# taz.de -- Kolumne Geräusche: Was will eigentlich Musik, die nichts will? | |
> Unter falschen Drogen klingt sogar ein Brian Eno auf Samtpfoten noch | |
> trampelig. | |
Wir hätten uns ja betrunken, wäre Alkohol im Haus gewesen. So aber | |
verspeisten wir, mein teuerster Freund und ich, leichten Herzens einen | |
Schwung spitzkegeliger Kahlköpfe. Und wer sich durch die Erregung | |
postsynaptischer Membrane vermittels psilocybiner Pilze seine | |
zentralnervösen Strukturen durcheinanderbringen lässt, den übermannen halt | |
Zustände, auf die er nach einem regulären Steinpilzragout lange warten | |
kann. | |
Irgendwann war uns die Musik, bis dahin sehr nett, viel zu sehr … da. | |
Nichts gegen Sufjan Stevens, aber wir brauchten jetzt absolute Ruhe, also | |
schalteten wir ihn aus. Leider war es damit nicht getan. Im Gegenteil. | |
Draußen wummerte gerade eine dieser auspuffbehandelten Türkenlimousinen | |
vorbei, ein Kinderwagen knirschte keck über den Rollsplitt auf dem Gehweg, | |
Fahrräder klabauterten klappernd über das Kopfsteinpflaster, ein Roller | |
fauchte fahrig um die Ecke, und ein unsichtbarer Helikopter | |
flappflappflappte fesch durch unseren Luftraum. | |
Was wir also brauchten: Musik, die nichts will. Aber Musik, die nichts | |
will, will ja auch etwas, auch wenn dieses Etwas das Nichts ist. Am Anfang | |
versuchten wirs noch mit Philipp Glass "Clouds", aber das war uns zu | |
schrill und verplappert. Vielleicht "Four Organs" von Steve Reich? Nicht | |
schlecht, aber noch immer zu aufdringlich. "Music for Airports" von Brian | |
Eno schied auch rasch aus, weil sich hier die Klänge wie Mobiles so luftig | |
und heiter um sich selbst drehen, dass uns ein schlimmer Schwindel packte. | |
Schnell war auch Aphex Twin mit seinen "Selected Ambient Works" | |
aussortiert, da sich in diesen hochglanzpolierten Flächen fast unmerklich | |
ein Grauen spiegelt, das gerne um sich greift. | |
Das möbelhafte Getupfe von Erik Satie und seinen "Vexations" war uns zu | |
monumental. An GAS und "Königsforst" gefiel uns zwar der schlierige Nebel, | |
doch störten wir uns an dessen zartem Pulsieren. Sogar Gavin Bryars und | |
sein "The Sinking of the Titanic" stellten wir ab, weil wir bald | |
buchstäblich sahen, wie das Schiff mit einer Schleppe aus schillernden | |
Blasen gen Grund rauschte. Arvo Pärt war uns zu katholisch, die | |
tibetanischen Gesänge der Mönche von Gyuto zu buddhistisch. | |
Gerade wollte ich John Cages "433'" auflegen, da wehte auf einmal, mehr | |
Ahnung als Klang, ein Altsaxofon durch die Wohnung. Mal war es da, mal | |
wieder nicht, und wie Gespenster schlichen wir durch die Zimmer auf der | |
Suche nach der Quelle … okay, ums kurz zu machen: Nächstes Mal werden wir | |
uns betrinken. Pilze machen viel zu wählerisch, und am Ende steht man dumm | |
da. | |
Der Abend endete jedenfalls damit, dass wir andächtig und entrückt in einer | |
zwielichtigen Ecke des Flures vor der nackten Steigleitung standen und wie | |
einer Offenbarung den unbeholfenen Fingerübungen eines neunjährigen | |
Nachbarn lauschten, der sich gerade zwei Stockwerke über uns zaghaft durch | |
"Take Five" tastete. | |
Text: "Der Reif hatt einen weißen Schein / Mir übers Haar gestreuet / Da | |
glaubt ich schon ein Greis zu sein / Und hab mich sehr gefreuet" (Franz | |
Schubert) | |
Musik: Das Knistern von Vinyl, das man aus der Hülle nimmt. | |
20 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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