# taz.de -- Hamburger Spitzenkandidatinnen im Wahlkampf: Die Überzeugungstäte… | |
> Dora Heyenn (Die Linke) kämpft um den Einzug ihrer Partei in die | |
> Bürgerschaft. Der ist unsicher - obwohl die Fraktion in Hamburg einen | |
> guten Ruf hat. | |
Bild: Wirbt in Hamburger Hochhäusern um Stimmen: Dora Heyenn. | |
HAMBURG taz | Die junge Frau steht mit einem Hund vor ihrer Wohnungstür, | |
als Dora Heyenn (Linke) sie anspricht. Die Wählerin kramt nach ihrem | |
Schlüssel. Heyenn stellt sich als Fraktionsvorsitzende der Linken in der | |
Hamburger Bürgerschaft vor, sagt, dass sie über die Wahl reden will. | |
"Irgendwann" gehe das "vielleicht", sagt die junge Frau mit Hund. Aber: | |
"Nicht so, und schon gar nicht so nervig!" | |
Heyenn geht weiter. "Das ist meine große Stärke: nerven", sagt sie. Und | |
setzt etwas unwirsch nach: "Das sind die Frauen, die denken, dass alles gut | |
sei." Nach der ersten Scheidung würden sie das vielleicht anders sehen. | |
Dora Heyenn ist schon über eine Stunde in dem fünfzehnstöckigen Haus in | |
Rahlstedt am Hamburger Stadtrand und verteilt Flyer und rote Chili-Schoten. | |
Die 61-Jährige bittet die Bürger, wählen zu gehen, und sich "eventuell" für | |
die Linke zu entscheiden. | |
Zehn Stockwerke hat sie geschafft, an über 70 Türen geklingelt. An diesem | |
Samstagnachmittag trifft sie nicht sehr viele. Dann klebt sie die Schote an | |
die Tür, dazu die Broschüren. "Der Effekt von den Flyern ist, dass die | |
Leute sich hinterher treffen und fragen: ,War die Alte auch bei dir?'" | |
Die Partei mit Heyenn in der Spitze verspricht im Hamburger Wahlkampf, sich | |
um die zu kümmern, die nicht vom Reichtum der Stadt profitieren - darum ist | |
sie in solchen Hochhäusern unterwegs. | |
Heyenn spricht von einer "sozial tief gespaltenen" Stadt. Sie kann das sehr | |
nüchtern vortragen. Manchmal kann sie sich aber auch richtig dabei empören. | |
"Es ist ein Unding, dass gestandene Männer Flaschen sammeln müssen, um über | |
die Runden zu kommen", sagt sie. | |
Heyenn ist auf einem Bauernhof in der Siedlung Kopendorf auf Fehmarn | |
aufgewachsen, ging auf der Ostsee-Insel zur Volksschule. Sie ist | |
Gymnasiallehrerin für Biologie und Chemie, noch immer unterrichtet sie acht | |
Stunden an der Kooperativen Schule in Hamburg-Tonndorf. | |
Heyenn wohnt in einem Einfamilienhaus, ist verwitwet und hat zwei Kinder. | |
Um zu entspannen, töpfert Dora Heyenn - sie hatte zeitweise einen kleinen | |
Betrieb, um Keramik-Waren zu vertreiben, und hat Bücher darüber | |
geschrieben. | |
Sie habe sich schon immer "mitverantwortlich gefühlt, wie eine Gesellschaft | |
ist", sagt Heyenn. Mit 21 trat sie in die SPD ein. Es habe sie geärgert, | |
dass Schulfreunde kein Abitur machen konnten, weil den Eltern das Geld | |
fehlte. In den 90ern wurde sie SPD-Landtagsabgeordnete in Kiel - als | |
Nachrückerin für zwei Jahre. | |
"Als eine nette und leidenschaftliche Kollegin" hat sie der ehemalige | |
SPD-Abgeordnete Günter Neugebauer in Erinnerung, der fast 40 Jahre im | |
Kieler Landesparlament saß. Sozialpolitik sei ihr Ding gewesen, aber: "Sie | |
war keine Wortführerin." | |
2005 trat Dora Heyenn in die WASG ein - die SPD hatte sie 1999 aus Protest | |
gegen die Schröder-Politik verlassen. Oskar Lafontaine habe sie begeistert, | |
erzählt sie. Der habe sich geweigert, gegen seine Überzeugungen Politik zu | |
machen. Ihr ehemaliger Fraktionskollege Neugebauer sagt, der Wechsel habe | |
ihn überrascht. | |
Seit 2008 ist sie Chefin der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft. | |
Ihre Fraktion hat einen guten Ruf, auch über das linke Lager hinaus. Kein | |
Chaos, keine Selbstzerlegung - stattdessen Sacharbeit. | |
Das ist auch ein Verdienst Heyenns: Sie habe am Anfang klar gemacht, dass | |
sie "keine Rumpelstilzchen-Politik" machen wolle, sagt sie. Wenn es | |
"Wut-Anträge" gegeben habe, sei dies die Schuld der Regierung gewesen, die | |
versprochene Berichte nicht abgegeben, das Parlament über Pläne nicht | |
informiert oder zu spät Dokumente vorgelegt habe. | |
Als klar war, dass sie den Posten als Fraktionschefin bekommen würde, habe | |
die Grüne Christa Goetsch sie beruhigt, erzählt Heyenn - auch Goetsch ist | |
Lehrerin. Eine Fraktion zu führen sei auch nicht so viel anders als eine | |
Klasse zu unterrichten. Man müsse dafür sorgen, dass alle beschäftigt | |
seien. | |
Ihr Beruf sei Heyenn anzumerken, heißt es aus der Fraktion. "Kompletto", | |
sagt Kersten Artus. "Die ist Lehrerin durch und durch - aber nicht von der | |
blöden Art", schiebt sie hinterher. Heyenn arbeite viel und erwarte das | |
auch von den anderen. "Richtig krank sein gilt nicht." | |
Seit Weihnachten ist sie im Wahlkampf, hat über 15 Podiumsdiskussionen | |
absolviert, mehr als 1.000 Hausbesuche hat sie sich vorgenommen. Der Einzug | |
in die Hamburger Bürgerschaft steht auf der Kippe. Nach der Diskussion um | |
die umstrittene Äußerung von Linken-Parteichefin Gesine Lötzsch, wonach der | |
Kommunismus noch immer erstrebenswert sei, liegt die Linke in Umfragen | |
zwischen 5 und 6 Prozent. | |
Hat sie einen Plan B, falls das schief geht? Heyenn überlegt. Und sagt, | |
dass sie dann schon wieder mehr Stunden machen könne als Lehrerin. Andere | |
Abgeordnete würde ein Scheitern der Linken härter treffen. "Aber das liegt | |
außerhalb meiner Vorstellungskraft." | |
Die Stimmen der jungen Frau aus dem Hochhaus wird sie wohl nicht bekommen. | |
Heyenn steht noch im Flur und klebt Chili-Schoten, als die Hundebesitzerin | |
wieder aus ihrer Wohnung kommt. Sie geht zur Treppe und murmelt: "Boah, wie | |
nervig." | |
17 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Daniel Kummetz | |
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