# taz.de -- Hiroshima in Hannover: Gedenkkultur im rosa Rüschenkleid | |
> Die japanische Schauspielerin Sachiko Hara hat sich des Atombombenabwurfs | |
> über Hiroshima angenommen - und das Gedenken daran mit dem Stück "Little | |
> Boy, Big Taifoon" sehr schrill und originell in Hannover auf die Bühne | |
> gebracht. | |
Bild: Nach Berlin gekommen wegen Schlingensief, gelandet in Hannover: Sachiko H… | |
HANNOVER taz | Kann man vom Schrecken des Atomzeitalters erzählen, ohne nur | |
zu betrüben? Von Hiroshima sprechen, ohne einen Saal voller | |
Geschichts-LK-Schüler ermattet nach ihren iPods schielen zu lassen? Sachiko | |
Hara, 46, hat beschlossen, dass sie kann. | |
Die japanische Schauspielerin, klein, zierlich und die einzige Ausländerin | |
im festen Ensemble des Schauspiels Hannover, holte die sperrige Vorlage | |
nach Deutschland - eine quasi-dokumentarische Lesung des Schriftstellers | |
Hisashi Inoue über den Atombomben-Abwurf über Hiroshima. Jetzt wird der | |
Stoff als europäische Erstaufführung am Jungen Schauspiel in Hannover | |
aufgeführt, in Form des mehrstimmigen Info-Theaterstücks "Little Boy, Big | |
Taifoon". Darin spricht Sachiko unter anderem die Rolle der Journalistin | |
Hanae, die Waisenkinder der zerstörten Stadt als Nachrichtenverkünder | |
engagiert. | |
Eine Stunde vor der Aufführung sitzt die Schauspielerin im ältesten | |
Teestübchen der Hannoverschen Altstadt, nippt Cassis-Kinderpunsch und sagt: | |
"Ich habe keine Geheimnisse." Sachiko Hara kam als junge Schauspielerin aus | |
Tokio nach Berlin, weil sie unbedingt mit Christoph Schlingensief arbeiten | |
wollte. Sie hatte seinen Film "United Trash" gesehen und war begeistert. | |
Bei ihrer Ankunft erzählte sie jedem, dass sie ihn kennenlernen müsse. | |
"Alle sagten: Hä? Was ist diese junge komische Asiatin?" | |
Aber dann traf sie ihn tatsächlich, ein Kollege kannte dessen Assistenten | |
und vermittelte sie weiter. Beim ersten Treffen sagte der Regisseur, | |
normale Schauspieler könne er aber keine gebrauchen. Er war gerade aus | |
Afrika zurück, 1999 war das. Schlingensief zeigte Hara ein Foto von einem | |
entrückten Schamanen mit Schaum vorm Mund: Solche Leute suche er. | |
"Zum Glück hatte ich in Japan schon genug komische Sachen gemacht" - seit | |
1984 in den Avantgarde-Theatern Tokios unterwegs, habe sie "immer nur | |
verrücktes Theater" gespielt, sagt sie. In Tokio hatte sie auch die Kunst | |
des Butoh gelernt, ein burlesker Ausdruckstanz, mit dem sie schließlich bei | |
Schlingensief an- und vortanzte. | |
Nach deutschem Theaterverständnis gehört Sachiko Hara mit ihrem Hang zu | |
Slapstick und expressionistischem Tabutanz ins komische Bühnenfach. Im | |
Publikum wundern sich welche, dass sie jetzt was mit Hiroshima macht, | |
schließlich sei sie die Male davor doch "so witzig" gewesen. Doch die | |
Schauspielerin hat sich dem Hiroshima-Projekt mit dem Ernst einer | |
Soziologin gewidmet. Sie ist selbst dorthin gefahren, hat | |
Augenzeugenberichte eingeholt, Theaterprojekte besucht, die "dritte | |
Generation" befragt, also die Enkel der "Hibakusha" genannten | |
Bomben-Überlebenden, und Kurzfilme gedreht. | |
Depressiv wirkt Hara auch nach einem Jahr mit der trostlosen Thematik | |
nicht, eher besonnen. "Weinen reicht nicht", so drückt sie es aus. Sie habe | |
ja vor allem "ein Jahr lang gekocht" - aber nicht minder viel einstudiert, | |
gelernt und erinnert. Ein historisches Ereignis auf die Bühne zu bringen | |
sei heikel, "natürlich kann man damit an sich nicht spielen". Daraus folge | |
