# taz.de -- Neue-Medien-Festival Phaenomenale: Die digitale Provinz | |
> Die Phaenomenale in der Region Wolfsburg-Braunschweig nimmt sich der | |
> neuen Medien und ihrer Rolle für die künstlerische Praxis und | |
> Gesellschaftstheorie an - zeigt aber vor allem eine neue Facette der | |
> Provinz auf. | |
Bild: Wenn Freunde analog gesucht werden: Wanda Dubraus "Freundschaftsanfrage /… | |
BRAUNSCHWEIG taz | Zweiter Tag des Aufstands in Ägypten. Ein junger Araber, | |
vielleicht als Student hier in Braunschweig, hält mir auf der Straße voller | |
Begeisterung das Display seines Smartphones entgegen: friedlich | |
demonstrierende Menschenmassen. Und schon eilt er weiter zu anderen | |
Passanten, ein mehr als flüchtiger Hauch der mediengerecht titulierten | |
"Twitter-Revolution" durchweht die norddeutsche Provinz. | |
Rundmail im Kollegenkreis: kreative Freiberufler, Architektinnen und | |
Architekten in Braunschweig, Hannover, Göttingen, bei allen berufsbedingt | |
vorausgesetzte Technikaffinität. Wenige U40, eher Ü50, also die so | |
genannten digital Immigrants. Und die Frage: Wie sieht es aus mit Twitter, | |
Flickr, iPad und Co? Und bei den jungen Mitarbeitern, den Kindern? | |
Postwendend kommt ein entschiedenes "No" von einem Architektenpaar. Ebenso | |
äußert sich ein Kollege, seine Kinder wären wohl noch zu klein oder bereits | |
zu intelligent, um damit ihre Zeit zu verschwenden. In Göttingen wird in | |
einem Büro geskypt. Eine Braunschweiger Kollegin gewährt ihren Kindern | |
Schüler-VZ, weiß aber um die Gefahren der Anonymität. Deshalb werden | |
einzustellende Inhalte in der Familie besprochen. Ein Mitarbeiter betreibt | |
eine Facebook-Seite. Einzig ein jung-dynamisch Gebliebener möchte, um up to | |
date in Büro und Verwandtschaft zu sein, einen erneuten Anlauf unternehmen, | |
sein iPhone mit entsprechenden Apps zu versorgen. Also Abstinenz, | |
vielleicht gar Resistenz, zumindest keine Euphorie gegenüber digitalen | |
Angeboten und sozialen Medien. | |
Der Begriff der Provinz erhält damit eine neue Facette: Die digitale | |
Revolution, die das Manager-Magazin bereits 1996 diagnostizierte, scheint | |
hier wenig durchgeschlagen zu haben. Genauso wenig, wie sich ihre | |
sichtbaren Vertreter, die fotogene "digitale Bohème" samt schicker | |
Macbooks, in hiesige Kaffeehäuser verirren. Wobei noch hinzukommt, dass es | |
selbst diese infrastrukturelle "Hardware" hier ja nicht mal richtig gibt. | |
Nun die Phaenomenale 2011, das Science & Art Festival der Region | |
Wolfsburg-Braunschweig. Titel: "Neue Freunde, neue Feinde? Die digitale | |
Welt: Bedrohung oder Chance?". Jetzt soll es also abgehen mit den neuen | |
Medien, in künstlerischer Praxis und gesellschaftswissenschaftlicher | |
Theorie. Eröffnet wird das Festival am 24. Februar im Wolfsburger Schloss | |
mit einer Installation von Philipp Geist aus projizierten Videos - was | |
nicht gerade nach dem state of the art im digitalen High-End klingt. Da | |
lauscht man lieber den Worthülsen der bi-direktionalen | |
Kommunikationskanäle. Die wollen die Jugendförderung Wolfsburg und der | |
Braunschweiger Zeitungsverlag in einem zweitägigen News-Camp brummen | |
lassen. | |
Neunzehn veranstaltende Institutionen haben sich dieses Jahr zur | |
Phaenomenale zusammengeschlossen. Einzig der ursprünglich namensgebende | |
Patron, das Phæno in Wolfsburg, setzt aus, der fehlenden touristischen | |
Orientierung wegen. Was die Frage nach dem Zielpublikum aufwirft, das | |
zwischen Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsinteressierten angepeilt wird. | |
Auch wird der regionale Aspekt virtuell ausgelegt: das Edith-Ruß-Haus für | |
Medienkunst in Oldenburg ist als Satellit dabei, das News-Camp soll die | |
Landesgrenzen sprengen. | |
Über 30, teils mehrtägige Veranstaltungen und Ausstellungen laufen im | |
Festival parallel. Vieles wird sich mit digitaler Kulturproduktion, auch | |
der Archivierung und Musealisierung ihrer Artefakte und deren analoger | |
Erzeugung beschäftigen. Das alles klingt nett und ist in einem adretten | |
Heftchen präsentiert. Aber werden über einen eher affirmativen | |
Unterhaltungsaspekt hinaus relevante Fragen angerissen? Ist nicht die | |
digitale Blase, der Traum vom selbstbestimmten freien und kreativen | |
Arbeiten etwa in den virtuellen Welten und Netzwerken andernorts schon | |
längst geplatzt? Wird auf der Phänomenale nicht übersehen, welch knallharte | |
kommerzielle Wertschöpfungsketten sich hinter den Kulissen eingerichtet | |
haben? | |
Wie wenig emanzipatorisch "das Netz" ist, zeigt der weltweite Einsatz von | |
Zensursoftware aus westlicher Produktion. Wie wirkungsvoll hingegen | |
leibhaftige menschliche Auftritte im Zeitalter ortsungebundener | |
Kommunikation werden können, zeigen Tunesien, Ägypten, Algerien. Von dieser | |
Erkenntnis wurden die Apologeten der Phaenomenale 2011 nun überrollt. Das | |
ergibt eine gewisse Unzeitlichkeit des Programms, für die Besucher aber | |
hoffentlich die Aufforderung zum kritischen Abgleich mit der aktuellen | |
Wirklichkeit. In gesunder Skepsis gegenüber allen digitalen Verheißungen | |
scheint die Provinz ja bereits bestens trainiert. | |
Phaenomenale 2011: vom 24. bis 27. Februar in Wolfsburg, Braunschweig und | |
Oldenburg [1][www.phaenomenale.com] | |
21 Feb 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.phaenomenale.com | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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