# taz.de -- Midlife-Crisis-Kino: "Im Alter von Ellen": Das verflixte vierzigste… | |
> Adrette Stewardess zieht in eine Veganer-Kommune. Der Film "Im Alter von | |
> Ellen" von Pia Marais bleibt trotz einer tollen Julia Hummer unbedarft | |
> und nichtssagend. | |
Bild: Neue Freunde: Ellen muss sich umorientieren. | |
Ellens Nackenpartie hat es der Kamera angetan. Sie sitzt ihr aufdringlich | |
im Nacken, als die Stewardess nach getaner Arbeit mit fein säuberlich | |
hochgestecktem Haar durchs Terminal läuft. Ellens Hinterkopf ist auch im | |
Zentrum des Bildausschnitts, als sie von ihrem Freund vor dem Flughafen zur | |
Begrüßung in die Arme genommen wird – weswegen man sehen kann, dass dieser | |
Freund in ihrem Nacken kurz die Augen verdreht. In seiner Hand brennt noch | |
die Zigarette. Dass in der folgenden Szene die Beziehung zu Bruch geht, ist | |
keine Überraschung. | |
Florian bekommt von einer anderen Frau ein Kind, Ellen die dringliche | |
Aufforderung, sich wegen irgendwelcher Untersuchungsergebnisse bei ihrem | |
Arzt einzufinden. Sie läuft aus der Praxis, die Auflösungserscheinungen | |
häufen sich, die Montagesequenz ihres Stewardessen-Alltags (Hotelzimmer, | |
Flughäfen, Rettungswestendemonstrationen) zeigt – bildsprachlich qua | |
Holzhammermethode – den Job als ritualisierte, hohle Klammer ihrer | |
Existenz. | |
Als neben einer Landebahn in Afrika ein Gepard läuft, kann Ellen sich nicht | |
von seinem Anblick lösen. Sprechende Blicke zwischen Mensch und Tier. Dann | |
wird der Gepard vom Flughafenpersonal schachmatt geschossen. Tierschützer | |
tauchen auf und kämpfen um die schlafende Raubkatze. | |
Klar, dass nach dieser hochsymbolischen Begegnung mit dem Wildlife | |
einerseits und dem Engagement andererseits Ellens Frisur deutlich in | |
Unordnung geraten ist. Ambientös wabernde Unterwassermusik setzt ein. Als | |
Ellen kurz vor dem nächsten Start dann aus dem Flugzeug stürzt, die Kamera | |
im Nacken, hält sich die Überraschung erneut in Grenzen. | |
"Im Alter von Ellen", nach "Die Unerzogenen" (2007) der zweite Langfilm der | |
Regisseurin Pia Marais, ist das Protokoll einer Midlife-Crisis, die im | |
Weiteren ungewöhnlicher verläuft als ihr Beginn. Leider wird ob dieser | |
Ungewöhnlichkeit der Film auch nicht besser. Ohne Job, aber noch in | |
Stewardessenmontur gerät Ellen in Frankfurt an eine Gruppe – Achtung, | |
Zufall! – militanter TierschützerInnen, die, angeführt von Rebecca (Julia | |
Hummer), als Kollektiv zusammenwohnen (in einem Haus mit Hunden, Katzen und | |
fluffigen Bettenbergen, wo man sich, unterlegt von Streichermusik, | |
gegenseitig die Haare schert). | |
In diesem Haufen von jugendlichen Veganern und 68-Zweitgenerationellen also | |
landet die adrette Ellen in ihrem Kostümchen. Und bleibt. Beobachtet mit | |
großen Augen die Aktivisten. Deren Überzeugung, etwas Wichtiges, | |
Sinnfälliges zu tun. Ihre Debattenkultur (Habitus und Slang einer | |
posthippiesken, aktivistischen Linken) ist übrigens ziemlich gut getroffen | |
– Julia Hummer in ihrer Rolle als hornbebrillte, die basisdemokratischen | |
Abläufe sichernde Kommandeuse ist grandios. | |
Ellen trägt schon bald geliehene Klamotten und das Haar offen. Sie bekundet | |
ihre Sympathie für den ihr neuen Idealismus und kann sich, auch als sie per | |
Mehrheitsvotum aus dem Haus geworfen wird, nicht von der Gruppe lösen. | |
Heiratet den fast zwanzig Jahre jüngeren Karl, der sich vor dem Wehrdienst | |
drücken will. Macht im weißen Hochzeitskleid inmitten schwarzer | |
Kapuzenpulliträger bei nächtlichen Tierbefreiungsaktionen mit. | |
Jedes Bild schreit ihre Fremdheit in diesem Kontext nur so heraus. Immerhin | |
hat der Film die Geduld, seiner Hauptfigur die Zeit zu geben, sich sehr | |
lange in dem für sie so unmarkierten Raum aufzuhalten. Dass Ellen dabei | |
immer gleichzeitig souverän und vollkommen unsouverän wirkt, findet man | |
erst noch psychologisch ausgefuchst, sehr bald aber dann eher unplausibel. | |
Am Ende aber geht Ellen noch einen Schritt weiter – schließlich werden | |
befreite Labormäuse auf der Straße totgefahren! Alles ist an der | |
europäischen Form der Militanz also nicht sinnvoll, sagt der Film mit | |
pädagogischem Zeigefinger. Ellen aber fliegt wieder nach Afrika, wo der | |
wahre Sinn, der echte Tierschutz wartet. Im letzten Bild wandert sie mit | |
einem weisen schwarzen Kind über afrikanische Hügel, gewillt, den Inhalt | |
ihrer Lebensaufgabe hier herauszufinden. Es ist neblig, wohin ihr Weg geht | |
doppelt undeutlich. Aber endlich löst sich die Kamera aus ihrem Nacken und | |
lässt sie ziehen. | |
Puh. Es gibt einige schöne Ansätze in diesem Film. Dazu gehört, dass er | |
versucht, die Situation einer Lebenskrise mit feinem Strich zu zeichnen, | |
psychologisch komplex, narrativ unlinear, mit einer Protagonistin, die | |
erstaunlich mäandert zwischen erwachsener Abgeklärtheit und kindlicher | |
Neugierde. | |
Aber Jeanne Balibar als Ellen destilliert in ihrem immer auswendig gelernt | |
klingenden Deutsch aus all diesen Komponenten leider eine Figur, die vor | |
allem nichtssagend ist. Übrig bleiben symbolistisch überfrachtete Bilder | |
und die Unbedarftheit des Selbstfindungskitsches. | |
20 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Riesselmann | |
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