinn, der hier passiert.
Welcher Unsinn?
Städte sind die sichersten Orte für Leute, die nicht ganz sauber ticken.
Eigentlich sind die Städte auch immer die Horte der Ausgestoßenen, weil man
untertauchen kann. Und das interessiert mich. Und deswegen bewege ich mich
gerne in Städten und beobachte das dort, weil dort das Menschliche am
meisten zum Vorschein kommt.
Auch das eigene?
Das kommt darauf an, wie man sich bewegt. Man kann ein Höhlenleben in der
Großstadt führen. Es gibt verschiedene Wege den Menschen zu begegnen oder
ihnen zu entgehen, und das finde ich spannend.
Und doch kritisieren Sie die Stadt.
Ich habe erst in den letzten Jahren Probleme bekommen mit Hamburg. Hamburg
hat sich so wahnsinnig stark verändert, und gleichzeitig hat es ganz viel
von seiner Wildheit verloren. All die Staffage-Bauten, diese ganzen
Glasbunker, die da stehen, die ganzen Teherani-Fantasien, diesen ganzen
Massen-Event- und Kohlequatsch, der diese Stadt dominiert. Und gleichzeitig
ein kultureller Stillstand, ein Nachlassen der Energie. Die Stadt ist
glattpoliert, alles Randständige rutscht von der Oberfläche ab. Ich für
meinen Teil bin gerade so ein bisschen am Ende meines Lateins hier.
Klingt, als hätten Sie die Schnauze voll.
So lange ich hier bin, sage ich was dagegen, weil ich es zum Kotzen finde.
Haben Sie schon überlegt, wegzugehen?
Ja, ich denke öfter drüber nach.
Wohin?
Das weiß ich noch nicht.
Machen Sie bei "Recht auf Stadt" mit, weil Sie diese Entwicklung hier so
nervt?
Dass es aufgrund dieser kulturellen Erschlaffungsprozesse, der Dominierung
von Eventseite und der Verflachung der Stadt auch eine Gegenbewegung gibt,
die immer stärker geworden ist, die vernetzt ist, das finde ich gerade sehr
spannend in Hamburg, das gab es lange Jahre nicht, und es ist der einzige
freudvolle politische Prozess in dieser Stadt.
Auch der Stadtteil St. Pauli, wo Ihr Golden Pudel Club ansässig ist,
verändert sich gerade sehr.
Ja, St. Pauli ist ein klassisches Arme-Leute-Seefahrerviertel, das Viertel,
von dem Helmut Schmidt gesagt hat, "da geht unsereiner nicht hin" - jetzt
tut man das auf einmal: Jetzt kommt "seinereiner". Auf der anderen Seite
gibt es die Menschen aus dem Viertel, die sagen, das ist unser Reservat,
ihr habt uns hier reingesteckt, weil wir in euren Vierteln nicht sein
sollten - jetzt lasst uns gefälligst in Ruhe. Mit welchem Recht kommt ihr
jetzt hierher und wollt uns die billigen schrottigen Häuser unterm Arsch
wegräumen, damit ihr eure tollen Lofts da haben könnt?
Aber will nicht jeder eine schicke Dachwohnung im Schanzenviertel haben?
Kann ja sein, na und? Gibt nicht genug. Und sind zu teuer. Insofern reden
wir bei dieser Frage über ein Grundproblem unserer Gesellschaft, den
Kapitalismus.
Da kommt man ja nicht drum rum.
Da kommst du bei den jetzigen Bedingungen die nächsten 30 Jahre nicht drum
rum.
Wieso 30?
Weil der Kollaps kommt. Und zwar nicht nur deswegen, weil die
Wirtschaftssysteme implodieren, sondern weil die westliche Lebensweise,
unsere Art die Welt als Mine zu sehen, die man endlos ausbeuten kann, die
ganze Kälte und Berechnung unseres Blickes irgendwann zum Desaster führen
muss. Das hält noch 30, 40, vielleicht 50 Jahre - dann ist Ende im Stollen.
Kann man das bremsen?
Es ist nicht zu bremsen, das System ist zu groß, zu unüberschaubar, es ist
zu spät.
9 Jan 2011
## AUTOREN
Annika Stenzel
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