# taz.de -- Embedded bei der tageszeitung: Der Kampf der 99 Linien | |
> Das Kampforgan "taz" im Spiegel der ausländischen Presse. Ausgewählte | |
> Beispiele vom Orwell-Jahr 1984 bis zum Jahr des Hasen 2011. | |
Bild: Die taz in der Rudi-Dutschke-Straße: Das Innenleben ist gelegentlich kom… | |
BERLIN taz | Als die taz 1984 noch in ihrer Weddinger Fabriketage wohnte, | |
besuchte die chinesische Schriftstellerin Zhang Kangkang die Redaktion. | |
Eigentlich hatte der Sinologe Wolfgang Kubin sie dort hingezerrt, wie sie | |
später in der Literaturzeitschrift Renmin Wenxue schrieb, denn sie wollte | |
nicht schon wieder interviewt werden. Aber nein, hatte Kubin ihr | |
geantwortet, nicht sie dich, du sollst sie interviewen. | |
"Wo gibt es denn so etwas, eine Zeitung, die sich von anderen interviewen | |
lässt", fragte Zhang Kangkang - "Du wirst sehen, sie sind ganz anders als | |
alle anderen Zeitungen," versprach Kubin ihr. | |
Zunächst bemerkte die Dichterin, dass es überall "nicht besonders sauber" | |
war. Als sich einige taz-Redakteure um die chinesische Genossin scharten, | |
findet diese, "dass sie sehr glücklich sind, dass ich gekommen bin". | |
Es gibt keine Unternehmen oder Banken, die sie kontrollieren, "jede Meinung | |
kann veröffentlicht werden", behaupteten die Redakteure, schrieb Zhang | |
Kangkang . Sie beklagten sich jedoch, dass sie nur 1.000 DM verdienen | |
würden, anderswo sei es zwei oder dreimal so viel. Außerdem versicherte man | |
ihr: "Wir berichten nicht nur, sondern untersuchen auch die Fehler, z. B. | |
im heutigen China, und machen Vorschläge." | |
Was Deutschland betreffe, gestanden ihr die Redakteure, dass ihnen die - | |
noch fünf Jahre entfernte - "Wiedervereinigung" am Arsch vorbeigehe, im | |
Übrigen gäbe es in der taz zwar nicht wie einst in China "den Kampf zweier | |
Linien, dafür jedoch den Kampf von 99 Linien". | |
Als die Schriftstellerin müde vom Zuhören wurde, lud man sie zu Spaghetti | |
Bolognese in die Kantine ein, Zhang Kangkang war voll des Lobes über das | |
taz-Menü. Als sie mit ihren Begleitern die taz verließ, war sie "verwirrt", | |
wie sie schreibt, "meine Gefühle sind verwickelt und kompliziert. Wer hätte | |
auch darauf kommen können, dass Westberlin so eine Zeitung hat!" | |
Die linken Journalisten aus dem kapitalistischen Ausland musste man nicht | |
in die Redaktion zerren, sie kamen von selbst in das "Alternativprojekt | |
tageszeitung". | |
## Im Stil der Untergrundpresse | |
1986 veröffentlichte Jeff Cohen in der Chicagoer Wochenzeitung In these | |
Times einen Artikel über die taz, die den "Stil der Untergrundpresse der | |
Sechzigerjahre wiederbelebte", nebenbei über eine Million Mark für die | |
Guerilla in El Salvador zusammensammelte und die man bis dahin schon 40-mal | |
angeklagt hatte, zwei Polizeirazzien sowie sechs Überfälle von | |
Hausbesetzern, Antiimperialisten und Feministinnen gar nicht mit gerechnet. | |
Der anarchische Auftritt der taz mag "wenig objektiv" sein, schrieb Cohen, | |
aber er sei ein starker Kontrast zu dem allzu "glatten Journalismus der | |
US-Tageszeitungen". | |
Viele bundesdeutsche Journalisten hätten ihre Karriere in der taz begonnen, | |
die inzwischen zu einer wichtigen Quelle für die Konkurrenzblätter geworden | |
sei. "Manchmal habe ich schon den Eindruck", erzählte ein tazler dem Autor, | |
"dass ein Scheitern unseres Blatts für die anderen Journalisten schlimmer | |
ist als für unsere Leser." | |
Wichtig sei die taz aber auch für "Whistleblower", besonders in Bezug auf | |
Umweltvergehen. So konnte die taz 1985 ein geheim gehaltenes Gutachten über | |
arsenverseuchte Böden in Hamburg veröffentlichen. Es gebe enge Verbindungen | |
zu der grünen Partei, die fast zeitgleich mit der taz gegründet wurde: | |
Beiden gehe es "um das Zusammenführen separater Bewegungen". | |
Die taz beschäftigte 1986 zwei Köche, einer wurde später Chefredakteur, die | |
andere wurde von Cohen gefragt, warum sie, die im Gegensatz zu den meisten | |
taz-Journalisten gut ausgebildet sei, für so wenig Geld arbeite. Die noch | |
immer in der taz als Köchin arbeitende Bolivianerin Nancy antwortete ihm: | |
"Ich wollte schon immer in einem Kollektiv arbeiten". | |
Bei großen Umweltkatastrophen schnellten taz-Auflage und Abozahl jedes Mal | |
