# taz.de -- Montagsinterview ADAC-Berlin-Chefin Dorette König: "Straßenraum i… | |
> Ihr Mann hat einen Fahrradladen, sie selbst verzichtet auf einen | |
> Dienstwagen, wenn es mit dem Zug schneller geht. Dorette König, neue | |
> Chefin des ADAC Berlin-Brandenburg, kennt die Stadt nicht nur aus | |
> Autofahrerperspektive. | |
Bild: Dorette König wird im März Geschäftsführerin des ADAC Berlin-Brandenb… | |
taz: Frau König, Sie werden hauptamtliche Geschäftsführerin des ADAC | |
Berlin-Brandenburg, Ihr Mann hat einen Fahrradladen. Welche Diskussionen | |
führen Sie zu Hause? | |
Dorette König: Darüber gar keine. Im Gegenteil, wir ergänzen uns sehr gut. | |
Es gibt sehr viele ADAC-Themen, die auch mit dem Thema Fahrrad zu tun | |
haben. Zum Beispiel haben wir ein Projekt, "Schüler machen Zeitung", da | |
ging es einmal um Fahrradhelme. Da hat mir mein Mann abends noch alles | |
Wichtige gesagt, wir haben zusammen ADAC-Broschüren durchgeblättert und | |
gesehen, wo es Verbesserungsbedarf gibt. Also, zwischen unseren Bereichen | |
überschneidet sich wirklich vieles. | |
Und was ist mit Streiten à la "Der Autofahrer nimmt mir immer die Vorfahrt" | |
und "diese Radfahrer, die sich rechts vorbeidrängeln und dann noch bei Rot | |
fahren"? | |
Ach, das ist doch ein Trugschluss. Mein Mann fährt sehr gern Fahrrad, aber | |
er fährt mit dem Auto ins Geschäft, liefert damit Räder aus, fährt die | |
Kinder in die Schule und zum Fußball. Wenn wir als Familie in den Urlaub | |
fahren, tun wir das in der Regel mit dem Auto. In diesem Jahr machen wir | |
eine Fahrradtour nach Kopenhagen. Es ist für uns kein Thema, dass das eine | |
das andere ausschließt. Wir als ADAC haben viele Kunden, die sich ein Rad | |
anstatt eines zweiten Autos kaufen - zum Beispiel bei uns in Königs | |
Wusterhausen. Das geht auch nur dank des guten öffentlichen Nahverkehrs. | |
Warum fahren die Kinder nicht mit dem Rad zur Schule? | |
Wir wohnen in einem Ortsteil, Königs Wusterhausen ist weit verzweigt. Es | |
ist nicht immer möglich, dass die Kinder mit dem Rad fahren, etwa wenn sie | |
danach zum Schwimmen oder zum Fußball in einen anderen Ortsteil wollen. In | |
Berlin ist das etwas anderes, da können viele Leute, die nicht zu weit weg | |
wohnen vom Bahnhof, sagen: Uns reicht ein Auto für die Familie. Ein Partner | |
nimmt das Rad mit in die Bahn, kann sich damit in Berlin bewegen. Das sind | |
auch viele ADAC-Mitglieder. | |
Berlin ist die Stadt mit der geringsten Autodichte pro Kopf bundesweit. Was | |
reizt Sie daran, ausgerechnet hier größte Autolobbyistin zu werden? | |
Als Mobilitäts-Lobbyistin können Sie mich gerne bezeichnen. Das ist auch | |
der Grund, die Herausforderung anzunehmen: Ich habe den ADAC kennen gelernt | |
als einen Verein, der sich für die Mobilität einsetzt. Ich finde hier sehr | |
viele Themen, die ich richtig und wichtig finde und die kompetent | |
angegangen werden. Wir haben in Berlin 1,2 Millionen Mitglieder aus allen | |
Bereichen, die alle Mobilitätsformen in Anspruch nehmen. Wir haben | |
jugendliche Mitglieder, die noch keinen Führerschein haben. | |
Wie halten Sie es selbst mit dem Autofahren? | |
