# taz.de -- Guttenbergs Rede aus der Zukunft: "Die Selbstreflexion war schmerzl… | |
> Exklusiv in der taz: Karl-Theodor zu Guttenberg hält eine Rede aus der | |
> Zukunft. Über das Tusculum seiner eigenen Seelennot und die Schule der | |
> Menschlichkeit. | |
Bild: "Und ich bin zum Ergebnis gekommen, dass ich Fehler gemacht habe. Schwerw… | |
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, | |
vor gut zwei Jahren habe ich mich schmerzenden Herzens von Ihnen und damit | |
aus dem Auge der Öffentlichkeit, die mir so viel bedeutet, verabschiedet. | |
Nun, es ging nicht anders. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, wie weh es | |
tat, sich von einem Amt zu trennen, an dem, wenn ich mich einmal selbst | |
zitieren darf, "mein Herzblut gehangen" hat. | |
Ich hatte in den letzten Monaten zum ersten Mal seit Jahren Zeit, mich mit | |
mir selber darüber zu verständigen, was das hieß, was es heißt und was es | |
möglicherweise in Zukunft für mich heißen wird. Ich räume hier und heute | |
offen und mit reflexivem Nachdruck ein, dass ich seinerzeit den Kairos, ja | |
den Kairos – wenn Sie mir diese Nebenrede gestatten: Kairos ist deutlich | |
auf der zweiten Silbe zu betonen, nicht, wie es einige plebejische | |
Nachredner in der Zeit meines Rücktritts gedankenlos so ausgesprochen | |
haben, als handele es sich um den Genitiv der ägyptischen Hauptstadt – den | |
Kairos also, den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben. | |
Warum mir das unterlaufen konnte, auch darüber habe ich in den verflossenen | |
Monaten gründlich nachgedacht. Ich möchte Sie nicht mit den – ich gebe es | |
zu: manchmal qualvollen, immer schmerzlichen und wahrhaft ans Herz | |
greifenden – Prozessen langweilen, die diese Reflexion begleitet haben. Ich | |
möchte nur sagen: Diese Zeit im Tusculum meiner eigenen Seelennot war für | |
mich eine Schule der Menschlichkeit. Eine Rückbesinnung auf die wirklichen | |
Werte des Lebens und seine Prioritäten. | |
Nicht nur, endlich meiner nach wie vor reizenden Gattin treu zur Seite | |
stehen und dem Heranwachsen meiner wunderbaren Sprösslinge beiwohnen zu | |
dürfen, machte diese – ich möchte es einmal so ausdrücken – "innere | |
Emigration" zu einer Phase meines Lebens, die ich nicht missen möchte. | |
Auch die Entscheidung, darauf zu verzichten, abermals eine Dissertation | |
anzufertigen, hat dazu beigetragen, jenseits von Hetze und Häme zur Ruhe zu | |
kommen und mich der Verantwortung zu vergewissern, die tausendjährige | |
Tradition meines Hauses auch in den wahren Dingen des Geistes – den, wenn | |
Sie mir diese Nebenbemerkung gestatten, ich in der derzeitigen deutschen | |
Universität so oft und so schmerzlich vermisse – wahrzunehmen. | |
Ich habe u. a. in meinem selbstgewählten Tusculum eine Neuübersetzung der | |
Platoschen Politeia verfertigt sowie eine – ebenfalls – Neuübersetzung der | |
Ovidschen Metamorphosen. Dabei sind mir verschiedene Fehler der bisherigen | |
Ausgaben deutlich geworden, die weit mehr als Schlamperei sind – aber dies | |
wird ja in der intellektuell und vor allem ästhetisch doch fast auf den | |
Hund – nicht den kynischen Hund, meine Damen und Herren! – gekommenen | |
Republik der Durchschnittlichen als Kavaliersdelikt verniedlicht. | |
Aber nicht darum geht es in erster Linie, auch wenn ich den Niveauverlust | |
des offiziellen Deutschland, den ich seit meinem Rückzug aus der | |
Öffentlichkeit mit immer größerer Klarheit sehe, zutiefst bedauere. Nein, | |
ich habe diese Zeit des selbstgewählten Rückzugs genutzt, um mich mit | |
meiner eigenen Fehlerhaftigkeit kritisch und unnachgiebig | |
auseinanderzusetzen. Und ich bin zum Ergebnis gekommen, dass ich Fehler | |
gemacht habe. Schwerwiegende Fehler. Unverzeihliche Fehler! | |
Für mich war diese Reflexion ähnlich kathartisch wie das Ergebnis der | |
klassischen Tragödie. Durch eleeos und phobos bin ich gegangen, durch | |
Mitleid und Furcht, jedoch – wenn ich mir das Bonmot erlauben darf – | |
furchtlos, was das Mitleid mit mir selbst angeht. Nein, meine Damen und | |
Herren. Es geht nicht um Selbstmitleid. So wenig wie es in jenen | |
schrecklichen Tagen um Selbstverteidigung ging. Es ging mir in der tiefen, | |
oft genug schmerzlichen Selbstreflexion um das von Verantwortung getragene | |
Mitleid mit der res publica, der, wenn ich das einmal so übersetzen darf: | |
"öffentlichen Sache", die wir als politische Menschen doch, gerade, wenn | |
man wie ich aus einer tausendjährigen Tradition des Dienens an dieser Sache | |
kommt, zur höchsten Sache erklären muss. | |
Als Diener dieser Sache, das wurde mir schmerzlich klar, habe ich | |
seinerzeit einen Fehler gemacht. Ich hätte nicht mein persönliches | |
Schicksal über das des Staates stellen dürfen! Es hat mir am Mitleid für | |
Sie, meine verehrten, geliebten Mitbürgerinnen und Mitbürger, gefehlt! Ich | |
hätte Sie nicht allein lassen dürfen, aus läppischer Furcht vor den | |
neidischen Blicken der anderen. Furcht flößt mir der gegenwärtige Zustand | |
der Republik, der res publica, der öffentlichen, der höchsten Sache ein! | |
Seit meinem Rücktritt ist es drunter und drüber gegangen. Ich sehe mich, | |
nicht zuletzt durch meine in tausendjähriger Tradition aristokratischer | |
Bewährung – und, meine Damen und Herren, Sie kennen die Übersetzung dieses | |
Worts: Aristokratie ist die "Herrschaft der Besten"; nicht die der | |
Funktionäre, der Streber, der Zeloten, nein "der Besten" – gestählten | |
Reflexion mehr denn je in der Verantwortung. Wir brauchen, meine Damen und | |
Herren, die Besten für die res publica, für die öffentliche, die höchste | |
Sache. Ich kann es nicht länger verantworten, mich dem zu entziehen. | |
Lassen Sie es mich im Klartext sagen: Ich biete Ihnen hiermit an, mich in | |
einem urdemokratischen Referendum an jene Stelle des Staates zu stellen, | |
die meinem Verantwortungsgefühl, meinem politischen Talent, meiner | |
Intelligenz und meinen Führungsqualitäten allein entspricht. Ich bitte Sie | |
um Ihre Stimme bei der Wahl zum Bürgerkönig der Herzen. | |
3 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Schneider | |
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