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# taz.de -- Aktionskünstler Daniel Plettenberg: "Tunte sein ist ein schönes W…
> Vor zehn Jahren gründete er ein Institut für Marktforschung. Mehr als
> doppelt so lange steht Daniel Plettenberg als Didine van de
> Platenvlotbrug in Hamburg auf der Bühne.
Bild: Was der einen ihre Stöckel, sind dem anderen seine Turnschuhe: Daniel Pl…
taz: Herr Plettenberg, seit zwei Jahrzehnten treten Sie als Didine van de
Platenvlotbrug auf und wurden jetzt im Hamburger St. Pauli Museum verewigt.
Trotzdem ist es nicht einfach, sich über Sie zu informieren.
Daniel Plettenberg: Ist das so?
Irgendwie ist nie klar, was stimmt und frei erfunden ist.
Das ist auch das Konzept von mir und meiner Bühnenpartnerin Blessless
Mahoney. Wir nehmen 90 Prozent Wahrheit und zehn Prozent Nonsens und
mischen das so durcheinander, dass die Leute am Ende denken: Was erzählen
die für einen Quatsch! Uns geht es darum, die Wahrnehmung zu verschieben
und den Leuten zeigen, dass die Welt nicht immer so ist, wie sie glauben.
Jetzt würde ich aber gern etwas Wahrhaftiges über Ihre Welt erfahren.
Also gut, ich kam 1989 aus dem kleinen südhessischen Städtchen Darmstadt
nach Hamburg, hatte hier mein Coming-out und 14 Tage später mein
Tunten-Coming-out, obwohl ich diese feminierten Männer früher immer
fürchterlich fand.
Wieso fürchterlich?
Ich gehöre zu den Menschen, die schwul geboren wurden. Ich wusste es von
der ersten Sekunde, in der man sexuell denkt. Bei vielen heißt es dann ja,
sie haben früher mit Puppen gespielt …
Und Muttis Kleider angezogen.
Genau, aber das war nie meins. Ich habe zwar mit den Mädchen gespielt, weil
die netter waren. Es gab im Zeugnis der dritten Klasse eine Rüge meiner
Lehrerin: Daniel kann sich nicht in die Spiele der Jungs einfügen oder so
etwas. Aber ich wollte keine Frau sein, das fand ich als Idee nicht
spannend.
Irgendwann offenbar doch, denn Sie stehen ja nun als Tunte auf der Bühne.
Was ist geschehen?
Die Idee, dass Tunte sein doch spannend sein kann, war tatsächlich eine
intellektuelle Entscheidung. Sagt Ihnen der Tuntenstreit was?
Schwule Männer gingen 1973 in Berlin in Frauenkleidern auf die Straße und
lösten damit eine Strategiedebatte innerhalb der Szene aus.
Genau. Die Schwulenszene war noch sehr dominiert von den Politschwestern,
die im sozialistischen Bund deutscher Arbeiter organisiert waren. Dort
hinein wurde das Konzept "Tunte" geboren, als die Jungs mit den
Frauenkleidern ganz bewusst Männlichkeitssysteme in Frage stellen wollten.
In dieser Tradition war Didine für mich eine bewusste politische
Entscheidung, um zu schauen: Was passiert mit mir? Heute ist Tunte sein
eines der schönsten Werkzeuge, die ich in meinem Leben habe.
Didine ist ein Werkzeug?
Schon, denn das System Tunte ist ja eine ganz wundervolle Projektionsfläche
für Wünsche, Hoffnungen, Träume. Das ist nicht nur "Ich ziehe mir einen
komischen Hut an", sondern durch Make-up und Fummel kannst du andere
Persönlichkeitsrealitäten wahrmachen. Daraus habe ich für meinen
bürgerlichen Beruf viel gelernt.
Sie haben seit 2001 ein Markt- und Trendforschungsinstitut. Wie genau hilft
Ihnen da die Tunte?
Das Wissen darum, dass man einfach alles machen kann. Ich gehöre zu den
Menschen, die man allgemein "ungelernte Arbeiterin" nennt. Ich habe im
Kräutergarten der Uni Hamburg alles Mögliche mal anstudiert und dann
gemerkt, das ist nicht meins, und alles abgebrochen. Aber das war wie ein
Stachel in meinem Fleisch und ich wollte mir und der Welt beweisen, dass
ich auch ohne abgeschlossene Ausbildung Vorträge halten kann. Und ich kenne
wenig Privatdozenten, die seit 17 Jahren ununterbrochen Vorträge an der Uni
halten.
Von Didine haben Sie also gelernt, dass nichts unmöglich ist?
Dass man groß denken darf. Ich weiß noch, als ich meine Firma gegründet
habe, machten sich auch viele Freunde mit ähnlichen Konzepten selbständig
und bei denen war die Frage, wo kriegt man denn bloß hier in Hamburg Kunden
her? Ich habe mich gefragt, was interessiert mich Hamburg? Ich habe mein
Geld zusammengekratzt und bin nach New York und London geflogen und habe
dort die Agenturen abgeklappert. Mit Erfolg.
