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# taz.de -- 6. Staffel von Germanys Next Topmodel: Die Gleichschaltung der Gesi…
> Was passiert, wenn man mit der Hannah-Arendt-Kanone auf einen Spatzen wie
> Heidi Klum schießt? Eine Betrachtung der totalitären
> Germanys-Next-Topmodel-Maschinerie.
Bild: Vor der Verwandlung zum isolierten Individuum: Modelanwärterinnen im Stu…
Am Donnerstagabend ist mal wieder Machtergreifung. Heidi Klum und ihr
Gefolgsstab schinden erneut kleine, dünne Mädchen. Demütigen sie
öffentlich, erzwingen, dass sie sich ihrem Diktat unterwerfen - und werfen
am Ende alle raus. Bis auf eine. Und die wird "Germanys Next Topmodel"
(GNTM).
Weil es vorher schon fünf Staffeln Topmodelsuche gab, wissen wir, wie das
ablaufen wird: Die Klum wird ihren Kandidatinnen in einer Woche vorwerfen,
ihnen fehle die richtige Einstellung. Wird Kandidatinnen eine letzte Chance
einräumen, wenn sie endlich mal aus sich rauskommen, ihr wahres Gesicht
zeigen. Und sie in der nächsten Woche trotzdem rauswerfen, weil sie einfach
zu langweilig sind oder ihnen einfach das stets einsetzbare "gewisse Etwas"
oder die "Persönlichkeit" fehlt. Zu aufgedreht, zu introvertiert. Zu
unkontrolliert, zu brav, zu unnatürlich, zu maskulin, zu erotisch, zu süß,
zu wenig wandelbar - jede Woche erfinden Führerin Klum und ihr Jurygefolge
neue Kritikpunkte. Und halten das ominöse "Gesamtpaket", das Germanys Next
Topmodel mitbringen soll, immer schön in Bewegung.
Welche Kandidatin in welcher Woche niedergemacht wird, ist vollkommen
willkürlich - klar ist nur, dass jedes Mädchen, eins nach dem anderen,
irgendwann heulend vor der Jury stehen muss und sich in der Woche danach
heulend unterwirft. Und: besonders starke Charaktere müssen zuerst
gebrochen und gleichgeschaltet werden. Bis zum Negieren von Solidarität
untereinander und zur völligen Aufgabe von Selbsterhaltungstrieb und
Schamgefühl. Psychologische Kriegführung. Oder kurz: purer Terror.
## Ausmerzung als Prinzip
Regeln, die sich ständig verändern, eine unfehlbare Führerin, eine
gebrochene und atomisierte Gefolgschaft - das sind allesamt Elemente, die
nach Definition der Philosophin Hannah Arendt Charakteristika von
totalitären Bewegungen sind. Wie in Arendts 1.000-seitiger Abhandlung über
totale Herrschaft basiert auch die Klumsche Topmodelbewegung auf einem
großen Lügenkonstrukt - auf der Behauptung nämlich, man könnte durch
Gewinnen der Show tatsächlich ein international gefeiertes Model werden.
Das ist noch keiner der Gewinnerinnen gelungen, sie landen bestenfalls in
der Vertragsvorhölle von Klums geschäftstüchtigem Vater Günther. Arendt
warnt davor, dass totalitäre Bewegungen ihre unsinnigen Lügenkonstrukte auf
pseudowissenschaftliche Prophezeiungen wie der historisch unvermeidlichen
Ausmerzung von diesem und jenem aufbauen - und rechtfertigen so die
Notwendigkeit von Grausamkeiten ihres Terrorregimes und die Anstiftung
ihrer Parteimitglieder und Sympathisanten zu Gräueltaten.
Ähnlich funktioniert das Klum-Imperium: Es fordert unbedingte Unterwerfung
unter sein Diktat mit dem Versprechen, dass der Gewinnerin zwangsläufig
internationaler Topmodelruhm winkt - gewinnt sie doch exklusive
Werbeverträge mit ultraglamourösen Modemarken. Zum Beispiel mit dem
Hausfrauenausstatter C&A oder einer Firma für Damennassrasierer.
Dass das im Grunde Unsinn ist, muss eigentlich jede noch so dämliche
Minderjährige kapieren. Doch die Regeln sind einfach: Wenn die Klum das
sagt, dann ist es so. Denn diese Frau, die mit ihrem penetranten
Plastikfröhlichkeitscharme seit Jahren über den internationalen Werbemarkt
tingelt, weiß einfach, wie es läuft. Und wer das Gegenteil behauptet, der
wird eliminiert. Zumindest aus dem Kreis der Titelanwärterinnen.
Damit den Kandidatinnen ja keine Zeit gelassen wird, allzu viel darüber
nachzudenken, werden sie beschäftigt. Sie müssen sich von skurrilen
Friseuren hässliche Playmobilmännchenfrisuren schneiden lassen, in
superhohen Pumps Treppen hochsprinten, sich mit Tintenfischen behängen
lassen und nachts halbnackt auf Kreisverkehren posieren - angeblich um zu
unterstreichen, dass sie die richtige Attitude mitbringen. Tatsächlich aber
eher, um jegliche Solidarität unter den Kandidatinnen in sinnfreiem
Hickhack zu zersetzen.