aber auch, dass es keine "richtige" Inszenierung gibt - und keine falsche. | |
Im Falle Hiroshimas, wo Augenzeugen und Betroffene nach und nach | |
aussterben, ist das junge Theater nicht mehr und nicht weniger als ein | |
Angebot wider das Vergessen. | |
Sachiko fegt durch das Stück wie ein wildgewordener Friedensengel, in rosa | |
Rüschenkleid und pinken Docs. Fieberhaft versucht sie sich als derart | |
ausstaffierte Versöhnungs-Braut Hanae ein entstellendes Keloid, ein | |
Gewebetumor vom Gesicht zu kratzen. Schrill ja, aber nicht parodistisch. | |
Anrührend, aber nicht schmalzig. Einmal kracht sie bei einem | |
Tobsuchtsanfall halb geplant, halb versehentlich in die grauen | |
Stadtkulissen-Quader. Die Teenager im Zuschauerraum lachen, damit das | |
blanke Entsetzen ihnen nicht die Luft abschneidet. | |
Auch das Begleitprogramm zu "Little Boy, Big Taifoon", der | |
"Hiroshima-Salon", stammt von ihr: eine bunte, fast fröhliche Revue aus | |
Videos und Geschichten, Tanzeinlagen und Showkochen. Sie wollte keinen | |
"Infoabend" veranstalten, das gäbe es zuhauf: zu radioaktiver Strahlung, zu | |
Hiroshima, wozu auch immer. Es gehe eher um einen lockeren Abend "im | |
eigenen Wohnzimmer", bei dem die Gäste etwas zu essen und trinken bekommen. | |
Zwei Monate hat sie die traditionelle Zubereitung von "Hiroshima-Yaki" | |
geübt, ein gegrillter Fladen, auf den nach dem Prinzip Pizza allerhand Zeug | |
gehäuft wird: etwas, was aussieht wie Seetang, Nudeln, Schinken und eine | |
seltsame Sauce, die wie Ketchup mit Karamell schmeckt. Mittlerweile weigert | |
sich ihr zehnjähriger Sohn, weitere Yaki-Experimente mitzumachen. | |
Diese Kreation serviert sie nun 20 angemeldeten Kulturinteressierten | |
mittleren Alters. Dazu wird Grüntee mit Reisaroma ausgeschenkt. "Kennt ihr | |
Parfume?", fragt Hara. Gemeint ist eine beliebte Girlie-Popgruppe aus | |
Hiroshima. Hara macht die exaltierten Moves aus Parfumes Trash-Videoclip | |
nach. "Die Japaner lieben solche Choreografien", ruft sie. Nur zwei junge | |
Theater-Mitarbeiter machen mit, die älteren Besucher sehen staunend zu, | |
während Hara weiter tanzt. | |
Erst als sie längst in Hannover lebte, habe sie erfahren, dass Hannover und | |
Hiroshima Partnerstädte seien, sagt sie. Bei ihren Recherchen kam sie in | |
Kontakt mit dem japanisch-deutschen Jugendaustausch, der Städtereisen | |
organisiert. Ehrfürchtig berichtet sie von den Begegnungen mit "Herrn | |
Hayashi", einem Hibakusha, der bis zu seinem Tod 2010 lange Jahre | |
Austauschprogramme für Kinder und Jugendliche organisiert hat. | |
Haras Programm richtet sich eindeutig an ihre neue deutsche Heimatstadt: | |
"Liebe Hannoveraner", sagt sie. Ihre Zielgruppe ist deutlich. "Wo sind denn | |
diese 1.000 Kinder aus Hannover, die nach Hiroshima gefahren sind?" Sie | |
wolle mit ihnen in Kontakt kommen. Ein Mann meldet sich, er sei in den | |
1960ern mitgefahren, seine Erinnerungsbrocken sind mit noch kleineren | |
Japanischbrocken gespickt. | |
Doch die meisten Salongäste tun sich schwer mit dieser vom reinen Erinnern | |
losgelösten Popgedenkkultur. Neben so viel Leid und Schrecken soll nichts | |
Banales stehen. Sie haben kopflastige Diskurse über Atomkrieg und Gedenken | |
bestellt - und bekommen Hiroshima-Pizza und -Popsternchen serviert. | |
Letzte Vorstellung am 4. Februar, 19.30 Uhr, Ballhof 2, Hannover-Altstadt. | |
Salon in Anschluss nur mit Anmeldung, ab 21 Uhr | |
26 Jan 2011 | |
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Hiroshima | |
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