Was sagen denn die Kunden zu Ihrem Zweit-Ich?
90 Prozent unserer Kunden kommen aus den USA und England. Und gerade die
lieben es, wenn sie erfahren, dass ich als Tunte auf der Bühne bin. Die
sagen: Wow, wie kreativ!
Tatsächlich? Die meisten Menschen sind doch eher misstrauisch, wenn jemand
nicht in eine Schublade passt.
Meinen deutschen Kunden würde ich das auch nicht gleich auf die Nase
binden. Ich würde auch nicht in einer Kleinstadt gefummelt zu meinem
Auftritt laufen.
"Gefummelt" - ein schönes Wort.
Ja, so heißt das. Offiziell! Sich fummeln, sich gefummelt haben.
Soso. Seit wann genau gibt es Didine van de Platenvlotbrug eigentlich?
Ich stand 1989 das erste Mal irgendwo in der besetzten Hafenstraße auf der
Bühne und diese Person ist dann ganz schnell entstanden, vielleicht 14 Tage
nach meinem ersten Auftritt.
Und wo kam sie her?
Sagen wir so, eine Persönlichkeit ist nicht so feststehend. Zuerst entsteht
ein Name, dann versucht man die Hülle irgendwie zu füllen. Damals war
Didine irgendwie Moderatorin.
Heute ist sie Pröpstin der Elsa-Sophia-von-Kamphoevener-Fernuniversität.
Ach, wenn sie eine Kunstperformance macht, macht sie eine Kunstperformance,
wenn sie eine Lesung hält, hält sie eine Lesung. Didine muss nichts mehr
spielen. Sie ist, was sie macht.
Sind Daniel und Didine zwei unterschiedliche Personen?
Es ist fast schon Magie, was passiert, wenn man in den Fummel steigt und
den Prozess des Schminkens durchgeht. Man plant einen ganzen Tag für die
Transformation, die eigentlich gar nicht so lange dauert. In 20 Minuten ist
das Make-up drauf.
Das ist schnell.
Gott sei Dank geht das mittlerweile so schnell. Aber die Transformation hat
für mich ganz viel mit den Stöckeln zu tun. Die Leute sagen, ich bin mit
den Stöckeln auch anders, ich halte mich anders und ich spreche anders.
Wie viele Paar Schuhe haben Sie?
Als Mann oder als Frau?
Sowohl als auch.
Als Daniel habe ich so 50 Paar, ich habe einen Turnschuhfimmel. Als Didine
habe ich sechs oder sieben Stöckel.
50 Turnschuhe? Wechseln Sie jeden Tag die Schuhe?
Aber natürlich! Sie nicht?
Natürlich nicht! Ich wechsle nur die Socken.
Hat Ihre Mutter Ihnen nicht beigebracht, dass man jeden Tag ein anderes
Paar Schuhe tragen muss?
Warum hätte sie das sollen?
Weil die Füße kaputtgehen, wenn man nicht jeden Tag andere Schuhe trägt.
Sie sagten vorhin, dass Sie sich Ende der 80er Jahre geoutet haben. Eine
einfache Zeit dafür?
Dramatisch war für mich, dass Schwulsein überhaupt nicht stattfand. Man
kann das überhaupt nicht mit heute vergleichen, wo jeder zweite
Spielshow-Kandidat schwul ist: Schwul war damals der ganz merkwürdige
Nachbar zwei Straßen weiter, vor dem man sich in Acht zu nehmen hatte. Und
dann gab es noch eine ganz windige Kneipe knapp neben dem Bahnhof. Das
waren schwule Rollenbilder. Als kleine Jungschwuppe musste man sich ganz
viel romantisieren.
Schwierig, wenn einem vorgelebt wird, Schwule seien die Halbseidenen von
nebenan.
Als ich so 13, 14 Jahre alt war, eröffneten die ersten Öko-Cafés. Auch in
Darmstadt machte eins auf und dort gab es eine schwule Zeitschrift: Rosa
Flieder. Ich muss einen hochroten Kopf bekommen haben und habe die dann
halb unterm Tisch gelesen, damit es ja keiner sieht. Ich war so voller
Dankbarkeit, dass Schwule ganz normale nette Menschen sind.
Nie eine Frau im Bett gehabt?
Ich habe im Teenageralter drei Frauenbeziehungen gehabt, die ich alle sehr
schätze. Man kann im Nachhinein natürlich sagen, dass ich für meine Eltern
möglichst angepasst sein wollte. Aber ich wusste immer: Ich habe dieses
Schatzkästchen in mir und es kommt der Tag, an dem ich es öffnen kann. Und
dann ist die Welt zehnmal so schön.
Und ist sie zehnmal so schön?
Es ist vieles anders, als man es sich vorher denkt. Das Schatzkästchen war
letztlich, in Hamburg endlich offen schwul leben zu können. Das war
großartig.
6 Feb 2011
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
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