Denn schon Hannah Arendt wusste: Nur ein vollkommen isoliertes,
atomisiertes Individuum, das keinen eigenen Willen, keine geistige und
soziale Heimat mehr hat, ist gute Massenmenschenware für die totalitäre
Bewegung. Vor allem aber dient all dieses Gehampel dem kunstvollen
Verschleiern der Tatsache, dass Models im Grunde kaum etwas können müssen
außer hin und her laufen, nix wiegen und vor allem gut aussehen. Aber mit
dieser öden Wahrheit lockt man ja keine Leute vor den Bildschirm.
Und damit das alles ja nicht langweilig wird, wird ordentlich Zwietracht
zwischen den Kandidatinnen gesät. Kaum befreunden sich zwei
Kontrahentinnen, werden sie in einer Kampfentscheidung vor die Jury
zitiert, und eine fliegt raus. Kleinste Fehltritte der Kandidatinnen werden
von den immer anwesenden Kameras dokumentiert und breitgetreten - ob sie
sich im Backstagebereich abspielen, im Flugzeug oder in der Modelvilla. Wer
sich danebenbenimmt, darf Selbstkritik vor dem Jurytribunal üben. Natürlich
nur, um kurz darauf trotzdem rausgeworfen zu werden.
Denn wie alle totalitären Führer haftet auch die Klum für das Benehmen
ihrer Schützlinge - und wird sich von diesen hergelaufenen Gören bestimmt
nicht ihr klinisches Sauberstrahlefrauimage kaputt machen lassen. Und hüllt
sich für "ihre Mädchen" doch in mysteriöse Distanz: Ganze Folgen lang lässt
sie sich nicht blicken (außer beim Juryentscheidungstribunal) und lässt es
offen, wer in dieser Zeit eigentlich Weisungsbefugnis hat, wohin und wie
sich eigentlich entwickelt werden soll. Sollen die Modelanwärterinnen jetzt
auf den kubanischen Catwalktrainer Jorge hören (so sie überhaupt verstehen,
was er sagt), auf den ältlichen Kosmetiker Rolf(e) Schneider, auf den
Cutting-Edge-Fotografen Rankin, auf das durchgeknallte Exmodel Bruce
Darnell oder auf die obskuren Gastjuroren wie Altmodell Twiggy oder
Burleskeschnalle Dita Von Teese?
Auch dass in der Kakophonie all dieser mehr oder weniger berufenen Experten
keine mehr durchschaut, welche Ansage nun gilt, hat totalitäre Methode:
Diese Doppelstrukturen und ungeklärten Hierarchieverhältnissen bewirken,
dass keine mehr weiß, welche Strategie sie denn nun auf die Siegerinnenspur
bringt, und so wird das Klum-Imperium aufrechterhalten. Mit dieser
Strategie stabilisierten zumindest Hitler und Stalin ihre Bewegungen, sagt
Arendt.
## Lockere Schrauben
Aber das alles wird auch irgendwann ein Ende finden. Theoretikerin Arendt
analysierte zumindest, dass die Begeisterung für die totalitäre Bewegung in
sich zusammenfällt, sobald das System verschwunden ist. Ebenso wie das
Bewusstsein ihrer Anhängerschaft für ihre Mittäterschaft.
Und so ist es auch bei GNTM nach jeder Staffel: In jeder Staffel tauchen in
Trash-TV-Verwertungsmedien Exkandidatinnen auf, die sich bitterlich
beschweren, wie mies sie behandelt wurden und wie viele Schrauben die
Macher des Formats locker haben. Mitgemacht haben sie zuvor trotzdem,
damals, in der stimmigen, kleinen Topmodelwelt, wo das alles so logisch
schien und wo das Wort von Heidi und ihren Mannen Gesetz war.
Und wie jede totalitäre Bewegung strebt auch das Topmodel-Imperium die
Weltherrschaft an: Ist doch Klums Sendung nur ein Klon von Tyra Banks
US-Show, die ganz ähnlich gestrickt ist. Klum selbst strebt schon seit
einigen Jahren mit ihrer Show "Project Runway" die Unterjochung des
US-Designernachwuchses an und hat mit für "Austrias Next Topmodel" die
erste Gewinnerin der deutschen Show, Lena Gercke, als ihre Stellvertreterin
eingesetzt.
Außerdem strebt die Klum neuerdings auch die Gleichschaltung des
Nachwuchses im Kindesalter an - mit ihrem neuen US-Format "Seriously funny
kids". Und hat sich in ihre neue Jury mit dem Creative Director Thomas Hayo
einen behaarten Klon des Singwettbewerbseinpeitschers Detlef D! Soost,
Urgestein der Castingshow "Popstars", eingekauft. Ach übrigens: Die
funktioniert nach demselben Klumschen totalitären Bewegungsrezept.
2 Mar 2011
## AUTOREN
Meike Laaff
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