Ich bin drei Jahre mit dem Regionalexpress zum Potsdamer Platz zur Arbeit | |
gefahren, obwohl ich leidenschaftliche Autofahrerin bin. Wenn ich | |
Alternativen habe, nehme ich andere Verkehrsmittel. Ich hätte einen | |
Dienstwagen haben können, aber das war Unsinn: Ich brauchte mit dem Auto | |
fast 30 Minuten länger. Und es war toll, im Zug Zeitung zu lesen. Aber wenn | |
ich bis Mitternacht einen Termin hatte, dann habe ich das Auto genommen. | |
Damit habe ich mich sicher und wohl gefühlt. | |
Trotzdem ist der ADAC nach wie vor aufs Auto fokussiert. Sie stellen sich | |
nicht hin und sagen: Gleiche Rechte für alle Verkehrsteilnehmer. Sind die | |
Straßen nur für Autos da? | |
Erst mal denke ich, Straßenraum ist für alle da. Wahrnehmung ist das eine, | |
Zahlen sind das andere. Wenn wir morgen nur noch zehn Prozent Autoverkehr | |
in der Stadt haben würden, dann wäre es eine Schieflage, dass wir so viel | |
Straßenraum dem Auto zuweisen. Wenn aber, so wie es jetzt ist, der größte | |
Anteil über den Individualverkehr abgewickelt wird - gemessen an der | |
Verkehrsleistung -, braucht diese Gruppe den Straßenraum. Noch haben wir | |
diesen Verkehr. Wir glauben, dass im 21. Jahrhundert Mobilität ein | |
Grundbedürfnis ist. Die Menschen fragen das nach. Ich möchte auch zukünftig | |
flexibel sein in der Wahl der Mobilitätsform. Ich möchte mir nicht | |
vorschreiben lassen, womit ich mich fortzubewegen habe. | |
Sie könnten ja auch fordern, dass der Nahverkehr besser ausgebaut werden | |
muss! | |
Das haben wir gemacht. Wir haben gesagt: Macht doch Angebote, dass die | |
Pendler nicht aufs Auto angewiesen sind. Baut Park-&-Ride-Plätze, bessert | |
das ÖPNV-Angebot auf. Noch sind viele aufs Auto angewiesen. Aber: Auch wenn | |
man öfter den ÖPNV nutzen kann, heißt das nicht, dass ich kein Auto mehr | |
brauche. Es sei denn, ich wohne in Berlin-Mitte und will von dort nicht | |
weg. | |
Wenn wir schon gerade bei Brandenburg sind: Sie waren dort Mitte des | |
vergangenen Jahrzehnts Staatssekretärin im Infrastrukturministerium. Halten | |
Sie jede politische Entscheidung, die nach der Wende getroffen wurde, noch | |
für richtig? Vielerorts wurden mit viel Geld Umgehungsstraßen angelegt für | |
Ortschaften, in denen heute kaum einer mehr wohnt. Dafür ist für manche | |
aufgerissene Landstraße kein Geld mehr da. | |
Brandenburg hat eins richtig gemacht: nach der Wende am Straßennetz | |
ausgebaut, was ging. Umgehungsstraßen waren sinnvoll, weil so überhaupt | |
gewerbliche Entwicklung möglich war. Sicher gab es auch Entscheidungen, die | |
aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar scheinen. Man ist von einer | |
anderen wirtschaftlichen Entwicklung ausgegangen, man hat sich Synergien | |
Berlin/Brandenburg erhofft, die so nicht eintrafen. In der Mehrheit hat | |
Brandenburg die Mittel gut genutzt. Jetzt muss man sehen, wie man diese | |
Straßen erhält - das ist eine ganz andere Herausforderung. | |
Kann man auf Dauer alle Straßen erhalten? | |
Das wird ein ganz spannendes Thema. In Brandenburg stellen sich völlig | |
andere Fragen als in Berlin: Wie sichern wir die wirtschaftliche und | |
