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# taz.de -- Mexikanische Rituale: Im Land der Hexer und Heiler
> Der Bundesstaat Veracruz an der Ostküste Mexikos ist die Heimat der
> prähispanischen Olmekenkultur. Ihre uralten Baderituale bringen heute
> Einheimische und Touristen ins Schwitzen.
Bild: Catemaco ist ein Zentrum für Heiler, Hexen, Wahrsager und Handleserinnen.
Wie sollen wir bloß diesen Zungenbrecher über die Lippen bekommen? "O
Matakujatzi" spulen die anderen gebetsmühlenartig herunter. Immer dann,
wenn sich ein Mann nähert und glühende Steine in den Raum schaufelt. Wir
sitzen in einem igluartigen Bau aus Stein und Lehm im kleinen Kreis um ein
Feuer herum. Die meisten sind Mexikaner, unter die sich ein paar Europäer
gemischt haben. Vorher wurden alle von Indiofrauen von Kopf bis Fuß mit
feuchter Erde eingerieben.
Jetzt sollen wir ordentlich schwitzen und uns von allem Negativen reinigen.
"Das bringt die vier Elemente Luft, Wasser, Erde und Feuer wieder in
Einklang", meint der Zeremonienmeister, während er mit Zweigen durch die
Luft wedelt. Sobald sich die Schwitzhütte aufgeheizt hat, lässt er die Tür
schließen.
Es ist stockdunkel. Nur die Glut dampft und zischt geheimnisvoll, wenn er
seinen Kräutersud darübergießt. Jetzt ermuntert er jeden, sich kurz
vorzustellen und zu sagen, was er von dem Ritual erwartet. Es macht sich
eine gewisse Verlegenheit breit.
Einer erhofft sich mehr Ausgeglichenheit, der andere wünscht sich und
seinen Freunden Liebe, Glück und ein langes Leben. Als alle ihren Spruch
aufgesagt haben, lässt der Bademeister die Schamanentrommel erklingen und
hebt zu rituellen Gesängen an. 45 Minuten dauert die Sitzung. Zwischendurch
wird kurz die Tür geöffnet, damit alle, denen nicht wohl ist, ins Freie
können. Die meisten bleiben.
"Wollt ihr mehr Wärme?" "Si, más calor, mehr Hitze", heißt es einstimmig.
Endlich geht die Tür auf, und wir eilen hinaus. In einem Teich sollen wir
uns den Schlamm abspülen. Plötzlich ist es kalt geworden, trotz Schwitzkur
frösteln wir, tauchen nur kurz unter und warten bibbernd darauf, dass uns
die Indiofrauen Handtücher reichen.
Nein, der Temazcal ist kein neumodischer Spaß für die, die Ayurveda und
Lomi Lomi Nui langweilig finden und mehr Exotik wollen. Vielmehr handelt es
sich um ein altes Baderitual, das auf die prähispanische Kultur im Süden
des Bundesstaats Veracruz zurückgeht.
Zelebriert wird es am Lago de Catemaco, einem See, der am Golf von Mexiko
mitten im nördlichsten tropischen Regenwald der Erde liegt.
Nur ein paar Kilometer von der Küste entfernt durchziehen undurchdringliche
Mangrovenwälder, Seen und Wasserfälle die feuchtheiße Tiefebene, dazwischen
lugen Bergketten vulkanischen Ursprungs hervor. Dabei sind die Tuxtlas, wie
die Region im Süden von Veracruz heißt, nicht nur Zentrum des Tabakanbaus,
sondern auch traditionelles Revier der Heiler und Hexer.
Überall bieten Wahrsager, Handleserinnen und Medizinmänner für ein paar
Pesos ihre Dienste an. Hier und da ist sogar von Wunderheilungen die Rede.
Es ist sicher auch kein Zufall, dass hier Anfang der neunziger Jahre der
Film "Medicine Man - Die letzten Tage von Eden" gedreht wurde.
Hauptdarsteller ist Sean Connery, der als kauziger Forscher in
Urwaldpflanzen ein Serum entdeckt hat, das Krebs heilen soll. Doch droht
die Gegend durch profitgeile Investoren zerstört zu werden.
In Wirklichkeit ist die Gegend um den Catemacosee nicht von Zerstörung
bedroht. Vielmehr wurde schon vor Jahrzehnten ihr Potenzial für einen
sanften Ökotourismus erkannt. So entstand zum Beispiel das Ökoreservat
Nanciyaga am Nordufer des Catemacosees, in dem während der Dreharbeiten
auch Sean Connery unterkam.
Mit seinen auf Stelzen ins Wasser gebauten Lodges - einfachen, aber
sauberen Holzhütten - eignet es sich ideal für naturnahen Urlaub.
Zugegeben, es gehört schon etwas Abenteuerlust dazu, wenn man hier wohnen
will: Es gibt kein elektrisches Licht, sodass man sich nach Sonnenuntergang
mit der Taschenlampe den Weg durch die Finsternis bahnen muss.
Wem das zu unheimlich ist, der sollte es lieber bei einem Tagesausflug
belassen und nach Catemaco zurückfahren. Liebenswert verschlafen ist die
Stadt am gleichnamigen See, wenn nicht gerade mexikanische Touristen Oster-
oder Sommerurlaub machen. Ein paar Hotels, auch ein Resort und viele
Restaurants säumen die Ufer.
Höhepunkt ist der Trip zur Affeninsel, wo sich tatsächlich unzählige
Changos von Ast zu Ast hangeln und für ein paar Erdnüsse Fotomodell
spielen. Unser Lieblingsplatz ist indes La Panga: Was gibt es Schöneres,
als unter dem Strohdach der auf dem Wasser schwimmenden Bar bei einer
Marguerita die Augen über den See zum nächtlichen Sternenhimmel schweifen
zu lassen?
Tagsüber erkunden wir die Umgebung von Catemaco. Fahren zum Salto de
Eyinpantla, wo unglaubliche Wassermassen aus fünfzig Meter Höhe in die
Tiefe stürzen. San Andrés, die Hauptstadt der Tuxtlas, enttäuscht uns
indessen. Außer ein paar Bauten im Kolonialstil gibt es nicht viel zu
sehen. Umso mehr überrascht das benachbarte Santiago de Tuxtla, wo wir
plötzlich vor einem drei Meter hohen Kolossalkopf stehen. Eine
Pappmascheefigur? Relikt eines Stadtfestes oder einer Filmkulisse?
"Nein, der Cobata-Kopf ist Hinterlassenschaft der Olmeken", klären uns
unsere Begleiter auf. An die vierzig Tonnen soll die Monumentalplastik aus
Basaltstein mit den wulstigen Lippen und der breiten Boxernase schwer sein.
Über ihre Schöpfer, die Olmeken, ist wenig bekannt. Immerhin geht auf die
"Menschen aus der Kautschukregion" die älteste Zivilisation Mexikos zurück,
die noch vor Mayas und Azteken zwischen 1.500 und 100 vor Christus ihre
Blütezeit erlebte. Auch im benachbarten Tres Zapatos und weiter südlich, in
Tabasco, stehen ihre Monumentalplastiken.
Doch offenbar haben nicht nur die steinernen Zeugen die Zeit überlebt. Im
Urwald am Catemacosee scheinen auch ihre Geister noch herumzuspuken.
Jedenfalls kann es nicht schaden, sich für alle Fälle mit einem Bad im
Temascal und einem perfekt ausgesprochenen "O Matakujatzi" zu wappnen!
20 Jan 2011
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Reiseland Mexiko
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