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# taz.de -- Debatte 20 Jahre Golfkrieg: Vom Wüstensturm verweht
> Der erste US-Krieg gegen den Irak begann am 17. Januar 1991. Der Wunsch
> nach mehr Demokratie in der Region hat sich seither kaum erfüllt.
Bild: Wer sich an den Golfkrieg von 1991 erinnert, erinnert sich vielleicht auc…
Realpolitik schien lange Zeit die Devise zu sein, nach der Barack Obama den
Autokraten im Nahen Osten begegnete. Statt beherzt für mehr Freiheit und
Demokratie in der Region einzutreten, schlug ausgerechnet Obama, der große
Magier der Hoffnung auf Wandel, in dieser Hinsicht bislang eher leise Töne
an.
Das hat sich jetzt geändert: als in Algerien und Tunesien Tausende gegen
die soziale Not auf die Straße gingen, watschte US-Außenministerin Hillary
Clinton am Golf die arabischen Herrscher öffentlich ab: Ohne Achtung der
Menschenrechte sowie wirtschaftliche und politische Reformen drohten ihre
Staaten im Sand der Geschichte zu versinken. Am selben Tag erklärte
US-Vizepräsident Joe Biden in Bagdad, ein demokratischer und
prosperierender Irak sei das Beste, was den USA in diesem Teil der Welt
passieren könne.
Für die Demokraten in der Region, die sich von der Obama-Regierung bisher
sträflich im Stich gelassen fühlen, ist das ein gutes Zeichen. Was
Washington effektiv tun kann, um die arabischen Regime zu Reformen zu
bewegen, steht freilich auf einem anderen Blatt Papier. Aber sicher ist: Ob
die irakische Demokratie am Ende Tritt fasst oder nicht, wird darüber
entscheiden, welches Urteil künftige Generationen über den US-Krieg gegen
den Irak fällen werden.
Mutter aller Niederlagen
Im Grunde begann dieser Krieg nicht erst im März 2003, sondern schon vor
zwanzig Jahren. Im August 1990 war der Irak im Nachbarland Kuwait
einmarschiert. Nachdem das letzte UNO-Ultimatum an Iraks damaligen Diktator
Saddam Hussein abgelaufen war, begann am 17. Januar 1991 die von den USA
angeführte "Operation Wüstensturm".
Saddam verlor diesen Krieg zwar, den er zur "Mutter aller Schlachten"
erklärt hatte, blieb jedoch an der Macht. Denn als sich kurz nach dem Ende
der Kriegshandlungen im Süden des Irak die Schiiten und im Norden die
Kurden gegen das Regime erhoben, schauten die Amerikaner und ihre
Verbündeten tatenlos zu, wie der Despot die Aufstände brutal niederschlug.
Zwar wurde später eine Schutzzone für die Kurden sowie in Nord- und Südirak
eine Flugverbotszone eingerichtet. Doch effektive Mittel, das Saddam-Regime
in die Knie zu zwingen, fand man nicht. Die Sanktionen, mit denen man das
Regime zur Aufdeckung seines Arsenals von Massenvernichtungswaffen zwingen
wollte, ließen weite Teile der Bevölkerung verarmen. Am Katz-und-Maus-Spiel
von Saddam mit den UNO-Inspektoren änderten sie nichts.
Nicht zuletzt aus Furcht vor einer Machtübernahme schiitischer
Fundamentalisten und einer Sezession der Kurden marschierten die Amerikaner
1991 nicht bis Bagdad vor. Sie hätten dann eine neue Regierung bilden und
entscheiden müssen, ob diese kurdisch, schiitisch oder sunnitisch sein
soll, gab Dick Cheney, damals US-Verteidigungsminister, später zu
Protokoll. Heute, einen Krieg später, hat der Irak eine Regierung, der alle
drei großen ethnischen und religiösen Gruppen angehören. Doch bis es dazu
kam, haben zehntausende Iraker und mehr als 4.400 Amerikaner ihr Leben
verloren.
