# taz.de -- Kolumne Bestellen und Versenden: Der romantische Konjunktiv | |
> Hans Magnus Enzensberger, der Daniel Düsentrieb des Kulturbetriebs: Es | |
> gibt gerade eine Art Enzensberger-Offensive – und man begegnet ihm mit | |
> Milde. | |
In der letzten Folge von "Bestellen und Versenden" ging es um die Probleme | |
des öffentlichen Intellektuellen. Manche Kommentatoren im privaten Umfeld | |
bemängelten hinterher, dass zu wenige Namen genannt wurden. Im Text hätten | |
noch andere auftauchen können als bloß der blöde Sloterdijk. Vielleicht ja | |
Hans Magnus Enzensberger? | |
Immerhin gibt es gerade so etwas wie eine kleine Enzensberger-Offensive, | |
zeitgleich erschienen die beiden Bücher "Album" und "Meine Lieblingsflops, | |
gefolgt von einem Ideen-Magazin". Während Enzensberger vor nicht langer | |
Zeit noch Proto-Renegat und deswegen beliebtes Hassobjekt war, begegnet man | |
dem inzwischen 81-Jährigen heute mindestens mit Milde. | |
"Wenn es einen gibt, mit dem man noch einmal alles, wirklich alles | |
besprechen möchte - die Politik, die Krisen, den großen Bla im öffentlichen | |
Raum -, dann ist es er: Enzensberger, Lyriker und Essayist, der Frische, | |
Helle, Lichte", schrieb letzten Sommer Moritz von Uslar im Intro zu seinen | |
"99 Fragen an Hans Magnus Enzensberger". Noch weiter wagte sich der | |
Ober-Emphatiker Volker Weidermann, er feierte in der FAS Enzensberger als | |
"Universalmenschen". | |
Während das bildungsbürgerliche "Album" ein reichlich erratisches | |
Coffee-Table-Book für das Old-School-Bildungsbürgertum geworden ist, lohnt | |
bei "Meine Lieblingsflops" eine nähere Lektüre. Enzensberger erzählt darin | |
in kurzen Stücken von Vorhaben, aus denen nichts wurde: Theaterstücke, die | |
nicht ankamen, Filmprojekte, für die am Ende das Geld fehlte, | |
Zeitschriften, die im Sande verliefen usw. | |
Das in den sechziger Jahren geplante transnationale Zeitschriftenprojekt | |
Gulliver zum Beispiel scheiterte an "Differenzen und Empfindlichkeiten". | |
Der Tonfall der Geschichten ist angenehm lakonisch und verzichtet auf den | |
Pathos des heroischen Scheiterns, statt in dramatischen Szenarien | |
versickern die "Flops" an losen Enden. | |
Der Autor HME tritt in seiner "Chronik der gescheiterten Projekte" wie ein | |
Hybrid aus Rafael Horzon und Alexander von Humboldt auf, als ein | |
universaler Projekteheini, der alles können könnte, auch wenn ihm nicht | |
alles gelingt. Im zweiten Teil des Flop-Buches präsentiert Enzensberger | |
unter der Überschrift "Ideen-Magazin" seine unverwirklichten Vorhaben und | |
Festplatten-Leichen, darunter eine Zeitschrift namens Dummy, die immer nur | |
als Nullnummer erscheinen würde, oder einen Film über den Kunstmarkt. | |
In seiner intellektuellen Daniel-Düsentrieb-Haftigkeit hat Enzensberger | |
sogar Wikileaks in analog vorausgedacht: ein Organ namens "Das Bulletin", | |
in dem geheim gehaltene Informationen anonym veröffentlicht werden könnten. | |
Mit seinen Flops, vor allem aber mit der Ideensammlung will HME offenbar | |
seine verschwenderisch strömende Kreativität kanonisieren und seinen | |
Auftritt in der deutschen Denklandschaft feinschleifen. Um dabei nicht als | |
Angeber rüberzukommen, kleidet er die eitle Selbstperformance in die Maske | |
der Demut - alles halb so schlimm mit dem Scheitern, so der Tenor der | |
Texte. | |
Am Werk ist ein romantischer Konjunktiv: Wären die äußeren Bedingungen | |
andere gewesen, dann hätte noch dieses oder jenes mehr vollbracht werden | |
können. Immer wieder stößt der Ideengeber Enzensberger auf die Eigenarten | |
des Betriebs, auf seinen Ideenfluss hemmende Grenzen. "Schöner scheint es | |
mir, in anderen Zonen zu wildern", schreibt er an einer Stelle über sein | |
intellektuelles Begehr. Allerdings bleibt Enzensberger in seinen | |
angeblichen Revierübertretungen genauso borniert innerhalb der Grenzen des | |
gesunden Menschenverstands, wie man es von ihm kennt. | |
Obwohl die Möglichkeitsstruktur des Flops zu zeitgenössischen Strategien | |
der Passivität ("I prefer not to") und Potenzialitätstheorien aus der | |
Agamben-Rezeption passt, verzichtet er auf entsprechende Referenzen. Auch | |
Schlingensiefs "Scheitern als Chance!" hätte durchaus eine Erwähnung | |
verdient gehabt. | |
Trotz des weitgehenden Verzichts auf Diskursfähigkeit verspricht HME so | |
etwas wie eine implizite Theorie des Kulturbetriebs. Misserfolge, so | |
schreibt er, "gewähren Einblick in die Produktionsbedingungen, Manieren und | |
Usancen der relevanten Industrien". Entscheidend ist für Enzensberger, dass | |
es immer weiter läuft: "Statt sich mit (…) Beschwerden aufzuhalten, ist es | |
sinnvoller, die nächste Karte aus dem Ärmel zu ziehen und, wie es in einem | |
Pop-Song aus dem Jahre 1793 heißt, weiterzumachen, 'weil noch das Lämplein | |
glüht'." | |
Dieser Pragmatismus ist vielleicht das Sympathischste an Enzensbergers | |
Selbstbeweihräucherung ex negativo: Wir hören kein kulturkritisches Lamento | |
über die hohle Betriebsamkeit und keinen larmoyanten Aufruf zum Tabubruch. | |
Wenn man sich die männlichen Großintellektuellen um uns herum anschaut, | |
dann versteht sich das keineswegs von selbst. | |
11 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Aram Lintzel | |
## TAGS | |
Fernsehen | |
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