| # taz.de -- Serbiens Opposition will Neuwahlen: Protest der Unzufriedenen | |
| > Zehntausende gehen in Belgrad gegen Arbeitslosigkeit und Armut auf die | |
| > Straße. Notfalls soll das Parlament belagert werden. Doch die EU ist | |
| > nicht länger der Bösewicht. | |
| Bild: Serbische Oppositionelle am Samstag auf der Demonstration in Belgrad. | |
| BELGRAD taz | Es war seltsam still in Belgrad, als am Samstagmorgen | |
| Zehntausende zum serbischen Parlament ins Zentrum der Stadt zogen. Keine | |
| Trillerpfeifen, keine Protestlieder, keine Buhrufe; schweigsame, finster | |
| blickende Menschen mit billigen Winterjacken und Schuhen. Sie folgten dem | |
| Aufruf der oppositionellen Serbischen Fortschrittspartei (SNS), an einem | |
| Protest der Unzufriedenen für Neuwahlen und gegen die "volksentfremdete" | |
| Regierung teilzunehmen. Laut Polizei nahmen 55.000 Personen teil, der | |
| Organisator sprach von 85.000. Es war die größte politische Kundgebung seit | |
| der politischen Wende vor einem Jahrzehnt. | |
| Vor dem Parlament wurde es lebendiger, als der Vizepräsident der SNS, | |
| Aleksandar Vucic, zum Mikrofon griff: "Jede Stunde ist Serbien um weitere | |
| 750 Euro verschuldet, jede Stunde werden 44 Menschen gefeuert", brüllte er. | |
| Die Zuhörer applaudierten, schrien, dass es genug sei, und schwangen | |
| Transparente mit Parolen wie "Wir Hungrigen haben eure Demokratie satt" | |
| oder "Ihr Parasiten, seid ihr endlich gesättigt?" | |
| Richtig Schwung kam auf, als SNS-Chef Tomislav Nikolic das Wort ergriff. Er | |
| trat wie ein Volkstribun auf, die Stimme der Armen, Verzweifelten, | |
| Perspektivlosen, und agitierte gegen die Regierung, in der "Yuppies in | |
| 1.000-Euro-Anzügen" säßen, die "blind für die Leiden des Volkes" seien. | |
| "Wir werden gemeinsam Neuwahlen erkämpfen", sagt Nikolic. | |
| Der Regierung gibt er eine Frist von zwei Monaten. Danach, kündigt er an, | |
| werde er sich vor das Parlament setzen, seine Anhänger auffordern, sich ihm | |
| anzuschließen, und dort auszuharren, bis diese "korrumpierte, kriminelle" | |
| Regierung Neuwahlen ausschreibt. | |
| Im Vorjahr hatte die SNS bereits über eine Million Unterschriften für | |
| Neuwahlen gesammelt. Nikolic warnte die Regierung davor, die serbische | |
| Telekom zu verkaufen, "nur um die leere Staatskasse zu füllen und sich so | |
| an der Macht zu halten". Er warnte aber auch die interessetierten Käufer, | |
| darunter auch die österreichische Telekom, sich gut zu merken, dass die SNS | |
| dagegen sei. | |
| Auf der Bühne wechselten sich Vertreter mehrerer kleiner Parteien ab, ein | |
| bunter ideologischer Mischmasch von links bis rechts, der an die vereinigte | |
| serbische Opposition vor einem Jahrzehnt erinnerte, die das Regime von | |
| Slobodan Milosevic durch Massendemonstrationen zum Sturz gebracht hat. | |
| Während der Kundgebung wurden der Kosovo, das Serbentum oder der "nationale | |
| Stolz" mit keinem Wort erwähnt. Dagegen wurde die EU als ein Partner | |
| Serbiens bezeichnet. Nikolic versucht seit längerer Zeit, sich als ein dem | |
| Westen freundlich gesinnter Politiker zu präsentieren. Auch die Ikonografie | |
| der SNS hat sich geändert: keine Fotos von General Ratko Mladic oder von | |
| Radovan Karadcic, dafür aber englische Parolen wie "Wake up" oder "Game | |
| over, Tadic", an die Adresse des Präsidenten gerichtet. | |
| Der Schönheitsfehler: Die SNS ist eine Abspaltung der Serbischen Radikalen | |
| Partei (SRS), die für Kriegshetzerei in den 1990er Jahren berüchtigt war. | |
| Nikolic war bis vor einem Jahr Stellvertreter von SRS-Chef Vojislav Seselj, | |
| der wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor dem UN-Tribunal in Den Haag | |
| steht. | |
| 6 Feb 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Andrej Ivanji | |
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