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# taz.de -- Patchworkfamilie in der ARD: Arschgeweih oder Cellostunden
> Klassischer Plot: Nach der Geburt werden zwei Kinder vertauscht. Doch das
> Drama "Das geteilte Glück" mit einem Anwaltskind und einem Hartz-IV-Kind
> gelingt überraschenderweise.
Bild: Die wichtigsten Protagonisten des Films: Sebastian (Ludwig Skuras, li.) u…
In den ersten Minuten wähnt man sich noch am Anfang einer überdrehten
Filmkomödie. Da befragt die Krankenschwester gleich nach der Niederkunft
die glücklichen jungen Leute: "Und wie solls heißen?" "Kevin", antwortet
die Mutter. "Kevin", konstatiert die Schwester.
Zur Erinnerung: "Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose." Dieser - in
der Abschlussarbeit einer Lehramtsstudentin zitierte - Kommentar einer
Lehrerin ist inzwischen zum geflügelten Wort geworden. Andere Namen, mit
denen Eltern ihren Kindern die (Schul-)Karriere verbauen, waren gemäß jener
Studie Justin, Marvin oder Dennis. Deshalb hilft es dem Neugeborenen auch
wenig, wenn im Film der stolze Lebensgefährte die Namenswahl sogleich
korrigiert: "Noi, Dennis heißt mein Sohn, das des glei amol klar isch! Und
do druff trink isch erscht mol oine!" Sagts und reißt noch am Kindbett die
Bierdose auf. Der Film "Das geteilte Glück" spielt in Freiburg, Autor
Stefan Drähnert hält "das Badische für einen im deutschen Fernsehen völlig
untererzählten Dialekt".
Leider irrt der Biertrinker nicht nur bei der Namensfindung, sondern auch
bei der Annahme seiner - biologischen - Vaterschaft. Nicht, dass die Frau
ihm Hörner aufgesetzt hätte ("Auch wenns grad so aussieht: Ich hab nicht
rumgvögelt, Mama!" / "Des häscht du schon mit 14!"). Nein, das
Klinikpersonal hat einfach nur mal zwei kleine Babys vertauscht.
Als das neun Jahre später rauskommt, prallen Welten aufeinander. Der Junge,
der eigentlich Dennis heißen sollte, heißt nun Sebastian. Und Sebastian
heißt Dennis. Der falsche Sebastian wächst in einer bildungs- und
kulturaffinen Mittelschichtfamilie auf, spricht hochdeutsch, hat alles, was
er sich wünscht (Playmobil) und nicht wünscht (Cello). Den falschen Dennis
hingegen hat es ins Hartz-IV-Hochhausghetto verschlagen, wo die Mutti vom
einem neuen Discounter-Sofa träumt. Der Film erzählt davon, wie in
Deutschland Herkunft und Lebenschancen zusammenhängen.
Besagte Hartz-IV-Mutti wurde von den Filmleuten mit Kippe, String und
Arschgeweih ausgerüstet, hart am Rande der Klischeefalle. Dass die nicht
zuschnappt, hat einen Grund, und der heißt: Petra Schmidt-Schaller. Petra
Schmidt-Schaller wurde bekannt, als sie vor fünf Jahren in der eher öden
Verfilmung eines eher öden Martin-Walser-Romans die drei anderen - höchst
prominenten - Hauptdarsteller lässig überspielte.
Das tut sie nun wieder in diesem sehr guten Fernsehfilm: Die drei übrigen
erwachsenen Schauspieler (Ulrike Grote, Udo Wachtveitl, Rüdiger Klink) sind
hervorragend; Petra Schmidt-Schaller ist herausragend. Die quälende
Zerrissenheit ihrer Unterschicht-Mutti, die ihren Dennis lieb hat, die
seiner Zukunft nicht im Wege stehen will, die aber auch ihr eigenes Leben
noch vor sich haben will, die über sich hinauswächst, muss jedem nicht
völlig abgestumpften Zuschauer bis ins Mark gehen.
Verantwortung und Lebenshunger, diese Pole lotet Schmidt-Schaller so durch
und durch emphatisch, glaubwürdig, wahrhaftig aus, dass es eine Straftat,
ein echtes Unterlassungsdelikt, wäre, sie dafür nicht mit sämtlichen
Filmpreisen auszuzeichnen, die das Land zu vergeben hat. Kein Witz!
Und der stellenweise sehr witzige Film ist keine Komödie. Der
Mittelschicht-Vater ist von Beruf Anwalt und macht Ernst: "Ich will nicht,
dass unser Sohn fettgefüttert wird! Den ganzen Tag vor der Glotze hängt!"
Er will beide Jungs haben, bei sich in seiner wohlsituierten, heilen Welt.
Auf seine Weise ist er genau so skrupulös und egozentrisch wie die
Hartz-IV-Mutti, wie alle vier falschen, echten Elternteile.
Wie aber soll diesem Dilemma nur beizukommen sein? Das ist die spannende -
und von "Tatort"-Regisseur Thomas Freundner spannend inszenierte - Frage
dieses Films.
"Das geteilte Glück", ARD, Mi. 2.2., 20.15 Uhr.
2 Feb 2011
## AUTOREN
Jens Müller
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