Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rassismus in Kinderbüchern: Igel bratende Zigeuner
> Der Historiker Wolfgang Benz kritisiert Vorurteile in Kinder- und
> Jugendbüchern - zum Beispiel Pippi Langstrumpfs Vater als "Negerkönig".
> Aber ist diese Debatte noch aktuell?
Bild: Heldin des Feminismus, Anarcho und Punk der ersten Stunde - war Pippi in …
Pippi Langstrumpf galt bislang als literarisches Vorbild der Frauenbewegung
und des Feminismus. Endlich mal ein Mädchen, das mit den gesellschaftlich
vorgegebenen Geschlechterrollen brach und sich nicht um Autoritäten und
Konventionen scherte. Gar anarchistische Züge schrieb man ihr zu und nannte
sie den ersten Punk, lange vor den Sex Pistols. Nun soll dieses Mädchen
eine Rassistin sein.
"Pippi Langstrumpf ist mit Ressentiments befrachtet", sagte Wolfgang Benz,
Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität
Berlin, am Dienstagabend bei einem Vortrag über "Vorurteile in der Kinder-
und Jugendbuchliteratur" in München.
Kolonialrassismus und weiße Dominanz seien in der Lektüre zu finden. So
behauptet Pippi an einer Stelle, "dass es im Kongo keinen einzigen Menschen
gibt, der die Wahrheit sagt. Sie lügen den ganzen Tag". Und im
"Taka-Tuka-Land" ist Pippis Vater als Weißer automatisch König - ein
"Negerkönig", wie es in der Originalausgabe von 1945 noch hieß. Seit 2009
wurde er vom Verlag zum "Südseekönig" umbenannt.
Benz geht es um den Schaden, den Vorurteile und rassistische Klischees bei
den jungen Lesern anrichten können. "Vorurteile werden früh erlernt und
eingeübt", sagt er. "Früh erworbene Ressentiments bleiben besonders wirksam
und prägen nachhaltig das Weltbild vieler Erwachsener." Wolfgang Schäuble
dient ihm als prominentes Beispiel. Dieser habe, so Benz, bei der Eröffnung
der ersten Islamkonferenz in Berlin bekannt, sein Bild des Islams sei durch
die Lektüre von Karl May geprägt. Auch Wolfdietrich Schnurres
autobiografische Geschichte "Jenö war mein Freund" führt Benz als Beispiel
an. Hier ist es der Zigeunermythos, den der Autor unhinterfragt
transportiert. Ganz selbstverständlich klaut Jenö, die Hauptfigur - ein
Zigeunerjunge der zudem Igel fängt, um sie anschließend über dem Feuer zu
braten.
Benz' Kritik ist berechtigt. Bücher für Kinder und Jugendliche sollten -
ebenso wie Belletristik für Erwachsene - keine rassistischen Klischees und
Vorurteile enthalten, denn was schwarz auf weiß geschrieben steht, findet
auch Eingang ins Denken. Dennoch erscheint Benz' Kritik seltsam altbacken.
Die Bücher, die er zitiert, sind alt. Astrid Lindgren schrieb den ersten
Band von Pippi Langstrumpf 1945 und Wolfdietrich Schnurres "Jenö war mein
Freund" wurde 1970 veröffentlicht. Einen aktuellen Anlass für Benz' Kritik
gibt es nicht. Vielmehr, so gibt er selbst zu, habe das Thema schon lange
auf seiner Agenda gestanden. Nun, da er bald in Rente gehe, habe er die
Kinder- und Jugendliteratur noch einmal kritisch beleuchten wollen. Wo
bleibt da der Erkenntnisgewinn? Sollen wir die liebgewonnene Pippi
Langstrumpf einstampfen? "Nein", sagt Benz. "Gegenüber Vorurteilen und
Feindbildern hat man nur eine Chance: Man muss über sie sprechen."
Benz fordert also den oder die kritische VorleserIn, die in der Lektüre
innehält und mit den Kindern über das Gehörte spricht, wenn Pippi über die
lügenden Kongolesen urteilt. Aber hätten das die meisten Eltern, die heute
noch Vorlesen, nicht ohnehin getan? Auch plädiert Benz für eine engere
Zusammenarbeit zwischen Autoren und Historikern. "Kinder und Jugendliche
haben Anspruch auf historisch wahrhaftige Literatur", sagt er.
D'accord, gegen sorgfältige Recherche ist nichts einzuwenden. Dennoch
greift Benz' Kritik zu kurz. Denn statt nur auf veraltete Phänomene
hinzuweisen, wäre es konstruktiver gewesen, nach Kinder- und Jugendbüchern
zu fahnden, die Minderheiten thematisieren und damit schon früh zu Toleranz
und Offenheit beitragen. Dazu hatte Benz' Vortrag leider nichts
beizutragen. "Spunk", würde Pippi Langstrumpf dazu vermutlich sagen.
24 Feb 2011
## AUTOREN
Marlene Halser
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.