# taz.de -- Hamburgs Grünen-Spitzenkandidatin Anja Hajduk: Die Realistin | |
> Sie ist kämpferisch, diszipliniert und fleißig: Anja Hajduk, | |
> Spitzenkandidatin der Grün-Alternativen Liste. Leicht hat es die | |
> Ex-Senatorin damit nicht überall. | |
Bild: "Mit Wahlprognosen bin ich vorsichtig": Anja Hajduk. | |
HAMBURG taz | In Wilhelmsburg kocht der Saal. Sie haben sich gut | |
vorbereitet, die Wilhelmsburger Wutbürger, haben Schilder geklebt mit der | |
Aufschrift "Frau Hajduk, Sie haben uns belogen!" Sie trampeln, sie buhen, | |
von überall schrillen Trillerpfeifen. Vorn auf der Bühne, in einem viel zu | |
großen Sessel, sitzt zusammengesackt Anja Hajduk, Spitzenkandidatin der | |
Grün-Alternativen Liste (GAL). Vier andere Parteivertreter sitzen auch dort | |
oben, doch die Wut der Bürger richtet sich allein gegen sie. | |
Als Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt hatte sie die Verlegung der | |
Reichsstraße auf den Weg gebracht. Die Straße, die im Moment noch mitten | |
über die Elbinsel Wilhelmsburg führt und an die Bahntrasse verlegt und | |
verbreitert werden soll. Die Anwohner befürchten noch mehr Verkehr. | |
"Das kann lange dauern in Wilhelmsburg, die haben Kondition", hatte Hajduk | |
auf der Hinfahrt noch geflachst. Jetzt wirkt sie nicht mehr belustigt, vor | |
sich mehr als 350 aufgebrachte Wilhelmsburger, die sie als "machtgeil" und | |
"beliebig" beschimpfen. Nein, das ist nicht der Abend, an dem sie neue | |
GAL-Wähler gewinnen kann. | |
Dabei ist Hajduk eine Kämpferin. Ihr Wahlkampf-Spruch "Mit mir kann Hamburg | |
rechnen" wirkt wie eine Kampfansage, fast wie eine Drohung. Anja Hajduk | |
lacht. Sie hat sich diesen Spruch gar nicht ausgedacht. "Aber klar bin ich | |
kämpferisch, das geht in der Politik gar nicht anders." Politisiert hat sie | |
der Nachrüstungsbeschluss der Nato im Jahr 1979. Da war sie 16 und ist zu | |
den Friedensdemos nach Bonn gefahren, hat sogar ihre ganze Schulklasse | |
überredet mitzukommen. | |
Als sie mit 32 bei den Grünen eintrat, ging alles ganz schnell: Nach zwei | |
Jahren zog sie in die Bürgerschaft ein. "Die grüne Partei ist da sehr | |
offen, wenn neue Leute sich einbringen wollen", sagt sie. Und Anja Hajduk | |
wollte. 2002 saß sie im Bundestag, 2008 wurde sie Umweltsenatorin - und | |
musste das Kohlekraftwerk Moorburg genehmigen. Noch so ein Vorwurf, der ihr | |
immer wieder entgegenschlägt. | |
Doch dann hat die GAL die Koalition mit der CDU platzen lassen - ein | |
Schritt, der der Partei aus ihrer Sicht wieder zu mehr Glaubwürdigkeit | |
verhalf. "Dabei haben wir uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht, auch | |
wenn sie richtig war: Schließlich verliert man Einfluss auf Projekte, die | |
man ins Rollen gebracht hat, Mitarbeiter verlieren ihre Arbeitsplätze." | |
In Umfragen ging es danach steil nach oben, nach einem Zwischenhoch mit | |
über 20 Prozent ist die GAL inzwischen bei 14 Prozent angekommen. "Das wird | |
noch allen unseren Einsatz erfordern, damit wir am Ende wirklich gut | |
abschneiden", meint Hajduk. "Mit Wahlprognosen bin ich vorsichtig." | |
Anja Hajduk gilt als diszipliniert, fleißig und durchsetzungsstark. Sie | |
schlägt sich gut im Wahlkampf, bietet Olaf Scholz die Stirn, statt sich als | |
Koalitionspartnerin anzubiedern. | |
Sie mag es nicht, wenn sich alles um sie dreht, was eine Spitzenkandidatin | |
in befremdliche Situationen bringen kann: Etwas verloren steht sie beim | |
Wahlkampfauftakt der GAL Mitte Januar in der schicken Bar Rossi. Sich | |
selbst inszenieren, das ist nicht ihr Ding. | |
Deshalb geht sie auch nicht mit ihrem Privatleben hausieren: keine | |
Homestorys, keine privaten Bilder. Mit ihrer Lebensgefährtin, der | |
ehemaligen SPD-Schulsenatorin Ute Pape, zeigt sie sich selten in der | |
Öffentlichkeit. Man weiß, dass Hajduk Bergsteigen mag. | |
Sie trinkt gern tschechisches Bier, meistens trägt sie schwarze Hosen und | |
enge T-Shirts mit aufgenähten Strasssteinen. Und dann ist da noch der | |
Gesang. Schon als Kind hat sie im Chor gesungen, später solistisch. "Das | |
war so toll, als kleines Mädchen auf der Opernbühne zu stehen." Sie | |
lächelt. | |
Mit 18 sei ihr Interesse an der Musik etwas abgeflaut. Eine eher unbewusste | |
Entscheidung, die sie zehn Jahre später bereut hat. Und plötzlich öffnet | |
sie sich doch etwas: "Es war zu spät, und ich dachte: Mein Gott, warum bist | |
du das damals nicht professionell angegangen?" | |
Zu der Zeit begann sie eine private Gesangsausbildung. "Es war schade, dass | |
ich mir bei allem Ehrgeiz, der mich treibt, eingestehen musste: Das mit dem | |
professionellen Gesang, das war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu | |
schaffen." | |
Im Wilhelmsburger Bürgerhaus hingegen wird sie es schaffen. In den nächsten | |
zwei Stunden wird sie sich aufrichten, zuhören und sich entschuldigen, dass | |
die Bürgerbeteiligung "nicht erfolgreich" gelaufen sei. Doch sie bleibt | |
dabei: Die Reichsstraße muss verlegt werden. Viele Wilhelmsburger | |
schlucken. Nach der Veranstaltung bleibt sie noch fast bis Mitternacht. Der | |
Ansatz eines Dialogs ist entstanden. "Es war eine sehr gute Veranstaltung", | |
sagt Anja Hajduk am Ende. | |
16 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Emilia Smechowski | |
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