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# taz.de -- Russlanddeutsche in der NPD: Neonazis mit Migrationshintergrund
> Bei der rechtsextremen Partei marschieren auch Spätaussiedler aus
> Russland mit. Die NPD will sie sich als neue Wählergruppe erschließen -
> sehr zum Ärger mancher Kameraden.
Bild: Jetzt mit russlanddeutscher Begleitung - NPD-Spitzen beim Marsch der Rech…
Es ist der wichtigste Termin im Kalender von Neonazis aus ganz Europa: An
diesem Sonntag marschieren sie zum 66. Jahrestag des Bombenangriffs der
Alliierten auf Dresden durch die sächsische Landeshauptstadt. Für den
Samstag kommender Woche haben sie noch eine zweite Demonstration
angemeldet. Die vielen kleinen Verbände und Splittergruppen, die sonst so
zerstritten sind, wollen an beiden Terminen Einigkeit demonstrieren. Unter
ihnen wird wohl auch wieder eine neue Gruppe von alten Herren sein, von
denen einige sicher mit starkem russischen Akzent sprechen: Es ist der
Arbeitskreis der Russlanddeutschen in der NPD, der erstmals 2009 beim
"Trauermarsch" in Dresden auf sich aufmerksam machte und vor knapp drei
Jahren von dem Russlanddeutschen Andrej Triller gegründet wurde.
Die NPD will sich mit den Russlanddeutschen eine neue Wählergruppe
erschließen. Denn viele von ihnen sind ausgesprochen konservativ und haben
einen starken Bezug zum Deutschtum - schließlich haben sich ihre Vorfahren
über Jahrhunderte in Russland nicht integriert, sondern an den deutschen
Wurzeln festgehalten. Nun sind sie eine attraktive Zielgruppe: Ungefähr 2,6
Millionen sind wahlberechtigt. Lange machten sie ihr Kreuz bei der CDU.
Doch während zur Jahrtausendwende noch rund 60 Prozent CDU wählten, sind es
mittlerweile nur noch 40.
Victor Meier hat jahrelang als Sozialarbeiter in Marzahn vor allem mit
Aussiedlern gearbeitet. Er ist selbst Russlanddeutscher und will seinen
richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Meier kennt Russlanddeutsche,
die für die NPD aktiv sind. "Ganz anständige und grundsolide Bürger sind
das", sagt er mit rollendem "r". Das seien aber vor allem die Alten. Viele
hätten es als "Verrat an der Bewegung" angesehen, als die CDU für den
Sprachtest für Spätaussiedler plädierte. Er schätzt die Russlanddeutschen
als sehr konservativ ein. "Sie schimpfen oft über die westliche
Zivilisation und über die 68er-Bewegung, die die alte Familie kaputt
gemacht habe."
Die Soziologin Tatiana Golova von der Universität Magdeburg hat erforscht,
wie die rechte Szene um Russlanddeutsche wirbt. "Es ist schwierig, profunde
Aussagen über die Aussiedler zu treffen, weil sie ja nicht als Einwanderer
gelten, sondern als Deutsche. Man kann nur jene problemlos erfassen, die
nach außen deutlich als Aussiedler erkennbar sind." So werde gar nicht
wahrgenommen, wenn sie bestens integriert leben.
Politischer Vertreter gesucht
Auch Golova hält die Russlanddeutschen für eher konservativ. Dabei spiele
auch das russische Fernsehen eine Rolle. "Dort wird immer der Verfall der
kulturellen Werte in der westlichen Gesellschaft propagiert."
Tatiana Golova hat beobachtet, dass Russlanddeutsche im öffentlichen
Diskurs in Deutschland kaum eine Rolle spielen. Wenn über sie in den Medien
berichtet werde, dann gehe es oft um Sprachprobleme, Integrationsbarrieren
und Gewalt. "Für die Russlanddeutschen gibt es heute keine echte politische
Vertretung", sagt Golova.
Ziel der NPD ist es, diese Rolle einzunehmen. Doch dass die Partei dabei
erfolgreich ist, hält Golova für sehr unwahrscheinlich. Denn die NPD steckt
beim Umgang mit den Aussiedlern in einem Dilemma. Offenbar befürchtet die
Partei, dass sie ihre alten Wähler verprellt, wenn sie offensiv um die
neuen wirbt. Und so ist bisher wenig geschehen, um Russlanddeutsche in die
Partei zu integrieren. "Die Parteiführung möchte sich wegen der
Außenwirkung nicht öffentlich mit den Russlanddeutschen befassen", erklärt
die Soziologin. "Um die Wähler nicht zu verschrecken, ist es für die NPD
das Einfachste, gar nichts zu sagen und einen gesonderten Arbeitskreis zu
bilden."
Die Bereitschaft, Aussiedler als "Volksgenossen" anzuerkennen, ist in
Teilen der Partei gering. Bereits 2003 warb die NPD zum ersten Mal in einem
Flugblatt um die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Verärgert über
"die Possenspiele der Parteiführung" trat der Vorstand der Jungen
Nationaldemokraten (JN) von Hessen zurück und erklärte den Parteiaustritt
unter anderem damit, dass die NPD in dem Flugblatt einen Sprachtest für die
"deutschen Brüder und Schwestern" ablehne.
In einschlägigen Foren kann man heute noch ähnliche Diskussionen
beobachten. Im Oktober 2010 beschwerten sich die Veranstalter einer
JN-Demonstration in Halberstadt in einem Internetforum über die mangelnde
Disziplin und das Erscheinungsbild ihrer Demonstrationsteilnehmer. Schon
mittags sei der Kräuterlikör reihum gegangen. Für einen der Kommentatoren
ist klar, dass es sich dabei nur um Russlanddeutsche handeln kann. Die NPD
sei selbst schuld, wenn sie bei ihnen werbe. "Dies ist übrigens der
Hauptgrund für mich, die NPD nicht mehr zu wählen, da ich mich in
Deutschland unter Deutschen wissen will und nicht unter besoffenen Russen
oder Polacken."
Aussiedler wurden zudem in der Vergangenheit immer wieder Opfer
rechtsextremer Gewalt. So ereigneten sich in 90er Jahren mehrere
Brandanschlägen auf Aussiedlerheime. 2002 fand die Gewalt ihren Höhepunkt:
Ein Aussiedler kommt in Wittstock nach einem Angriff von vier Neonazis ums
Leben.
Deutsche töten einen Deutschen, aus fremdenfeindlichen Gründen. Kennen die
Neonazis denn etwa die Geschichte der Aussiedler nicht? Golova: "Nach dem
Blutsprinzip, an das die Neonazis glauben, müssten Aussiedler eigentlich
zur Volksgemeinschaft gehören." Doch in rechtextremen Kreisen zähle nicht
nur allein die völkische Abstammung, sondern auch die gelebte Kultur.
"Viele Neonazis halten diese bei den Aussiedlern für befremdlich. Sie
nehmen sie als Ausländer wahr."
Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei den Kundgebungen in Dresden Neonazis
mitlaufen werden, die sich schon einmal mit Aussiedlern geprügelt haben.
Der russlanddeutsche Arbeitskreis wird in Dresden wohl trotzdem wieder mit
einer kleinen Gruppe mitmarschieren. Doch davon werden die meisten nichts
mitbekommen. Es soll ja niemand verprellt werden.
11 Feb 2011
## AUTOREN
Martin Rank
## TAGS
Integration
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