touristische Entwicklung für Brandenburg? Was bedeutet es gleichzeitig für | |
Mobilitätsformen, wenn immer weniger Menschen in der Region leben? | |
Stichwort Alterspyramide: Man wird wahrscheinlich das Bahnnetz und den | |
öffentlichen Nahverkehr nicht in dieser Form aufrechterhalten können. | |
Welche Alternativen gibt es? | |
Haben Sie Antworten gefunden? | |
Wir sind dabei und werden Mitte des Jahres Antworten aus unserer Sicht | |
haben. | |
Ein Punkt, in dem sich der ADAC von den Verkehrsplanern des Landes | |
unterscheidet, ist die Prognose: Der Senat geht von abnehmendem Autoverkehr | |
aus, Sie nicht. | |
Die Verkehre werden sich verschieben, aber sie werden nicht abnehmen. Wir | |
werden immer ein vernünftiges Straßennetz brauchen, einen leistungsfähigen | |
ÖPNV, ein gutes Fahrradstraßennetz. Wir möchten Sicherheit gewährleisten | |
für alle Verkehrsteilnehmer. Da haben wir eine andere Auffassung als der | |
ADFC; auch wenn wir mit Letzterem sonst gut zusammenarbeiten. | |
Nun kann man sagen: Die Verkehre sind so, wie sie sind, und deswegen müssen | |
wir sie entwickeln. Oder ich sage: Wir möchten gern, dass sich der Verkehr | |
in diese oder jene Richtung entwickelt, deswegen machen wir entsprechende | |
Vorgaben. Schalte ich Ampeln nach Auto- oder Fußgängertakt? Nehme ich Autos | |
Raum, um ihn Radfahrern zuzuschustern? | |
Wenn Sie es schaffen, die Verkehre zu bündeln, mit Hilfe eines | |
Stadtautobahnnetzes zum Beispiel, können Sie natürlich Straßen entlasten. | |
Dann können Sie Raum für Radfahrer schaffen. Wenn Sie aber nur davon | |
ausgehen, dass ich die Leute diszipliniere, also: Ich mache die Straßen | |
dicht und zwinge sie, umzusteigen - und Sie bieten keine Alternative an … | |
da sage ich, das wird nicht funktionieren. Die Autofahrer werden sich ihren | |
Weg woanders suchen, das haben viele Baustellensituationen gezeigt. Sie | |
werden mehr Verkehr auf weniger Raum führen müssen und erreichen dadurch | |
mehr Probleme. Das kann nicht Ziel einer lebenswerten Stadt sein. | |
Fahrradstreifen oder Radweg? | |
Ich fahre lieber auf Fahrradwegen, da fühle ich mich sicherer. Wir als ADAC | |
sind aber nicht gegen Fahrradstreifen. Wir sagen nur: Wo man es trennen | |
kann, sollte man es trennen. | |
Ich fahre lieber auf der Straße, weil ich mich da mehr wahrgenommen und | |
sicherer fühle. | |
An den Knotenpunkten müssen die Sichtachsen so sein, dass Radfahrer | |
wahrgenommen werden. Schwarze Schafe wird es allerdings immer geben. Wir | |
haben im vergangenen Jahr eine Pressekonferenz mit Verkehrssenatorin | |
Ingeborg Junge-Reyer und dem ADFC gemeinsam gegeben und an die gegenseitige | |
Rücksichtnahme im Straßenverkehr appelliert. Das war ein Novum. | |
Gleichwohl: Wenn Sie wahrgenommen werden, dann als Autolobbyist - gegen | |
Tempo 30, für den Autobahnbau … Gibt es da noch etwas für Sie zu tun? | |
Wir arbeiten daran. Unsere Themen werden schon auch aufgegriffen, das | |
braucht eben seine Zeit. Wir intensivieren unsere Programme zur | |
Verkehrssicherheit und die Zusammenarbeit mit dem ADFC. | |
