# taz.de -- House-Musikprojekt Hercules and Love Affair: "Fuck me tonight!" | |
> Im ausverkauften Berghain huldigten Hercules and Love Affair mit ihrer | |
> Housemusik dem Trieb und der "geilen Sau" Berlin. Leider fehlte dem | |
> Kollektiv Dynamik und Improvisation. | |
Bild: "Berlin, du geile Sau!", schrie Aerera Negrot vor jedem Song ins Mikrofon. | |
BERLIN taz | "Die Orgie geht weiter", titelte im Januar die Spex zum | |
zweiten Album "Blue Songs" des House-Musikprojekts Hercules and Love Affair | |
um den amerikanischen Musikproduzenten Andy Butler. Nun lud das aktuell | |
fünfköpfige Kollektiv der groovig-maschinellen Lustmusik am Donnerstagabend | |
in das ausverkaufte Berghain - auf ihrer Tour zur Albumpräsentation. | |
Das Außergewöhnliche an Hercules and Love Affair ist, dass sie als offenes | |
Kollektiv aus der ewigen Nische der Housemusik gerade als so etwas wie eine | |
Band, ja fast schon als Institution gefeiert werden, und das nicht nur von | |
einem Szenepublikum, das seine Nächte in den Clubs abtanzt, sondern auch | |
von einem breiteren Konzertpublikum. | |
Das liegt wohl vor allem an Antony Hegarty, dem traurigen Engel von Antony | |
and the Johnsons, der Hercules and Love Affair auf dem Debütalbum von 2008 | |
seine Stimme lieh und aktuell vom afroamerikanischen Sänger Shaun Wright in | |
puncto androgynes Diventimbre würdig vertreten wird. | |
Überhaupt machten die Musiker an diesem Abend einen formidablen Eindruck: | |
Die Wobbelbässe drückten sich angenehm in den Bauch hinein, während | |
verdubbte Housebeats zu gecutteten Bläser- und Streicherarrangements aus | |
dem Computer Twist mit den Raum- und Zeitkontinuitäten spielten. Dazu gab | |
es wunderbar flippige Tanz- und Vocalperformances von Antony-Ersatzmann | |
Wright, der stimmgewaltigen Operntranse Aerea Negrot und der | |
zurückhaltenden B-Boy-Lady Kim Foxmann zu bestaunen. | |
"Mann, Leute, normalerweise läuft jetzt das Kinderprogramm im Fernsehen, | |
und wir spielen schon im Berghain", witzelte Andy Butler in einer Ansage | |
und bedankte sich bei der Technolegende in Beton sowie dem Ravepublikum von | |
Berlin: "Das hier ist der tollste Ort der Welt. Und ich möchte euch dafür | |
danken, das es auch in den Zeiten, als es für unsere Musik überall auf der | |
Welt ziemlich finster aussah, diesen Ort dafür gab." | |
"Berlin, du geile Sau!", schrie Aerera Negrot bei fast jedem Song ins | |
Mikrofon und fasste das Credo Butlers so zusammen, wie es sich | |
Bürgermeister Wowereit mit seiner "be Berlin"-Kampagne nie zu träumen | |
gewagt hätte. | |
Überhaupt die Geilheit: "Fuck me tonight and make everything alright", | |
singt Kim Foxman an diesem Abend und bewegt sich cool und glücklich wie ein | |
B-Boy, der gerade im Spätkauf eine Flasche Jägermeister geklaut hat. | |
Wo Chartsstürmerinnen zwischen Eurotrash und R&B noch affirmativ mit dem | |
Begriff der Liebe hausieren gehen müssen, darf man bei Hercules and Love | |
Affair auch schon mal "ficken" sagen, ohne dass es gleich vulgär wird. Ganz | |
im Gegenteil: Obwohl diese Musik im Grunde auch nur Ekstase verspricht, | |
fühlt sie sich dabei weitaus zärtlicher an als etwa die rockendere | |
Elektronik aus dem benachbarten Techno- oder Electrofach, was natürlich an | |
der schwulen beziehungsweise queeren Herkunft von House- und Discomusik | |
liegt. Hier wächst dem Manne der Penis quasi nach innen, und die Stimme | |
rutscht zwei Oktaven nach oben. Und das Tempo bleibt immerzu gemächlich. | |
So lässt sich bei jedem Song die Klimax im Grunde unendlich hinauszögern, | |
wobei man auch ganz schnell zum einzigen Kritikpunkt dieses Konzerts kommen | |
muss: Alle Tracks werden wie bei einem Rockkonzert runtergespielt, in | |
keinem Song lassen Hercules and Love Affair die Musik einfach laufen. Nur | |
selten wird improvisiert und die mögliche Dynamik des Raums und seiner | |
feierwütigen Meute neu austariert. Und das ist ja eigentlich die Stärke von | |
House: das unendliche Mäandern von Pattern und Linien in einem immer gleich | |
bleibenden Puls einer unbestimmten Zeit. | |
So bleibt am Ende zu sagen: Das hier war leider keine Orgie, sondern eine | |
Gruppe, die ihrem Publikum etwas zu eilig einen Einblick in die stilvolle, | |
exzessive, ausufernde Welt der Housepartys gab: viel Gefühl von hoch | |
sympathischen, schönen Menschen, die etwas Lustvolleres als den | |
materialistischen Konsum als Surrogat für ihre ewig hungrigen Triebe | |
gefunden haben - die Musik. Und dafür bereisen sie die ganze Welt und | |
machen Werbung: für die Libido höchstpersönlich! | |
4 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Maurice Summen | |
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