in die Höhe, am heftigsten beim Reaktorunfall von Tschernobyl 1986. In | |
dieser Zeit besuchte Martin Griffin vom Londoner Monochrome die Redaktion. | |
"Wir sind absolute Profiteure des Fall-out", bekam er zu hören, aber auch, | |
dass die taz inzwischen schon über 100-mal vors Gericht gezerrt wurde - | |
meistens wegen Beleidigung und Aufforderung zur Gewalt. | |
## Diebstahl auf dem Weg zur Druckerei | |
Außerdem wurden die taz-Seiten einmal auf dem Weg zur Druckerei geklaut - | |
und durch feministische Texte ersetzt, "die jedoch nicht schlecht waren". | |
Auch andere linke Gruppen fühlten sich zunehmend von der taz ignoriert oder | |
ins falsche Licht gerückt. "Aber wir wollen politisch einflussreich werden, | |
sodass das, was die taz sagt, mehr Gewicht hat", wurde Griffin versichert. | |
Wenig später besuchte Erich Friedländer die taz, um für The Democratic | |
Journalist, das Organ der Internationalen Journalistenorganisation, über | |
sie zu berichten. Er sprach unter anderem mit der damaligen Chefredakteurin | |
Georgia Tornow, die meinte, obwohl sich einiges geändert habe, gehe es noch | |
immer darum, eine "alternative Öffentlichkeit zu schaffen." | |
Ein anderer taz-Mitarbeiter erzählte Friedländer: "Wir waren ,Trendsetter', | |
was Umweltschutz und Ökologie betraf, aber inzwischen haben fast alle | |
nachgezogen." | |
2008 erschien ein Artikel in der türkischen Zeitung Radikal, in der die | |
Autorin Pinar Ögünc sich auf den ebenso langen wie komischen Konflikt | |
zwischen der taz und der Springer-Presse konzentrierte. Die taz war einst | |
auch gegen die Fastmonopolstellung dieses rechten Zeitungsverlags gegründet | |
worden. | |
Seitdem gab es immer wieder kleinere und größere Scharmützel zwischen den | |
beiden "Häusern". Die türkische Journalistin kam dann auf | |
Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu sprechen, der die taz verklagte, weil | |
sie auf ihrer Wahrheit-Seite über eine fiktive, verpfuschte | |
"Penis-Verlängerung" des Bild-Chefs berichtet hatte. | |
Dafür parkte er Lieferwagen vor dem taz-Haus, auf denen die Bild-Zeitung | |
sich mit Plakaten über die körperliche Beschaffenheit der taz-Redakteure | |
lustig machte, und wurde dann sogar gegen den Willen vieler tazler Mitglied | |
ihrer Genossenschaft. | |
## Ein Haus, an dem ein großer Penis hängt | |
2010 arbeitete der Istanbuler Journalist Mahmut Hamsici zwei Monate mit | |
einem EU-Stipendium in der taz und verfasste dabei einen langen Artikel für | |
seine Zeitung Birgün. Der Artikel begann mit dem Satz: "Die | |
Rudi-Dutschke-Straße 23 ist ein Haus, an dem ein großer Penis hängt" (als | |
Teil des Reliefs "Fried sei mit dir" des Bildhauers Peter Lenk über die | |
Bild-Zeitung). | |
Mahmut Hamsici gewann bei seinen Recherchen den Eindruck, dass die taz noch | |
immer kein "Mainstream-Medium" ist. Ihre Arbeitsweise ist anders, und sie | |
ist noch immer ziemlich antiautoritär: "Im Gegensatz zu unseren | |
Chefredakteuren, die mit einem Range Rover zur Redaktion fahren, kommt die | |
taz-Chefredakteurin Ines Pohl mit dem Fahrrad." Und sie sagt: "Meine | |
Befugnisse sind hier sehr begrenzt. Ich begreife mich als Dirigent eines | |
großen Orchesters, wo ich versuche, die Leute dazu zu bringen, aus ihrer | |
eigenen Einstellung heraus die besten Töne herauszubringen." | |
Im Übrigen habe die taz inzwischen einen größeren Einfluss, als die | |
Auflagenhöhe vermuten lasse. Und sie berichte auch noch immer über Dinge, | |
über die sonst keine andere Zeitung schreibt. Hinzu kämen ihre | |
"gestalterischen Spielereien" und ihr "ironischer Stil". | |
Außerdem habe sie das größte Wohlwollen gegenüber Migranten und | |
Einwanderern. Ines Pohl erzählte dem Autor: "Am Anfang war die taz keine | |
wirkliche Zeitung, gemessen an journalistischen Standards. In dieser | |
Hinsicht ist sie Teil des Mainstreams geworden. Zwar hat sie mittlerweile | |
eine größere Distanz zu den Grünen, aber viele ihrer Leser wollen noch | |
immer, dass sie ein Kampforgan ist." (Fortsetzung folgt) | |
25 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
## TAGS | |
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
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