Diese Verbreiterung der Schwerpunktsetzung - hat das auch damit zu tun, | |
dass nun eine Frau in den oberen Etagen mitmischt? Oder ist Ihre Besetzung | |
ein Ergebnis dieses erweiterten Spektrums? | |
Nein, kein Ergebnis, der ADAC hat mich ja bewusst angesprochen. Es gab im | |
Vorstand schon mal eine Frau. Es passt gut zusammen bei mir als Person. Der | |
ADAC und ich haben uns kennen gelernt, als ich Staatssekretärin war, bei | |
einem Projekt zur Verkehrssicherheit und zum Führerschein mit 17. | |
Sie sind 23 Jahre in der Immobilienwirtschaft gewesen. Auch so eine | |
Männerdomäne. | |
Ich war die letzten drei Jahre angestellt bei einem internationalen | |
Immobiliendienstleister, da war ich die einzige Frau in der 9-köpfigen | |
Geschäftsführung. Auch vorher habe ich in Leitungsfunktionen vor allem mit | |
Männern zusammengearbeitet. Frauen und Männer bringen unterschiedliche | |
Stärken und Schwächen ein. In diesen kommunikativen Branchen bringen wir | |
Frauen gute Eigenschaften mit. Man muss natürlich hart arbeiten und sich | |
durchsetzen wollen. Aber man muss auch das Bedürfnis haben, sich wirklich | |
in der Kommunikation weiterzuentwickeln. Ich habe mich vom operativen | |
Geschäft ins Management entwickelt. Dort bin ich oft als Mediator in der | |
Lage gewesen, Konflikte zu lösen. Ich sage nicht, dass ich bessere Ansätze | |
hatte, sondern andere. So konnte ich mein Selbstbewusstsein stärken. | |
Quote oder nicht? | |
Ich bin für eine Quote mit der Maßgabe, sie nicht als Dogma zu sehen. | |
Zumindest für eine Zeit wird man einen gewissen Druck brauchen. Verbunden | |
werden muss das mit der Bereitschaft und der fachlichen Qualifikation; nur | |
allein mit Quote ändert sich nichts. | |
Wieso sind Sie nicht an die gläserne Decke gestoßen, an der so viele Frauen | |
scheitern? | |
Also ich bin manchmal auch an solche Decken gestoßen. Aber eine gewisse | |
Grenze hat mich dann erst recht gereizt. Ich habe immer hart gearbeitet und | |
einen Mann, der mich unterstützt. Ich habe zwei Kinder, und uns war immer | |
klar, dass für mich Beruf und Familie gleich wichtig sind. Ich rede darüber | |
auch mit meinen Kindern. Ich war das erste Mal Geschäftsführerin, da war | |
mein Sohn drei Jahre alt. Für uns war immer wichtig, Dinge miteinander zu | |
lösen. Es ist mir nichts geschenkt worden. | |
Ist das der ostdeutsche Hintergrund? | |
Es war schon eine Zeit des Umbruchs. Ich war gerade verheiratet, hatte eine | |
kleine Wohnung und auf einmal stand alles in Frage. Was bedeutet das für | |
meine Zukunft, die Ehe, Kinder? Wir haben uns dann gesagt: Packen wir es | |
an. Einfach war es nicht. Ich habe erst sieben Jahre nach der Hochzeit mein | |
erstes Kind bekommen, ich habe dann noch mal eine Abendschule besucht, eine | |
Ausbildung in der Immobilienwirtschaft absolviert. Es ist gut für uns | |
gelaufen, aber: viele Menschen haben Bruchstellen im Leben. Es ist wichtig, | |
Veränderungen aufzunehmen und sie als Herausforderungen zu begreifen. So | |
sehe ich auch meine Tätigkeit beim ADAC. | |
27 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
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