Bush junior ist, mit seinen vielen Fehlentscheidungen nach dem Einmarsch,
daran nur teilweise schuld. Der Irak war schon vorher ein gescheiterter
Staat, der nur durch brutale Repression aufrechterhalten wurde. Heute weiß
man, dass der US-Krieg mit falscher Begründung geführt wurde - Saddam hatte
sein Massenvernichtungswaffen tatsächlich aufgegeben. Nun muss sich
Washington daran messen lassen, ob die schwelenden Konflikte friedlich
beigelegt werden.
Ein Staat noch ohne Gestalt
Noch immer ist die Frage, wie Schiiten, Sunniten und Kurden zusammenleben
wollen und welche Gestalt der "neue Irak" annehmen soll, nicht beantwortet.
Die Kurden haben zwar ihre nationalistische Rhetorik etwas gedämpft, ihre
Forderung nach einem eigenen Staat ist aber nicht vom Tisch. Kürzlich erst
betonte Regionalpräsident Masud Barzani erneut, dass der Verbund mit dem
Irak freiwillig sei. US-Truppen haben bislang eine Eskalation des Konflikts
um die erdölreiche Region um Kirkuk verhindert. Eine dauerhafte Lösung
haben sie aber nicht erreicht.
In Bagdad bilden heute genau jene religiösen Schiiten den Kern der
Regierung, deren Machtübernahme Bush senior 1991 noch fürchtete. Dabei
schwankt Ministerpräsident Nuri al-Maliki zwischen den fundamentalistischen
Tendenzen seiner Dawa-Partei und einer eher moderaten Auslegung des
politischen, schiitischen Islam.
Pluralismus der Geistlichen
In Bagdad und anderen Provinzen, in denen seine Parteigänger dominieren,
versuchen islamische Hardliner, ein Verbot von Alkoholkonsum, die
Schließung von Bars und selbst ein Koedukationsverbot durchzusetzen.
Rückenwind bekommen sie von dem radikalen schiitischen Prediger Muktada
as-Sadr, der nach rund vierjährigem freiwilligem Exil im Nachbarland Iran
kürzlich wieder in den Irak zurückgekehrt ist.
Dass die Hardliner eine Art Taliban-Regime auf schiitische Art nicht so
einfach durchsetzen können, liegt vor allem am Gegenwind, den sie von
Geistlichen in der heiligen Schiitenstadt Najaf bekommen. Es ist
ausgerechnet der Pluralismus unter den Geistlichen, der möglicherweise zur
Demokratisierung des Irak beiträgt. Allen voran lehnt der höchste
Geistliche, Großajatollah Ali Sistani, einen islamischen "Staat der
Rechtsgelehrten" wie in Iran ab. Mit seinem Votum für Wahlen und offene
Listen hat Sistani maßgeblich zur Verankerung demokratischer Regeln im Irak
beigetragen. Ein Liberaler ist Sistani freilich nicht - und auch der
betagte Geistliche will nicht, dass die Schiiten ihre Vormacht wieder
verlieren.
Kein Modell für den Export
Einst wollte George W. Bush die Demokratie vom Irak aus in dessen
Nachbarländer exportieren. Fürs Erste ist dagegen der Iran als Gewinner aus
dem regionalen Machtringen hervorgegangen. Ob das so bleibt, hängt nicht
nur vom Konflikt um das iranische Nuklearprogramm ab, sondern auch davon,
welchen Weg die Schiiten im Irak einschlagen. Besorgt um ihre Vormacht, tun
sie sich schwer, Zugeständnisse an die Sunniten des Landes zu machen.
Ähnlich wie im Libanon geht es auch im Irak heute in allen Fragen zuerst um
den ethnischen und religiösen Proporz. Dabei ließ der aktuelle Premier
Maliki im letzten Jahr auch autoritäre Tendenzen erkennen. Von einem Staat
mündiger Staatsbürger, in dem individuelle Fähigkeiten statt Ethnie,
Religion oder Parteizugehörigkeit über Amt und Würden entscheiden, ist der
Irak noch weit entfernt.
Ende des Jahres steht der Abzug der letzten US-Truppen an. Zwanzig Jahre
nach dem Golfkrieg brauchen die Amerikaner noch immer einen langen Atem,
bis im Irak wirklich Freiheit und Demokratie Wurzeln geschlagen haben. Vom
Rest der Region gar nicht erst zu reden.
16 Jan 2011
## AUTOREN
Inga Rogg
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