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# taz.de -- Porträt-Ausstellung: Strich im Gesicht
> In Hamburg nimmt sich eine Ausstellung der Frage an, was aus dem Portrait
> in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden ist - und erzählt
> dabei eine spannende Entfesselungsgeschichte.
Bild: Ausschnitt von Francis Bacons, "Study for a Portrait" (1953): Ein Grinsen…
Verlustgeschichten sind nur mäßig lustig. Die ewige Leier, seit der
Moderne: Alles im Schwinden. Gewissheiten, Bindungen, felsenfeste
Identitäten - alles futsch, für immer. Da kann man schon mal zögern, in
eine Ausstellung zu gehen, die mit dem Titel "Übermalt. Verwischt.
Ausgelöscht. Das Porträt im 20. Jahrhundert" beworben wird. Will man sich
das wirklich geben? Man sollte es. Weil die Ausstellung in Hamburgs Galerie
der Gegenwart glücklicherweise in einem komplexen Zusammenhang mit dem der
Kulturkritik steht.
Gewiss, es gibt unter den 21 Künstlern, deren Arbeiten die Kuratorin
Henrike Mund aus den Beständen der Hamburger Kunsthalle und privaten
Leihgaben zusammengetragen hat, Positionen, die sich als Steilvorlage für
Paul Virilios Abgesang auf die Moderne und ihrer "Ästhetik des
Verschwindens" betrachten lassen.
Wolf Vostells Flimmerbild eines Fernsehers mit dem verzerrten Gesicht
Gustav Heinemanns darauf etwa: Schwer, es nicht als Kommentar zu lesen,
dass der Traum des Menschen von der Machbarkeit und Macht, überall und
nirgends zu sein, in der Fratze mündet. Oder böser noch: dass
Individualität, die aus dem Antlitz spricht, nur ein kurzes Flackern ist in
unserem ansonsten gleichgeschalteten medialen Leben.
Ähnlich düster geht es zu in einem Raum mit Bildern des kürzlich
verstorbenen Hamburger Malers Klaus Kröger. Die Farbpalette: reduziert auf
Schwarz, Weiß, Grau, ein wenig Rot. Die Sujets: quer durchgestrichene
Silhouetten von Halbfiguren. Grabsteinästhetik, die noch verstärkt wird
durch groß in die Bilder gepinselte Datumsziffern, mit denen abgeschlossene
Vergangenheit aufgerufen wird: "Es war einmal ..."
Dieses der Ausstellung zugrunde liegende Lamento wird aber seinerseits
übermalt, verwischt, ausgelöscht: Nicht vom Verlust, sondern von der
Entfesselung kündet der Großteil der hier ausgestellten Arbeiten.
Entfesselung durch das Wegfallen der alten Abbildfunktion des Portraits,
die mit der Fotografie obsolet geworden ist. Für die zweite Hälfte des 20.
Jahrhundert, so zeigt die Ausstellung, kann das Portrait dadurch zu einem
Feld vielfacher Fragestellungen und Untersuchungen werden: einerseits über
das Wesen des Menschen, andererseits, reflexiv gewendet, über das Wesen der
Kunst selbst.
Klar, verherrlicht wird der Mensch in keinem der gezeigten Werke. Francis
Bacon etwa malt einen Anzugträger, der auf einem Bett sitzt, den Mund zu
einem Grinsen geformt, das auch ein Schrei sein könnte. Schon das fahle
blaue Licht lässt einen dabei schaudern. Der Österreicher Arnulf Rainer
überzeichnet fotografische Selbstportraits, bis die Gesichter nur noch von
Archaik, Regression und Animalität erzählen.
Nicola Torke setzt die Verletzbarkeit des Meschen mit einer formvollendeten
Beinprothese aus Porzellan ins Bild und Georg Baselitz hat einem Holzklotz
zwei Brüste aufgemalt und mit einer Motorsäge traktiert.
Fast heiter wirkt dagegen schon ein Werk von der Wiener Videokünstlerin
Friederike Petzold: Sie zeigt ihren eigenen, schwarz-weiß bemalten Körper
in Ausschnitten auf übereinander gestapelten Fernsehern. Auf dem einen
Bildschirm sind schwarze Lippen zu sehen, verschwindend in der sie
umgebenden Leere wie eine ostasiatische Tuschezeichnung. Auf dem Bildschirm
darunter sind die übermalten Brüste dann weiter nichts als Geometrie.
Der Körper wird in dieser Perspektive ganz und gar zur reinen Form, mit der
kein Inhalt, keine Bestimmung mehr korrespondiert. Womit der Körper
gleichzeitig auch zum Vorwand wird, zur Bildfläche, auf der sich die Kunst
entfaltet.
In dieselbe Kategorie gehört die großartige Fotoserie "Selbstbemalung II"
von Günter Brus: Der Künstler mit Pinsel in der Hand, und einem dicken,
schwarzen Strich, der senkrecht die Wand zerschneidet, vor der er steht,
und sein geweißtes Gesicht gleich mit. Ebenfalls an der Wand: eine Schere.
Und doch wird hier nicht bemüht um eine Aussage gerungen - etwa: der Mensch
in der Zerreißprobe. Stattdessen bilden Schere, Körper und Strich ganz
einfach eine höchst sinnliche zeichenhafte Komposition, verwandt der
Kalligraphie. Das formale, zeichenhafte Werk schiebt sich bei Brus vor den
Inhalt, oder anders gesagt: Den Inhalt behandelt er als reine Formalie.
Das kehrt dann in einer Arbeitsserie aus dem Jahr 2000 von Gerhard Richter
wieder. Richter hat Fotos seines Sohnes auf dem Wickeltisch genommen und
mit Ölfarbe übermalt. Das Motiv und die knalligen, ineinander laufenden
Farben dieser Bildchen lassen an Geburt, Schmerz und Lebensfreude denken,
an Bla und an Blub.
Aber darum geht es nur am Rande: In ihrer vertikalen Gliederung, hinter der
das Motiv verschwindet, sind diese Bilder streng komponierte Studien über
das Verhältnis von Abstraktem und Konkretem.
Was sich auch für die Röntgenbilder von Jürgen Klauke geltend machen ließe,
obwohl sie Virilios "Ästhetik des Verschwindens" sogar als Titel tragen:
Klauke hatte sich Anfang der 1990er Jahre in einen Kofferscanner gesetzt
und durchleuchten lassen, Stichwort: Biopolitik, das nackte Leben. Nun aber
hängt in der Galerie der Gegenwart ein Tryptichon von sublimer Schönheit
und schwelgerischer Form, das eher entzückt, als bedrückt.
Diese Ausstellung ist keine Thesenausstellung. Sie zeigt hier und da ein
paar Linien auf, die das Feld der Portraits zu gliedern scheinen, sich
zugleich aber auch wieder verschlingen. Das kommt der Kunst, und das kommt
uns zugute.
Übermalt. Verwischt. Ausgelöscht. Das Porträt im 20. Jahrhundert: bis 28.
August, Hamburg, Galerie der Gegenwart
11 Feb 2011
## AUTOREN
Maximilian Probst
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