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# taz.de -- Stéphane Hessel über sein neues Buch: "Am Ende ist die Hoffnung s…
> Empört Euch! Die Schrift des Stéphane Hessel hat Frankreich bewegt, nun
> erscheint sie auf Deutsch. Ein Gespräch über Protestkultur, Lösungen und
> Leidenschaft.
Bild: Der Kopf der Resistance - Charles De Gaulle.
taz: Ihr kleines Buch "Empört euch!" wurde in Frankreich seit Herbst über
eine Million Mal verkauft. Wie erklären Sie sich diesen unglaublichen
Erfolg?
Stéphane Hessel: Als dieses Büchlein letzten Herbst entstand, begann man in
Frankreich gerade über die Präsidentenwahlen 2012 zu diskutieren. Ich
wollte in diesem Zusammenhang sagen, dass es Grundwerte gibt, auf die man
bestehen muss. Das wurde dann wie ein Appell aufgenommen.
Sie haben damit offene Türen eingerannt, in einem Land, in dem traditionell
eine große politische Protestkultur existiert.
Es scheint so. Es gibt viele Demonstrationen wie die gegen die Rentenreform
vom letzten Herbst. Doch die Fragen der Wirtschaftsordnung oder der
Ökologie als Gesamtes werden dabei kaum in Betracht gezogen. Auch in
Frankreich wird die Regierung einseitig von Wirtschafts- und Finanzmächten
geleitet, und es vergrößert sich die Kluft zwischen Arm und Reich.
Ihr Buch ist bereits in achtzehn Ländern erschienen.
Sogar in Japan! Das heißt, auch in Japan fragen sich die Leute, wie wir
regiert werden, wie sich die Welt organisiert, und ob wir genug zum
Erhaltung unseres Planeten tun.
Nun wirft man Ihnen vor, dass Sie zwar Probleme aufzeigen, aber keine
Lösungen haben?
Mein Aufruf will ja nur ein Anstoß sein, keine Gebrauchsanweisung.
Natürlich soll man nicht in der Empörung verharren, sondern weitergehen,
damit etwas Positives herausschaut. Ich erwähne deswegen gern Edgar Morins
"Der Weg" und Susan Georges "Eure Krise, unsere Antworten". Aber auch
Stiglitz, von Weizsäcker, Habermas oder Amartya Sen. Ich benenne Probleme
der Menschheit, ohne zu sagen, wie sie gelöst werden. Aber ich sage auch,
dass wir direkt auf die Mauer zugehen, wenn diese jetzt von den Regierungen
und internationalen Organisationen nicht angepackt werden. Wir können nicht
einfach so wie die letzten zwei Jahrhunderte weitermachen nach der Devise
"Immer mehr und mehr", sonst ist es vielleicht aus für uns in fünfzig
Jahren. Wer dies erkennt, muss sich als Weltbürger empören. Das ist die
einzige Botschaft dieses Büchleins.
Das klingt etwas apokalyptisch.
Die letzten zehn Jahre des 20. Jahrhunderts schufen nach dem Mauerfall mit
den großen UNO-Gipfelkonferenzen von Rio, Kopenhagen oder Peking und dann
mit der Definition der Millenniumsziele eine immense Erwartung. Die zehn
ersten Jahre des 21. Jahrhunderts aber brachten nach der Attacke auf die
Twin Towers Rückschritte mit Kriegen wie im Irak und in Afghanistan und
sehr wenige Fortschritte. Das waren zehn verlorene Jahre. Jetzt muss man
auf die Millenniumsziele erneut zurückkommen, ebenso wie auf die Grundwerte
der Menschenrechtserklärung und in Frankreich auf das Programm des
Nationalen Widerstandrats von 1945.
Woher nehmen Sie hier Ihre Leidenschaft, Ihre Zuversicht?
Es gibt in der Geschichte immer wieder Rückschläge. Doch meiner Überzeugung
nach ist die Hoffnung am Ende stärker als die Schwierigkeit. Ein langes
Leben genügt, um zu erfahren, dass das Schlimme überwunden werden kann.
Sie beziehen sich da auf Ihre persönliche Erfahrung?
Ja. Ich war als französischer Soldat zuerst Kriegsgefangener und konnte
fliehen, ich ging dann zu de Gaulle nach London und kam 1944 als
Verbindungsmann zur Résistance nach Frankreich. Ich wurde von der Gestapo
verhaftet und sollte eigentlich gehängt werden. Ich verdanke mein Überleben
dem Deutschen Eugen Kogon und einem SS-Arzt, die mir und zwei Engländern
die Identität von drei an Typhus gestorben Mitgefangenen verschafften. Als
dann der Befehl kam, uns zu erschießen, hieß es: Der Hessel ist schon tot!
