# taz.de -- Musik und die Aufstände in Arabien: Die Jungs aus Bab El-Oued | |
> Die Aufstände in der arabischen Welt werden von HipHop-Songs und | |
> Punkrock-Attitüde befeuert. Die Jugend ist nicht länger gewillt, Armut | |
> und Zensur hinzunehmen. | |
Bild: Es war die Ohnmacht der jungen Leute, die das Fass zum Überlaufen gebrac… | |
Wenn sich in den letzten Wochen viele Beobachter im Westen ungläubig die | |
Augen gerieben haben über die Intensität der Aufstände gegen die Despotien | |
in der arabischen Welt, ist das nur Indiz dafür, wie wenig man die | |
Unzufriedenheit der Zivilgesellschaften wahrhaben wollte. Das gilt | |
insbesondere für die Jugend, die sich vehement gegen die Unterdrückung der | |
freien Meinungsäußerung, der künstlerischen Freiheit, die soziale Misere | |
und die berufliche Perspektivlosigkeit in ihren Ländern auflehnt. | |
Junge Menschen, die heute die Bevölkerungsmehrheit in den arabischen | |
Staaten stellen, waren bereits seit Jahrzehnten - wie in Ägypten - die | |
Leidtragenden, so wie es der Soziologe Saad Edin Ibrahim formulierte: Sie | |
waren Opfer von Zensur, Folter und juristischer Willkür. Es war ihre | |
Ohnmacht, die nun das Fass zum Überlaufen gebracht hat. | |
Karim Kandeel, Sänger und Gitarrist der Punkband Brain Candy aus Kairo, ist | |
einer jener Verzweifelten, die viel gelitten hatten. "Wir waren schon | |
hirntot und krepierten langsam, aber sicher vor uns hin", fasst der | |
23-Jährige die Jahrzehnte unter Mubarak zusammen. "Unsere Songs handeln von | |
negativen Erlebnissen, von dem Frust und dem Gefühl, auf immer hier | |
gefangen zu sein." | |
Brain Candy machten ihre Musik in dem festen Glauben, dass sie einem | |
größeren Publikum verwehrt bleiben würde, da ihre rebellische Haltung zu | |
sehr bei der Obrigkeit anecken und - angeblich - die religiösen Gefühle der | |
Menschen verletzen könnte. Mit dem unerwartet schnellen Fall des Pharao | |
schöpft Kandeel neue Hoffnung: "Wir haben schon nicht mehr daran geglaubt, | |
dass sich je etwas ändern könnte. Nun atmen wir zum ersten Mal den Duft der | |
Freiheit." | |
Wie Kandeel geht es vielen Musikern, die vom ägyptischen Staat systematisch | |
schikaniert wurden. Während des 18-tägigen Aufstandes strömten sie | |
zahlreich zum Kairoer Tahrir-Platz, um ihren Unmut über das Regime Luft zu | |
machen und lautstark die Anti-Mubarak-Chöre der Demonstranten auf dem | |
zentralen Platz der Befreiung zu begleiten. | |
Junge Musiker fühlen sich durch das politische Erdbeben nun ermutigt, offen | |
gegen die Zustände zu protestieren. Die Rapcrew Arabian Knightz aus Kairo | |
geißelt in ihrem Song "Not your prisoner!" die Polizei-Brutalität bei der | |
versuchten Niederschlagung des Aufstandes. Das auf Arabisch und Englisch | |
rappende Trio rief in seinem Song "Rebel!" schon während der Proteste zum | |
Sturz des Regimes auf. | |
Ihre Parolen seien "emotional aufbauend" und drücken "Herz, Mut und Geist | |
des ägyptischen Volkes" aus, sagen sie selbst. Ganz ähnlich The Narcicyst | |
(feat. Amir Sulaiman, Ayah, Freeway, Omar Offendum), die im Stil | |
US-amerikanischer Rapper in schroffen Beats mit ihrem Videoclip "25. | |
Januar" den Beginn der Unruhen der Revue passieren lassen. Die Zeiten, als | |
Musiker und Popfans in Ägypten vom Geheimdienst inhaftiert und diffamiert | |
wurden, scheinen endlich vorbei zu sein. | |
Die Entwicklung in den benachbarten Maghrebstaaten verlief dagegen völlig | |
anders. In Algerien und Tunesien hat sich eine politisch aufgeklärte | |
Generation junger Musiker etabliert, die mit Hilfe von Rap herrschende | |
Missstände, Korruption und Vetternwirtschaft der politischen Eliten in | |
ihren Ländern anprangert. Im Verlauf der "Jasminrevolution" avancierte der | |
Protestsong "Herr Präsident, Ihr Volk stirbt!" des tunesischen Rappers | |
Hamada Ben Amor (auch El Général genannt) zum Hit. | |
