Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Kommunismus: Fragen muss erlaubt sein
> Den Begriff Kommunismus will sich Gesine Lötzsch (Die Linke) nicht
> wegnehmen lassen. Man müsse aber auch an die Verbrechen der Geschichte
> denken, die darunter verübt wurden.
Bild: Was hätten Marx und Engels zu Lötzsch und Co. gesagt?
Als ich den Artikel von Robert Misik las, stellte ich mir vor, dass er in
einem netten Wiener Kaffeehaus saß und seinen Kommentar "Verlorenes
Paradies" über die Kommunismus-Debatte in Deutschland schrieb (taz vom 29.
1. 2011). Er kam zu dem Schluss: "Von ein paar Wortmeldungen abgesehen, gab
es eher keine Erregung, sondern Belustigung."
Griechen, Franzosen, Engländer, Schweizer und Italiener fragten mich
dagegen überrascht und irritiert, was da in Deutschland los wäre und warum
die Auseinandersetzung so heftig geführt werde? Der CSU-Vorsitzende
forderte wegen des K-Wortes eine flächendeckende Überwachung meiner Partei
durch den Geheimdienst, und sein Generalsekretär wollte sogar ein
Parteiverbotsverfahren einleiten. Nur Belustigung?
Wer weiß, dass kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik die
KPD verboten und Kommunisten, die schon unter Hitler im Gefängnis gesessen
hatten, wieder eingesperrt wurden, der sollte solche Äußerung nicht als
Belustigung abtun. In diesem Sinne ist die Debatte gar nicht komisch, ganz
abgesehen von den zahlreichen Hassmails, die ich erhalten habe. Da war er
wieder, der totgeglaubte kalte Krieg.
Aber es gab auch viele positive Reaktionen. Junge Menschen, die den
Antikommunismus der 1950er und 1960er Jahre nicht am eigenen Leib erleben
mussten, empfanden es als gespenstisch, wie eine Diskussion hysterisch
ausgetreten werden sollte. Es muss doch nach der schwersten Finanzkrise des
Kapitalismus erlaubt sein zu fragen, ob das System überlebensfähig ist und
ob es vernünftige Alternativen zum Kapitalismus gibt. Ich bin auf dem
Höhepunkt der Finanzkrise 2008 davon ausgegangen, dass nach der Krise
nichts so bleiben kann, wie es war.
Zwei Jahre danach erlebe ich jedoch, dass alles so bleibt wie vorher. Es
stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung nichts ändern will oder
nichts ändern kann? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie will und kann es
nicht. Der Markt hat die Politik an die Wand gedrückt. Die Regierung glaubt
systemrelevante Marktteilnehmer auf Dauer alimentieren zu müssen, ohne
Bedingungen stellen zu können. Das ist armselig. Doch was würde eine linke
Regierung anders machen? Kann sie solche Krisen verhindern oder gehören sie
zum System? Wenn sie integraler Bestandteil des Kapitalismus sind, dann ist
es vernünftig, über Alternativen nachzudenken.
Ich bin demokratische Sozialistin und beschäftige mich natürlich mit vielen
verschiedenen politischen Ansätzen. In unserer Partei gibt es keinen
Gesinnungs-TÜV, aber den Konsens, dass wir mit friedlichen und
demokratischen Mitteln diese Gesellschaft grundlegend ändern wollen.
Damit ist jede Rückkehr zu einem autoritären stalinistischen System für
immer ausgeschlossen. Wenn wir die Vision von einer gerechten Gesellschaft
nur als schönen Traum deuten und nicht konsequent verfolgen, dann wird
unsere Gesellschaft zwangsläufig ungerechter. Die Linke ist die einzige
Partei, die viele Menschen in ihrer Hoffnung bestärkt, dass der
Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sein kann. Ohne diese Hoffnung
würden sie wohl jede Verschlechterung ihrer Lebenssituation als
alternativlos hinnehmen.
Radikale Realpolitik
Robert Misik geht auf das Argument ein, dass die Reformer die Radikalen als
Korrektiv brauchten, diese aber nur hohle Phrasen zu bieten hätten. Ich
halte die Aufteilung in Reformer und Radikale für sehr problematisch. Mein
Ansatz ist es, diesen Gegensatz aufzuheben. Wir wollen, wie ich geschrieben
habe, radikale Realpolitik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung
machen.
Der demokratische Sozialismus, den wir wollen, ist nicht arbeitsteilig
zwischen Reformern und Radikalen, sondern nur durch radikale Realpolitiker
erreichbar. Konkret heißt das für uns heute, dass wir die Eigentumsfrage
stellen. Diese Frage ist radikal. Sie ist die Gretchenfrage. Für die
Reformer ist ihre Beantwortung die Voraussetzung für eine wirkliche
Verbesserung der Lebensverhältnisse.
Die Mehrheit der Menschen wurde in den vergangenen Jahren ihres
öffentlichen Eigentums beraubt: Krankenhäuser, Wohnungen, Energieversorger.
Wir wollen das öffentliche Eigentum zurück. Diese Forderung ist deshalb so
aktuell und real, weil viele Menschen gerade in der Finanzkrise erlebten,
dass der Markt bei der Absicherung wichtiger Lebensbereiche versagt hat.
Die Rückgewinnung des öffentlichen Eigentums ist deshalb eine aktuelle
radikale Forderung, die von meiner Partei ausdrücklich unterstützt wird.
In unserem Programmentwurf bekommt der Begriff demokratischer Sozialismus
Konturen. Insbesondere in der Verbindung mit der Eigentumsfrage wird er
ganz konkret in der Alltagspolitik anwendbar und bleibt damit nicht nur
Vision. Kein linker Reformer kommt mehr um die Eigentumsfrage herum. Ohne
öffentliches Eigentum werden auch die kleinsten Reformen nicht umzusetzen
sein. Alle Hoffnungen, die Menschen mit uns verbinden, blieben folgenlos.
Keule Antikommunismus
Robert Misik meinte zum Schluss seines Kommentars, dass man das Wort
Kommunismus in der Asservatenkammer ablegen sollte. Selbst wenn wir seinem
Rat folgen würden, unsere politischen Gegner werden das nicht tun. Von CSU
und CDU wird die Keule des Antikommunismus geschwungen. Obwohl unsere
Partei in zwei Bundesländern in der Regierung ist und in NRW eine Regierung
aus SPD und Grünen ermöglicht hat, wird immer noch behauptet, dass eine
Regierungsbeteiligung der Partei Die Linke zum Untergang des Abendlandes
führen würde.
Die Konservativen wollen sich die Definitionshoheit über den Begriff
Kommunismus sichern. Und wir sollen das einfach hinnehmen? Nein, wir müssen
uns mit dem Kommunismus und dem, was in seinem Namen an entsetzlichem
Unrecht begangen wurde, auseinandersetzen. Wir müssen aber auch sagen, dass
die Idee des Kommunismus nichts, aber auch gar nichts, mit dem zu tun hat,
was Stalin, Mao oder Pol Pot darunter verstanden haben.
8 Feb 2011
## AUTOREN
Gesine Lötzsch
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.