Nachher wurde ich mit meinem falschen Namen ins Lager Dora transportiert
und hatte das Glück, dort im Strafkommando und nicht im Tunnel arbeiten zu
müssen, wo die wenigsten zwei Monate überlebt haben. Schließlich sollte ich
noch nach Bergen-Belsen gebracht werden, aber ich konnte vom Zug abspringen
und landete bei den Amerikanern. Das heißt, lauter glückliche Wendungen,
trotz aller Gefahren. Wenig später wurde ich nach New York zu den Vereinten
Nationen berufen.
Sie sagen vorab den Jungen, sie sollen sich engagieren. Wo aber sind die
großen Utopien, für die sie sich begeistern könnten?
Wir haben im letzten Jahrhundert viele Utopien erlebt, die schlimm
ausgegangen sind, insbesondere die kommunistische Utopie. Die Begeisterung
für die Oktoberrevolution war in Europa enorm. Man hat so viel erwartet,
und dann kam es so anders. Und auf der anderen Seite der Faschismus. Die
Begeisterung birgt Gefahren. Ich rufe nicht zur Revolte, sondern zu einem
Aufstand der Friedfertigkeit. Nicht Gewalt ist die Lösung, sondern
Gewaltlosigkeit. Das ist die Lektion der großen Revolutionen.
Ihr Vater ist jüdischer Herkunft. Sie selbst empören sich über Israels
Politik gegenüber den Palästinensern. Sie werden dafür auch stark
kritisiert. Was sagen Sie dazu?
Die israelische Regierung und Kriegsführung kritiklos zu unterstützen, ist
für die Juden selbst gefährlich. Die Regierung von Netanjahu und Liebermann
zu unterstützen, leistet eher einem neuen Antisemitismus Vorschub, den ich
als sehr schmerzlich empfinde.
Tragen Sie durch die Unterstützung von Boykottaufrufen nicht selbst zu
antiisraelischen Ressentiments bei?
Ich habe einen Boykott gegen die Illegalität befürwortet, gegen die
Kolonien, nicht aber gegen Israel als solches, und schon gar nicht gegen
Künstler und Forscher. Ich glaube, man muss Israel dort unterstützen, wo
die hohe Kunst des Regierens in die gute Richtung geht, und nicht wenn sie
falsch ist. Ich habe auch klar gesagt, dass es der Hamas nichts nützt,
Raketen auf Sderot oder andere israelische Städte zu feuern. Das ist der
Sache der Palästinensern abträglich. Terrorismus ist ein Ausdruck der
Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit, aus der nichts Positives sprießen
kann.
Sie richten sich speziell an die Jugend, waren Sie als Jugendlicher selbst
sehr engagiert?
Ich bin 1917 geboren. Und meinte zum Beispiel zur Zeit der
Volksfrontregierung (1936) hätte man den spanischen Republikanern mehr
Hilfe leisten müssen. Aber Kommunist bin ich nie geworden. Die
stalinistischen Verbrechen mit den Moskauer Prozessen von 1935 haben mich
abgeschreckt.
Und de Gaulle?
Als ich nach London kam, hat er mich zum Frühstück eingeladen. Er war eine
beeindruckende Persönlichkeit. Er war während des Kriegs unersetzbar und
hat Frankreichs Ehre gerettet. Ich wurde deswegen nicht Gaullist, fand aber
die Art und Weise seines Abgangs 1969 als das Verhalten eines wahren
Demokraten: Da er vom Volk nicht mehr unterstützt wurde, trat er zurück.
Herr Hessel, Sie sind jetzt 93 Jahre alt und scheinen in bester Verfassung.
Was ist Ihr Geheimrezept?
Ich verdanke dies wohl meiner Mutter. Sie hat mir geraten, nicht zu
rauchen, aber auch keinen Sport zu treiben. Vor allem aber hat sie mir
beigebracht, dass man selbst glücklich sein muss, um andere glücklich
machen zu können.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein. Ich bin Atheist, aber aufgrund meiner Beziehung zur Dichtung sehe ich
den Tod nicht nur als Ende des Lebens, sondern als Übergang zu etwas
anderem, von dem man nichts weiß, vielleicht eine Art Schlaf.
11 Feb 2011
## AUTOREN
Rudolf Balmer
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