In dem Text kritisiert der 22-jährige Rapper aus der Hafenstadt Sfax | |
Verschwendungssucht und Selbstbereicherung der Präsidentenfamilie sowie die | |
grassierende Armut in seinem Land. Via Facebook, YouTube und Twitter | |
erlangte El Général rasch Popularität. Die Resonanz war so überwältigend, | |
dass ihn die tunesische Geheimpolizei verhörte. Auch der tunesische Rapper | |
Balti - alias Dragonbalti - gilt wegen seiner sozialkritischen Reime als | |
Ikone der HipHop-Subkultur. Auch er war den Tugendwächtern ein Dorn im | |
Auge. | |
Das große Vorbild für Tunesiens Rapper ist zweifellos die seit langem | |
aktive HipHop-Szene in Algerien. Von dort haben sich die Styles und Beats | |
bereits Ende der neunziger Jahre in die gesamte arabische Welt | |
ausgebreitet. HipHop lief dem bis dahin bei der algerischen Jugend so | |
populären Raï-Folk-Pop den Rang ab und entwickelte sich während des | |
"schwarzen Jahrzehnts" des Bürgerkriegs zum politischen Sprachrohr der | |
sozial entrechteten, prekären Jugendlichen in den Armenvierteln der großen | |
Metropolen von Algier, Annaba und Oran. | |
## Schuhe versetzen | |
Mehr denn je trifft HipHop das Lebensgefühl der algerischen Jugend, die | |
heute wieder gegen das Regime Bouteflika aufbegehrt. Fast ein Jahrzehnt | |
nach Kriegsende haben sich die Lebensbedingungen nicht wesentlich | |
gebessert. Vom Reichtum profitiert die kleine wirtschaftliche und | |
politische Elite des Landes. Der Großteil der Bevölkerung geht leer aus, | |
allen voran die Jugend. | |
Perspektivlosigkeit bestimme ihren Alltag, wie Nabil Bouaiche von der | |
algerischen HipHop-Crew Intik berichtet: "75 Prozent der Bevölkerung unter | |
30 - eigentlich wären das genug Menschen, um ein wunderbares Land | |
aufzubauen. Aber das Gegenteil ist der Fall! Wir rackern uns ab und kämpfen | |
ums tägliche Überleben. Menschen mit Hochschulabschlüssen müssen sich als | |
Kellner durchschlagen. Uns fehlen die finanziellen Mittel, um Musik zu | |
machen. Wir mussten ständig drauflegen, um Tracks zu produzieren zu können. | |
Einer von uns versetzte sogar einmal seine Schuhe, um die Studioaufnahmen | |
zu bezahlen!" | |
Die Misere der Jugend droht nun auch in Algerien in einen Aufstand der | |
Entmündigten umzuschlagen. Während der Brotunruhen 1988 standen sie auf, um | |
gegen die Diktatur der FLN-Einheitspartei unter Chadli Benjedid zu | |
demonstrieren. Und schon damals galt das verarmte Arbeiterviertel Bab | |
El-Oued als Zentrum des Widerstands. | |
In Bab El-Oued war es denn auch, wo sich zum ersten Mal in der arabischen | |
Welt in den neunziger Jahren eine vitale, politisierte Hip-Hop-Bewegung zu | |
formieren begann. Heute stehen die demonstrierenden Jugendlichen aus Bab | |
El-Oued erneut im Fokus der Weltöffentlichkeit, um mit dem Mikrofon oder | |
dem Stein in der Hand erneut gegen die sozialen Missstände zu protestieren. | |
Nichts hat sich geändert. | |
Und so bewahrt sich auch heute, was Le Micro brise Le silence (MBS), eine | |
der angesagtesten algerischen Rapcrews und Pioniere der HipHop-Szene, | |
bereits vor Jahren in ihrem Kultsong "Monsieur le Président" beklagten, | |
nämlich die anhaltende "algerische Tragödie": "Monsieur Le Président hat | |
gesagt: Algerien ist ein Haus aus Glas!/ Kommt, schaut her: Alles klar, wir | |
sind doch Freunde!/ Von der Terrasse bis zur Garderobe alles voller | |
Leichen!/ Die ganze Welt weiß es! Wozu noch darüber im Fernsehen reden!/ | |
Diese Leute töten nicht mehr, also lasst sie doch!/ Unsere Generäle haben | |
sich die Taschen voll gestopft, na und?/ Wem nützen schon die Namen und die | |
Nummern der Schweizer Konten?/… Doch für uns ist das keine Diktatur mehr | |
wie vor 40 Jahren, weil wir inzwischen die Kunst der Folter gelernt haben!" | |
4 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Arian Fariborz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |